Was passiert, wenn man schwedische Tugenden mit amerikanischem Lifestyle paart, zeigt der neue Volvo S60. Der Schwede ist ein bescheidener und trotzdem überaus souveräner Gentleman. Dabei hat die Limousine ein gewisses Temperament, verspricht im Falle des T5 auf den ersten Blick aber etwas mehr, als sie dann auch wirklich einhalten kann. Als erster Volvo läuft der S60 im vergangenen Jahr eingeweihten Werk in Charles-ton (USA) vom Band – seit Jahrzehnten gehören die Vereinigten Staaten für Volvo zu den wichtigsten Absatzmärkten. Dennoch ist auch die dritte Modellgeneration ein echter Schwede und basiert wie der Kombi V60 und der SUV-Ableger XC60 auf der bewährten SPA-Plattform. Die Länge des Viertürers nimmt im Vergleich zum Vorgänger um zwölf Zentimeter zu (4.76 m), der Radstand wächst um zehn Zentimeter. Vielleicht deshalb klotzt der S60 im R-Design mit seinem starken Auftritt, die neue Volvo-Designsprache hat auch bei ihm vollends Einzug erhalten. Die ausgewogenen Proportionen wirken gleichermassen edel und dynamisch, aber auch unverwechselbar. Man erkennt dennoch, dass sich der Schwede an deutschen Vorbildern orientiert. Vorne ziehen einen die optionalen Voll-LED-Schweinwerfer mit dem klangvollen Namen Thors Hammer in ihren Bann. Das Lichtband des integrierten LED-Tagfahrlichts unterstreicht die markante und schnörkellose Linienführung der Front. Und hinten, da ist das neugestaltete Stufenheck elegant, aber keinesfalls aufdringlich. In Verbindung mit den optionalen 20-Zoll-Felgen bringt der S60 allein bei Betrachtung das Blut in Wallung.
Erstmals kein Diesel
Kaum zu glauben also, dass dem während der Fahrt keineswegs so ist. Das ist zugleich die grösste Stärke wie auch der grösste Kritikpunkt des stil-vollen Schweden. Denn immerhin leistet unser Testwagen, ein T5 mit Frontantrieb, 250 PS. Dazu gesellen sich zwischen 1800 bis 4800 Touren/min 350 Nm Drehmoment. Die 1.7 Tonnen Leergewicht lassen jedoch bereits erahnen, dass sich der S60 T5 auf der Langstrecke wohler fühlt als in engen Spitzkehren. Ein ähnliches Bild vermitteln die zwölffach elektrisch einstellbaren und mit Nappaleder bezogenen Sportsitze. Die Optik unterstreicht die sportlichen Ambitionen und den ausgezeichneten Seitenhalt. Sie gehören zu den bequemsten Sit-zen, die es auf dem Markt gibt, und sorgen auch auf längeren Fahrten für höchsten Komfort. Apropos Langstrecke: Die zweite grosse Neuerung ist, dass der S60 – als erster Volvo überhaupt – ohne Diesel auskommen muss. 2017 kündigte Vorstandschef Hakan Samuelsson an, dass Volvo keine neue Generation von Dieselmotoren mehr entwickeln werde. In der Schweiz werden für den S60 demnach fünf Benzinvarianten angeboten, an-gefangen beim 190 PS starken, frontgetriebenen T4 bis hin zum T8-Plug-in-Hybrid von Polestar (405 PS) und Allradantrieb. Alle Motoren sind an das Achtgang-Automatikgetriebe mit Geartronic gekoppelt. Diese Automatik ist bezeichnend für den 4.8 Meter langen Viertürer mit dem sportlichen Kleid. Zwar schaltet sie butterweich, dafür aber auch etwas gemütlich durch die Gänge. Das sorgt auf der Autobahn für mehr Komfort, auf der Passstrasse jedoch fehlt der letzte Biss.
Überragende Assistenten
Ähnlich sieht es mit dem elektrisch einstellbaren Fahrwerk aus. Das im R-Design-Trimm um 15 Millimeter tiefergelegte Chassis ist durchaus hart, insgesamt jedoch in Anbetracht des sportlichen Erscheinungsbildes noch immer überwiegend komfortabel abgestimmt. Positiv ist, dass der S60 satt auf der Strasse liegt und ein Untersteuern auch dank einer präzisen Lenkung überraschend lange hinauszögert. Ein Grund dafür ist die Leistungsentfaltung, die unspektakulärer nicht sein könnte. Gänzlich linear entwickelt der 2.0 Liter grosse Reihenvierzylinder seine Kraft. Zwar lässt sich der T5 durchaus auf Drehorgeln bis 6400 Touren/min ein, quittiert dies jedoch – im Gegensatz zum sonst et-was zu zurückhaltenden Motorensound – mit einer stark angestrengten Geräuschkulisse. Dies ist einer der wenigen Momente, in dem der S60 T5 seine Souveränität verliert. Dafür überzeugen die Verbrauchswerte, natürlich unter Einhaltung der Abgasnorm Euro 6 d-Temp. Während des Testzeitraums waren es im Schnitt kombinierte 7.3 Liter. Auf der AR-Normrunde begnügte sich der Schwede mit 6.9 Litern auf 100 Kilometer. Die kleine Differenz zeigt, dass es der S60 schafft, seine Gelassenheit vor allem auf der Langstrecke auf den Fahrer zu übertragen. Das Steckenpferd des S60 ist tatsächlich die Autobahn, vor allem aufgrund des hervorragend funktionierenden Autopiloten. Dieser wartet im Intellisafe-Pro-Pack (2000 Fr.) mit einer Fülle von Assistenten auf. Alle gehören sie zu den Besten auf dem Markt und sorgen in der Praxis dafür, dass der S60 gar bei höherem Verkehrsaufkommen bis zu einem Tempo von 130 km/h auch in engeren Kurven selbständig navigiert. In der Praxis ist es möglich, auf der A1 von Bern nach Zürich ohne Unterbrechung vom S60 autonom pilotiert zu werden. Selbst in Baustellen verrichtet die Limousine einen vorzüglichen Job.
