Nach dem legendären Bergrennen am Pikes Peak in Colorado (USA) und der altehrwürdigen Rennstrecke Goodwood (GB) ist der Nürburgring an der Reihe. Romain Dumas und sein ID R, Volkswagens elektrischer Prototyp, sollen in der grünen Hölle die Rekordmarke für Elektroautos knacken. Sie liegt bei 6:45.9 Minuten pro Runde. Das Ziel von VW ist aber viel mehr als nur ein prestigeträchtiger Kampf. Es geht darum, das Potenzial der Elektrifizierung zu demonstrieren, ihre Attraktivität zu beweisen und nicht nur auf der Rennstrecke, sondern auch auf dem Markt eine Leaderposition einzunehmen. Der Weg scheint frei für die Wolfsburger, die sich auf die grosse Bühne wagen und schon vermehrt beeindruckende Resultate gezeigt haben.Seit der Rekordfahrt im vergangenen Jahr am Pikes Peak wurde der Elektro-VW ID R mehrfach modifiziert und auf die jüngste Herausforderung Nürburgring getrimmt. Ein Besuch im Porsche-Windkanal führte zu mehreren aerodynamischen Veränderungen am Auto. Im Unterschied zu Pikes Peak mit geringerer Luftdichte erlaubt die Nordschleife eine Reduzierung der Aerodynamikleistung. Auf den Bodeneffekt musste jedoch erneut verzichtet werden, da die Strecke auf der Nordschleife ebenso wellig ist wie jene in den Bergen. Die einzige Lösung bestand daher darin, an den Aussenstützen mit dem einziehbaren DRS-Querruder (Drag Reduction System) zu arbeiten, welches sich an der Formel 1 orientiert. Schliesslich blieb noch die letzte grosse aerodynamische Hürde am ID R: Die Ingenieure mussten ihm genügend Kiemen verpassen, damit die Batterie genügend gekühlt werden – aber auch nicht zu stark, weil der Energiespender eine Temperatur von etwa 30 Grad verlangt, um eine maximale Wirkung zu erzeugen. Chassis und Aufhängungen wurden ebenfalls mit Verstärkungen und Ad-hoc-Tarierung (Ausgleich Ab- und Auftrieb) an die Eigenschaften der Schaltung angepasst.
Leichter statt stärker
Um den chinesischen Nio EP9 zu unterbieten,
der mit 6:45.9 Minuten den Rekord für Elektroprototypen hielt (2017, mit dem
Briten Peter Dumbreck am Steuer), wurde beim Elektro-VW auch an der
Gewichtsreduktion gefeilt. Ziel war es, das Gewicht einschliesslich des
Fahrers unter 1100 Kilogramm zu halten. Die Chinesen brachten mit 1735
Kilogramm deutlich mehr auf die Waage. Dank der beiden zusätzlichen
Elektromotoren und 1360 PS hat der Nio jedoch ein vorteilhafteres Gewichts-Leistungs-Verhältnis
als der ID R. In Zahlen ausgedrückt: 0.62 kg/PS beim Nio gegenüber 0.77 kg/PS
beim ID R.Trotz dieses Leistungsmankos im Vergleich zur Konkurrenz bringt VW
seinen ID R in 2.25 Sekunden von null auf 100 km/h – die Chinesen brauchen für
diesen Sprint 2.7 Sekunden.
Verbesserungsmöglichkeiten
Am Pikes Peak hatte der ID R gegenüber den
Autos mit Verbrennermotoren einen Vorteil, da er auf die dünne Höhenluft
unempfindlich reagiert. Auf dem Nürburgring hingegen fällt dieses Plus des
Elektromotors weg. Aber: Prototypen mit Verbrennungsmotoren haben in der grünen
Hölle eine höhere Höchstgeschwindigkeit – rund 350 km/h im Vergleich zu den
270 km/h des ID R. Also müssen die Batterien des Elektro-VW angepasst werden,
damit sie mehr Leistung liefern können.Batterien sind jedoch das schwache Glied
im gesamten Antrieb. Die für die Rekordjagd auf den Nürburgring verwendeten
Akkus waren mit jenen für die Hatz auf den Pikes Peak identisch. Nur wurden sie
wegen der deutlich höheren Durchschnittsgeschwindigkeit von 206 km/h auf der
Nordschleife im Vergleich zu 150 km/h am Pikes Peak viel stärker gefordert.Am Nürburgring
gab es noch eine weitere Herausforderung, wie der ID-R-Pilot Romain Dumas (F)
verriet. Der Elektrorenner lief Gefahr im Streckenabschnitt Döttinger Höhe zu
verdursten – im zweiten Probelauf musste Dumas an dieser Stelle prompt mehr
Strom sparen, als ihm lieb war. Er beendete die Runde zwar mit einer Zeit von
6:12 Minuten – und der Erkenntnis, dass die 20 Prozent Rückgewinnung aus der
Bremsenergie nicht ausreichen: Der Pilot muss den Energieverbrauch zwingend im
Auge behalten.
40 Sekunden schneller
Für Romain Dumas, der in zehn Tagen bei den 24 Stunden von Le Mans (F) an den Start geht, ist der Nürburgring mit seinen über 20 Kilometern Länge «die schönste, aber auch die schwierigste Strecke der Welt». Der Franzose schonte sich bei der Rekordjagd nicht und verbesserte seine Rundenzeit kontinuierlich. 6:20 Minuten hatte er vorhergesagt – mit dem vierten und letzten Versuch hatte er die bestehende Rekordzeit um fantastische 40.564 Sekunden geradezu pulverisiert! Im Vergleich mit anderen alternativen Antriebstechniken braucht es aber noch ein grosses Stück Arbeit. Die 5:19 Minuten des Porsche 919 Hybrid Evo scheinen ausser Reichweite. Der Porsche-Prototyp ist das Ergebnis einer langen Evolution, während der vollelektrische Antrieb gerade erst Fahrt aufnimmt. Der ID R von Volkswagen zieht derweil weiter und setzt im September seine Rekordjagd in Asien fort.