Die Elektromobilität kommt nicht über Nacht. Und auch nicht morgen oder übermorgen, selbst wenn die Hersteller viel Aufhebens um die Elektrifizierung machen und diese mit der grossen Marketingkelle anrichten. Gemäss Konstantinos Boulouchos, Professor am Departement für Maschinenbau der ETH Zürich, bestehen Anwendungen, für welche die fossilen – bald aber auch die synthetischen – Treibstoffe unverzichtbar bleiben. Das trifft besonders für Langstrecken in der Luft- und Schifffahrt, aber auch im Strassenverkehr zu.
Automobil
Revue: Sind
die Verbrennungsmotoren vom Aussterben bedroht?
Konstantinos
Boulouchos: Ganz und gar nicht. Man muss zwischen Fahrzeugen für den Nah- und Stadtverkehr einerseits und für Langstrecken anderseits unterscheiden. Im ersten Fall werden die Elektromotoren gewiss eine wichtige Rolle spielen und einen gewichtigen Marktanteil erreichen. Aber ich bin sicher, dass die Fahrzeuge im Fernverkehr, die schweren Lastwagen, Baumaschinen und Ähnliches, noch bis zum Ende des Jahrhunderts Verbrennungsmotoren einsetzen werden. Der Hauptgrund liegt in der für diese Anwendungen bei weitem nicht ausreichende Energiedichte der Batterien. Dazu kommt, dass die heutigen Elektrofahrzeuge sehr teuer sind. Ich sehe aber dank Subventionen und Preissenkungen Marktanteilsgewinne. Wir schätzen, dass die Betriebskosten für den Besitzer eines Elektrofahrzeugs im gleichen Rahmen liegen wie heute für ein konventionelles Auto, jedenfalls bei unveränderten Strompreisen. Man muss auch die Subventionen mit einrechnen, wie sie von gewissen Kantonen gewährt werden; beispielsweise durch den Erlass der Verkehrssteuer. Diese Politik ist machbar, solange der E-Auto-Marktanteil unter rund fünf Prozent liegt. Bei 45 Prozent müssten die ausfallenden Mittel für die Strasseninfrastruktur aus anderen Quellen kommen. Vergessen wir auch nicht, dass manche Autofahrer aus vielen, teils durchaus vernünftigen Gründen noch nicht bereit sind, auf ein Elektroauto umzusteigen. Wir müssen uns bewusst sein, dass Elektroautos nur dann einen positiven Einfluss auf die Umwelt haben, wenn die verwendete Energie mit geringem CO2-Ausstoss erzeugt wird.
Wie viel
Strom bräuchte es, wenn 50 Prozent des Fuhrparks elektrisch betrieben würden?
Eine 50-prozentige Elektrifizierung der Schweizer Autoflotte würde
rund sieben Terawattstunden Strom oder rund 90 Prozent der Kapazität des Kernkraftwerks Gösgen erfordern. Alternativ würden 42 Quadratkilometer Solarmodule benötigt, was etwa einem Tausendstel der Gesamtfläche der Schweiz entspricht.
Wird
das Wachstum der Elektrofahrzeuge angesichts der fehlenden Infrastruktur, der
hohen Kosten oder der Skepsis der Kunden nicht schnell an seine Grenzen kommen?
Das ist möglich. Es gibt noch einen anderen Grund: Zur Senkung
der CO2-Emissionen müssen wir mehr Strom aus erneuerbaren Quellen produzieren.
Wir brauchen heute die gesamte in der Schweiz gewonnene saubere Elektrizität
auf; die Frage ist, wie wir diese Stromerzeugung ausbauen können. Dazu kommt
noch die Ungewissheit um die Batterien. Wir wissen nicht, wie stark die Energiedichte
in den nächsten zehn Jahren verbessert werden kann. Die Akkus haben heute einen
Lebenszyklus von sieben bis zehn Jahren. Sie können anschliessend für andere
Anwendungen eingesetzt werden, aber wir müssen eine Industrie für die Wiederverwertung
aufbauen. Und wir müssen einen möglichst grossen Teil der Mobilität
elektrifizieren. Aber es bestehen andere Möglichkeiten zur CO2-Reduktion,
vor allem in statischen Anwendungen. Für 50 Franken können sie über neue
Gebäudevorschriften eine Tonne CO2 einsparen;
das gleiche kostet beim Automobil bis zu 1000 Franken.
