Cleverer Stromer

Der EQC 400 ist eines der ersten rein elektrischen Modelle, mit denen Mercedes in den Markt fährt. In Oslo, der europäischen Hauptstadt der Elektromobilität, zeigte das SUV in seinem angestammten Habitat seine Stärken, die nicht zuletzt in einem intelligenten Gesamtsystem liegen.

Der Mercedes-Benz EQC 4matic ist das erste von insgesamt zehn Modellen, welche die Stuttgarter Autobauer in den nächsten fünf Jahren elektrifiziert auf den Markt bringen wollen. Das Design ist wohl immer Geschmackssache, aber rein optisch macht der erste echte Elektro-Benz schon etwas her, sowohl aussen als auch innen. Das ist nicht ganz unwichtig: Man hat nicht das Gefühl, in ­einem Fahrzeug Platz zu nehmen, dem Leichtbau und andere stromfahrzeugtechnische Konstruk­tionsmerkmale sofort anzumerken sind, sondern in einem marktreifen Produkt. In einem richtigen, massiven Auto, das bis ins kleinste Detail durchdacht ist und auch funktioniert und dem der Hersteller eine gewisse elektrische Intelligenz (EQ) verliehen hat.

«Nehmen Sie einen wenig aufgeladenen Wagen», empfahl die Dame bei der Registrierung im Flughafen Oslo, «dann können Sie gleich testen, wie die Schnellladung funktioniert.» Man hatte die Wahl, mit zu 30, 70 oder 100 Prozent geladenem Akku aus dem Elektroautos vorbehaltenen Flughafen-Parkdeck loszufahren. «Die Ladestation ist im Navigationssystem hinterlegt. Einfach nur aktivieren, und es führt Sie hin.» Mit anderen Worten: Alle für die Fahrt relevanten Daten waren bereits im System deponiert – nicht nur die Route, sondern auch der Standort der Ladestation, die Ladeart und der Zeitaufwand, den man fürs Schnellladen auf etwa 70 Prozent der Speicherkapazität zu kalkulieren hatte. «Trinken Sie solange einen Kaffee.»

Es werde Licht

Die Startknopfbetätigung provozierte das Aufleuchten einer ganzen Reihe von Informationen auf dem fast einen halben Meter breiten Instrumenten- und Multimedia-Display (Widescreen Cockpit), in den das Navi integriert ist. Von einem startenden Motor war nichts zu vernehmen. Kein Sirren, Summen oder ähnliche, vielen Elektrofahrzeugen eigene Geräusche.

Den aus anderen Mercedes-Modellen bekannten Wählhebel auf D gestellt, Fahrpedal betätigt, und los gings. Man hörte den Regen, das Reifenabrollgeräusch auf der nassen Strasse, den Scheibenwischer. Man spürte, gab man etwas Gas, Pardon, Saft, die sportliche, durch keine Gangwechsel unterbrochene, aber nicht unangenehme, lautlose Beschleunigung des Zweieinhalbtönners, der sich nicht nur in der Stadt flink bewegen lässt.

Über Mercedes me Charge hat man europaweit Zugang zu öffentlichen Ladestationen von über 300 Betreibern.

Überall aufladbar

Kurz darauf erreichte der EQC die im Navi ausgewiesene Ladesäule. Schnell den ziemlich schweren, schwarzen Ladestecker in die entsprechende Steckdose hinten rechts am Fahrzeug eingeführt und sogleich einen Kaffee in der Tankstelle bestellt. Zwei Mercedes-Fachleute erläuterten das komplexe System, das man mit einem Elektro-Benz kaufen kann, und weshalb und wie genau es das Fahren damit erheblich erleichtert. Über «Mercedes me Charge» habe man europaweit Zugang zu öffentlichen Ladestationen von über 300 Betreibern. Das klingt nach wenig, aber wenn man die EQC-optimierte Navigation richtig nutzt, dürfte einem der Strom nicht ausgehen. Es spielt dabei keine Rolle, welcher der Betreiber (wie etwa Ionity mit 400 Schnellladestationen bis 2020) die Station installiert hat. Laden kann man überall, und mit der Me-Charge-Ladekarte oder der entsprechenden App kann man auch überall bezahlen. Für zu Hause empfiehlt Mercedes-Benz die Wallbox Home, mit der alle batterieelektrischen Fahrzeuge der Marke bedeutend schneller aufgeladen werden können als mithilfe einer normalen Haushaltssteckdose.

Die EQC-optimierte Navigation hilft, dass einem nie der Strom ausgeht.

Nach 20 Minuten rollt der EQC mit fast vollem Reservoir (70%) durch strömenden Regen auf die Autobahn über etwa 60 Kilometer zum nordwestlich von Oslo gelegenen Hönefoss. Für diese Distanz reichte der geladene Strom locker, bei optimalen Bedingungen, etwa nicht zu kalten Aussentemperaturen, soll man aber mit voller Batterie weit über 400 Kilometer weit kommen – abhängig von der individuellen Fahrweise, versteht sich. Werkseitige Verbrauchsangaben wie 19.7 bis 20.8 kWh/100 km sind mit Vorsicht zu geniessen, liegen aber um einiges niedriger als bei vergleichbaren Modellen der Mitbewerber.

