Mehr Zuschauer dank einer besseren Show und eines ausgeglicheren sowie weniger teuren Wettkampfs: Das ist das grosse und ehrgeizige Ziel, das Ross Brawn, Chase Carey und Sean Bratches an der Spitze von Liberty Media verfolgen. Mit gross angelegten Publikumsumfragen haben sie eine Taskforce von Spezialisten damit beauftragt, die aus wissenschaftlicher Sicht ideale Formel 1 für 2021 zu gestalten. Dann läuft das Concorde Agreement ab, ein geheimes Papier, das alle _ nanziellen, sportlichen und technischen Details des Systems regelt. Anfang der Saison 2018 wurde diese Revolution in Bahrain ins Rollen gebracht. Im vergangenen März haben die Teams am gleichen Ort einen Entwurf der künftigen Reglemente erhalten, die am 30. Juni genehmigt werden sollten, also 18 Monate vor ihrer Inkraftsetzung, so wie es im internationalen Sportgesetz festgelegt ist. Obschon der World Motor Sport Council des Autoweltverbandes FIA am 17. Juni alle Details hätte offenlegen sollen, gab er bloss bekannt, dass die Angelegenheit im Einverständnis mit den Parteien auf Oktober verschoben worden sei.
Drei ärgerliche Themen
Eine Verspätung, die nichts Gutes verheisst. Die kleinen
Teams fürchten, dass die zusätzliche Frist den grossen, insbesondere Mercedes,
Ferrari und Red Bull, einen Vorteil verschafft, da diese über _ – nanzielle
und personelle Ressourcen verfügen, um parallel an mehreren Projekten zu
arbeiten. «Wir haben nicht die Mittel, mit einem Projekt anzufangen, das sich
vielleicht in drei Monaten verändern wird», murrt einer der betroffenen
Teamchefs. Je mehr Zeit vergeht, desto eher scheint es so, als ob sich die von
den Gesch.ftsführern gestartete Revolution an der Untätigkeit derjenigen
stösst, die lieber nichts verändern, da sie seit mehreren Jahren dominieren und
befürchten, ihre Privilegien zu verlieren. Aber nicht nur auf technischer
Ebene herrscht Uneinigkeit – Ziel sind eine vereinfachte Aerodynamik an den
Autos und eine mögliche Rückkehr des Bodeneffekts. Vor allem bei den Finanzen gibt
es Meinungsverschiedenheiten. Für eine geplante Budgetobergrenze haben Liberty
Media und die FIA einen Kompromiss bei 175 Millionen US-Dollar beschlossen.
Dieser Betrag ist höher als die Jahresbudgets der meisten Teams, aber
gleichzeitig viel zu tief für die drei Topteams, die alle mit Beträgen von 300
bis 400 Millionen wirtschaften. Das dritte ärgerliche Thema betrifft die neue,
ausgeglichenere Preisgeldverteilung. Die schlechter klassierten Teams sollen
mehr Geld bekommen, zulasten der besser klassierten Teams, die aber wiederum mehr
Aufwand betreiben.
Warum Ross Brawn den Druchblick hat
All das in der Hoffnung, den Wettbewerb künftig ausgeglichener
und spannender zu machen. Aber es ist nicht das erste Mal, dass Liberty Media
und die FIA einige ihrer Vorschläge hinunterschlucken müssen, weil die Teams
Widerstand leisten. Auch die Idee zur Ausweitung der gemeinsamen
Autokomponenten wie des Getriebes oder der Bremsen ist nicht bis zu den
Konstrukteuren durchgekommen, weil diese ihre technische Identität bewahren wollen.
Die Machtkämpfe gleichen einer fortwährenden Baustelle. Selbst wenn man damit
einverstanden ist, dass etwas für die Formel 1 getan werden muss, um
Chancengleichheit zu schaffen und die Kosten des Wettbewerbs zu senken, so sind
einige Probanden abseits der Mikrofone der Meinung, dass Liberty Media noch
nicht alle Subtilitäten dieser F1-Welt und ihres enormen Konkurrenzkampfs verstanden
hat. Das kann man von Ross Brawn nicht behaupten. Er war einer der
ruhmreichsten Technikchefs und als solcher F1-Weltmeister mit Benetton und Ferrari.
Brawn, zurzeit bei Liberty Media federführend, bleibt zuversichtlich, was das
weitere Verfahren betrifft, welches er selbst im vergangenen Jahr in die Wege
geleitet hat: «Die Situation ist für keines der zehn Teams ideal. Aber allein
die Tatsache, dass niemand zufrieden ist, ist der beste Beweis dafür, dass wir
im Recht sind.» Nach dem Treffen im Oktober wissen wir vielleicht mehr.