Weshalb
konzentrieren sich die Politiker dann dermassen auf den Verkehr statt auf die
Immobilien?
Der Verkehr ist für jedermann sichtbar, die Autos und Lastwagen
rollen allenthalben über die Strassen. Das Automobil wurde in den Medien sogar
zum Symbol für alle Umweltprobleme. Erinnern Sie sich daran, dass die ersten
Normen zur Abgasreduzierung auf 1975 zurückgehen; sie werden alle fünf Jahre
aktualisiert. Bei den Immobilien gab es seit 1992 keine Anpassung der
Vorschriften für Heizungen. Das kommt daher, dass die Schweiz als kleines Land
die europäischen Reglemente für die Abgasemissionen übernimmt. Für Gebäude hat
hingegen jeder Kanton seine eigenen Vorschriften.
Werden
die Abmachungen zwischen der Schweiz und der EU zur Reduzierung der CO2-Emissionen nicht dadurch eingeschränkt,
dass alle Länder verschiedene Regeln haben?
Das stimmt, jedes Land hat seine eigenen Vorschriften; denken
Sie etwa an die derzeitige Situation in den Vereinigten Staaten. Aber man muss
irgendwo anfangen. Wir können nicht von Indonesien oder Thailand verlangen,
dass sie sich unseren Vorschriften beugen. Das ist eine Frage des technischen
Fortschritts. Ich glaube, es wäre schon genug, wenn sich China, die EU und
Japan auf eine Linie verständigen könnten und ihre Anstrengungen besser
koordinierten.
Das
leuchtet ein, aber wenn Afrika einmal eine Verkehrsdichte erreicht wie Europa,
hätten wir eine Explosion der CO2-Werte.
Richtig, aber ich zweifle sehr daran, dass Afrika in absehbarer
Zukunft auf unser Niveau kommt. Das sehe ich eher in Asien. Wie auch immer, sobald diese Länder eine derart intensive Verkehrsdichte erreichen, müssen sie ihre Vorschriften anpassen. Ich bin einverstanden, dass die Zahlen auf globaler Ebene sonst furchterregend würden. Aber wir müssen ehrlich sein. Die Schweiz hat quasi den gleichen CO2-Ausstoss pro Kopf wie die EU, einzig unser höherer Anteil bei der Wasserkraft gibt uns einen Vorteil. Es ist wichtig, das gesamte System im internationalen Zusammenhang zu bewerten und nicht als Flickwerk dieser oder jener Massnahme. Das klappt denn auch mit den Subventionen an die Autohersteller zur Umstellung auf die Elektromobilität. Dennoch ist anzumerken, dass das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland erst auf 2038 geschlossen werden soll. Warum verwenden wir diese Gelder nicht dafür, diese Anlage schon vorher abzuschalten?
Der Skyactiv-X-Zweiliter verspricht Rekorderträge mit Effizienzwerten von über 40 Prozent. Der Herstellungsprozess von synthetischen Kraftstoffen erfordert indes einen hohen Stromverbrauch, der für die Elektrolyse notwendig ist.
Wie
sauber sind die Elektroautos wirklich, wenn man den gesamten Lebenszyklus von
der Produktion bis zum Recycling in Betracht zieht?