Rekuperieren à la carte

Der elektrische Antriebsstrang ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Strang, der sich aus dicken orangefarbenen Stromkabeln zusammensetzt, die das Herzstück des Fahrzeugs, eine Lithium-Ionen-Hochvolt-Batterie (80 kWh, 384 Zellen) und die beiden kompakten Asynchronmaschinen an Vorder- und Hinterachse verbinden. Sie sorgen mit 300 kW (408 PS) für emissionsfreien Vortrieb. Der vordere Motor ist für schwächeren und mittleren Lastbereich, der hintere für die Dynamik ausgelegt, und das bei höchstmöglicher Effizienz. Mit Schaltwippen am Lenkrad kann man den Rekuperationsgrad in fünf Stufen wählen, von einer Automatik für «situationsoptimierte Rekuperation» mit Eco-Assistent bis zu starker Rekuperation. Davon, wie der Antrieb seine Arbeit verrichtet, spürt man nichts – im Gegensatz zu einem Verbrenner (inzwischen ein politisch fast inkorrekter Ausdruck), dem man immer anmerkt, wenn er mehr arbeiten muss. Nur dass es einen bei starkem Beschleunigen ziemlich heftig in den ergonomischen, aber nicht zu harten Sitz drückt. Auf der Strasse erwies sich das Fahrwerk allen Herausforderungen gewachsen. Zum Glück gab es ein paar Passagen mit Schlaglöchern und holprigen Strassenstücken wie die alte Trasse der E16 am Tyrifjorden entlang, auf denen sich das ausgewogene Fahrwerk beweisen konnte.

Reines Offroaden zum Ausloten der Fahreigenschaften des Allradantriebs steht indessen leider nicht auf dem Programm, aber dafür sind diese edlen SUV irgendwie ja auch zu schade. Bergfahrten scheut der EQC nicht – die Serpentinen hinauf zum Holmenkollen bei Oslo stellen nicht wirklich ein Problem dar. Ganz im Gegenteil ist es viel mehr die Leichtigkeit, mit welcher der elektrische Benz die rund 370 Meter Höhendifferenz erklimmt, die begeistert.

28 Sensoren für die Sinne

Dass dem EQC sämtliche aktuell verfügbaren Sicherheits-Features eigen sind, ist bei einem Mercedes selbstverständlich. Die Mercedes-Demofahrer führten sie auf einem gesperrten Flugfeld bei Hönefoss vor: Vollbremsung beim Auffahren auf einen Stau, Ausweichen oder Bremsen zum Stillstand bei plötzlich auftauchenden Hindernissen wie Fussgängern oder Velofahrern (auf nasser Fahrbahn!) und schliesslich millimetergenaues automatisches Ein- und Ausparkieren ohne Lenk­eingriff, aber inklusive Notstopp bei einem im toten Winkel auftauchenden Fahrzeug, das man beim Rundumblick übersehen haben sollte. Rund 28 Sensoren rund ums Auto unterstützen die Sinne des Menschen am Steuer, der aber seine Aufmerksamkeitspflicht am Lenkrad auf keinen Fall zugunsten der elektronischen Helferlein aufgeben sollte.

Der Mercedes EQC 4matic eröffnet den Reigen der elektrifizierten Modelle der Stuttgarter. Beim Gasgeben spürt man die sportliche und nicht von Gangwechseln unterbrochene Beschleunigung.

Ein cleverer Stromer

Beim Mercedes-Benz EQC 400 steht – neben dem elektrischen Antriebskonzept – vor allem die Intelligenz des Fahrzeugs im Vordergrund. Dieses Auto ist Teil eines komplexen Systems geworden, das nicht nur fahrzeugspezifische Komponenten, Fahrzeugmanagement und Fahrassistenten einbindet, sondern auch Streckenplanung, Topografie, die Standorte der Ladestationen oder das Bezahlsystem. Das alles kann man kaufen, danach sollte man es erlernen und einüben, erst dann kann man es optimal nutzen. Vieles dabei ist allerdings selbsterklärend. Wie formuliert es der Hersteller? «Mit seinem intelligenten Zusammenspiel von Antrieb, Batteriemanagement, Lademanagement, Rekuperationsstrategien, digitalen Diensten und dem Infotainmentsystem Mbux markiert der EQC einen neuen Weg der Elektromobilität.» Kurz gesagt: Der EQC ist ein cleverer Stromer, der sich wunderbar fährt und für das, was er bietet, vernünftig bepreist ist. 

Technische Daten

Batterie80 kWh, Lithium-Ionen, 384 Zellen, flüssigkeitsgekühlt, 652 kg
Laden40 Minuten für 80 %, max. 11 h, Ladeleistung 7.4 – 110 kW
Motorkonstruktion2x Permanentmagnet-Synchronmotor
Leistung300 kW (408 PS)
Drehmoment760 Nm
KraftübertragungAWD, konstante Übersetzung
AbmessungenLänge x Breite x Höhe: 4761 x 1884 x 1623 mm, Radstand: 2873 mm
MassenLeergewicht (DIN): 2495 kg, Gesamtgewicht: 2940 kg
Kofferraum500 l
0–100 km/h5.1 s
Höchstgeschwindigkeit180 km/h
Reichweite (NEFZ)445–471 km
Verbrauch19.7–20.8 kWh/100km
CO20 g/km (aus Bereitstellung: 29 g/km)
Preisab 84 900 Fr.
Verfügbarkeitab sofort

2 Kommentare

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.