Langsames Infotainment
Spätestens alle 15 Sekunden erinnert ein akustisches Signal den Fahrer daran, seine Hände an das etwas zu gross geratene Lenkrad zu legen. Hat man sich im 9.2-Zoll-grossen Infotainment-Screen ver-loren, ist eine solche Warnung auch nötig. Zwar wartet das System mit einem zeitgemässen Funktionsumfang auf, das Erscheinungsbild ist aufgeräumt, wenn auch etwas altbacken, doch wird die intuitive Bedienung immer wieder von den langen Ladezeiten gebremst. Ansonsten vermag der Innenraum vollends zu überzeugen. Die Verarbeitung ist durchwegs hochwertig, und die verbauten Materialien sind dem Preis von ab 56 450 Franken für den R-Design-T5 angemessen. Das optionale Bowers-&-Wilkins-Audiosystem mit 15 Lautsprechern und 1100 Watt Leistung sieht nicht nur gut aus, sondern liefert in Verbindung mit der guten Geräuschdämmung ein angenehmes Klangbild. Die hervorragenden Sitze wurden bereits erwähnt, und es sei hinzugefügt, dass sie auch die Plätze hinten guten Komfort bieten. Die Passagiere finden im Fond mit 13 bis 50 Zentimetern ausreichend Bein- sowie Kopffreiheit (91 cm). Der Kofferraum ist mit einem Ladevolumen von 442 Litern angemessen für diese Klasse. So kommt es, dass der S60 eine Art inneren Zwist hervorruft. Auf der einen Seite trägt der Schwede ein attraktives und sportliches Kleid. Andererseits ist die elegante Limousine eine ausgesprochene Wohlfühloase. So richtig die Sporen geben kann man dem T5 nicht, auch wenn er es durchaus akzeptabel über sich ergehen lässt. Wer mehr Spektakel will, der muss auf die stärkeren Varianten – alle basierend auf dem Zweiliter-Vier-zylinder – zurückgreifen. Dann hält der S60 auch fahrdynamisch das, was er optisch verspricht.
Der Innenraum des Volvo S60 überzeugt mit viel Komfort. Die verwendeten Materialien sind durchwegs angenehm, die Sportsitze schlichtweg überragend. Die breite Mittelkonsole engt nicht ein, sondern vermittelt ein Gefühl von Geborgenheit.
Fazit – Cedric Heer, Tester
Subjektiv hat der neue Volvo S60 eines der schönsten Hinterteile, die es derzeit auf dem Markt gibt. Dass man dieses ab dem kommenden Jahr aufgrund der bei allen Volvo-Neuwagen limitierten Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h etwas weniger vor sich sieht, sorgt vor allem in Deutschland für Diskussionen. Letztlich unterstreicht der Entscheid aber die Positionierung der Schweden. Der Sicherheitsaspekt passt zur Marke und ist seit jeher eine der Kernkompetenzen. Auch der neue S60 erreicht im Euro-NCAP-Crashtest die Höchstnote. Diesbezüglich setzt Volvo auf Altbewährtes, geht ansonsten aber neue Wege. Das Weglassen der Selbstzünder (wohl aus Kostengründen) ist konsequent, sicherlich gewagt, aber auch ein starkes Bekenntnis an die Hybrid- und Elektrotechnologie. Mit dem Marktstart des S60 wurde zudem die neue On-demand-Mobilitätslösung Volvo MyFlex eingeführt. Käufer eines neuen S60 erhalten ein Guthaben von 20 Tagen, welches sie für das Ausleihen von weiteren Autos aus der Modellpalette einsetzten können. Und wer sich für eines der T6- oder T8-Twin-Engine-Modelle entscheidet, erhält eine kostenlose Ladestation dazu. Somit deckt Volvo auch ohne Diesel sämtliche Anforderungsprofile ab, vom Dienstwagen bis hin zum Sportgerät von Polestar.