Zu dieser Frage gibt es eine ganze Reihe von Studien, aber die Antworten
variieren. Sie hängen stark von der Gewichtung der diversen Faktoren ab, wie der
Grösse und Kapazität der Batterien, deren Produktionsherkunft und der Energieart
bei der Herstellung. Vereinfacht würde ich sagen, dass die ursprüngliche Herstellung
von Batterien viel Energie braucht. Wir beobachten heute einen Trend zur immer saubereren
Produktion, und ich hoffe, dass auch die Herstellung der Elektrizität auf diese
Spur einlenkt. Allgemein gilt, dass ein Elektrofahrzeug heute im europäischen Umfeld
so sauber ist wie ein gutes Diesel- oder Hybridauto. Nehmen wir die Schweizer Gegebenheiten
mit dem grünen Energiemix, übertrifft ein Elektrofahrzeug bereits den Diesel. Das
Potenzial für künftige Verbesserungen ist bei den Elektroautos langfristig noch
grösser, auch wenn man nie auf null CO2-Ausstoss
kommen wird. Um die Dinge in die richtige Perspektive zu rücken: Ein Hybridauto
kommt unter Berücksichtigung aller Faktoren auf einen Ausstoss von 200 Gramm CO2/km.
Ein modernes E-Auto liegt für seine gesamte Nutzungsdauer zwischen 100 und 250
Gramm pro Kilometer.
Welchen
Effizienzgrad kann der Verbrennungsmotor noch erreichen?
Nimmt man nur die Effizienz-Spitzenwerte, kommen wir heute auf 40
Prozent, aber wir haben dieses Niveau bei der ETH in unserer Zusammenarbeit mit
der Empa schon weit unterboten. Im normalen Fahreinsatz liegt die Effizienz eines
guten Hybrids bei 32 oder 33 Prozent. Auch für den Alltagseinsatz sehen wir einen
Maximalwert von 35 bis 40 Prozent voraus.
Wie steht
es um die synthetischen Treibstoffe?
Sie wissen bestimmt, dass für die Herstellung grosser Mengen sehr
viel Energie nötig ist. Das bedeutet, dass man bessere Resultate erreicht, wenn
dieser Strom direkt für den Antrieb eines Elektroautos eingesetzt wird, weil dieses
effizienter arbeitet. Generell meine ich, dass die Elektrifizierung vor allem für
Kurzstrecken Sinn macht. Für Langstreckenfahrten sollten wir zur Verbesserung unserer
CO2-Bilanz synthetische Treibstoffe verwenden. Die Technologien stehen
nicht im Wettbewerb, es gibt eine Reichweitengrenze, die vorschreibt, wann die Elektrifizierung
ihre Vorteile einbüsst. Man soll zwar nie nie sagen, aber ich zweifle daran, dass
es beispielsweise je ein elektrisches Verkehrsflugzeug geben wird. Genauso bei den
Containerschiffen: Sie würden unter dem Gewicht der Batterien sinken.
Allerdings
könnte doch mit den synthetischen Treibstoff die Nutzdauer des bestehenden
Fahrzeugbestands verlängert werden, was Energie und Rohstoffe einspart?
Richtig. Wir können mit Hilfe der synthetischen Treibstoffe die Einsatzdauer
der heutigen Fahrzeuge um 20 oder 25 Jahre verlängern. Dieses Benzin müsste aber
subventioniert werden, weil es zu teuer ist. So wie die Elektrofahrzeuge von Staatshilfen
profitieren, müssten auch die künstlichen Treibstoffe gefördert werden, um die Kosten
für die nötigen Produktionsanlagen breiter abzustützen.
Sind
wir heute schon in der Lage, genügend synthetische Treibstoffe zu produzieren?
Die Frage ist eher, ob das wirtschaftlich machbar ist. Die Technologie
besteht, und sie wird sich dank der eingeleiteten Hydrolyse-Projekte, der CO2-Isolierung
und anderer Massnahmen noch verbessern. Wir befinden uns in der Lernphase, aber
wir kommen nicht schnell genug voran, weil die Mittel fehlen. Ich glaube jedenfalls,
dass diese Treibstoffe zuerst in der Luft- und Schifffahrt zum Einsatz kommen
werden. Wir müssen jetzt vorwärts machen, sonst werden deren CO2-Emissionen
jene des Strassenverkehrs bald übertreffen. Es gibt viele gute Argumente für die
synthetischen Treibstoffe, aber die Politiker geben ihnen nicht genügend Unterstützung.