Stellen die immer strengeren Abgasnormen, der Kampf gegen das CO2 und die – wenn auch noch vorsichtige – Entwicklung der Elektromobilität eine Gefahr dar für die Tankstellen, wie wir sie kennen, oder signalisieren sie gar deren Aus? Die Erdölvereinigung (EV), deren 27 Mitglieder für 95 Prozent der Kohlenwasserstoff-Energieimporte in unserem Land verantwortlich sind, sieht keinen Grund zur Panik. Die Lobby der Schweizer Erdölbranche geht sogar noch einen Schritt weiter und meint, die Tankstellenbetreiber könnten zuversichtlich in die Zukunft blicken. Voraussetzung sei, dass sich die Dienstleistungsstationen an die neuen Mobilitätsbedingungen anpassten und ihr Angebot an alternativen Energien – besonders an Strom und Wasserstoff – ausbauten.
Globale Sicht
Diese Überzeugung veranlasste die EV Ende 2018 einen Designwettbewerb zu lancieren, der aufzeigen sollte, wie die Tankstelle bis 2030 und darüber hinaus aussehen könnte. Aus den fast zwei Dutzend Vorschlägen kürte die Fachjury das Projekt von Marco Brunori zum Sieger. Der 1990 geborene Schweizer Designer arbeitet bei Renault in Paris. Die globale Sichtweise seines Vorschlags und speziell die Berücksichtigung der sich wandelnden Infrastrukturen fanden angesichts der gesellschaftlichen und technologischen Umbrüche, die in der Autoindustrie und der Welt der Mobilität derzeit stattfinden, Anklang. Der Sieger, dessen Vorschlag auf dem EV-Stand am Genfer Autosalon präsentiert wurde, erweise sich durch die Berücksichtigung der Diversifizierung von Treibstoffen und Dienstleistungen als Visionär, erklärten die Organisatoren. So könne man sich die Tankstelle des nächsten Jahrzehnts vorstellen. «Die Fahrzeuge werden 2030 mit unterschiedlichen Energieformen betrieben. Die Herausforderungen der alternativen Antriebe und Treibstoffe sind enorm, und wir wissen nicht, welche sich durchsetzen werden. Es braucht eine flexible und modulierbare Architektur, damit die Tankstellen laufend mit der dynamischen Entwicklung Schritt halten können», erklärt Brunori.Der Designer schlägt ein rundes Gebäude mit drei Stockwerken vor, das sich innerhalb eines grossen Kreisverkehrs befindet. Drei Korridore sorgen für die Zufahrt, während das rasenbedeckte Dach für Besucher zugänglich ist. Das vierfach unterteilte Gebäude erlaubt das Tanken von Benzin oder Diesel, von Wasserstoff und das Nachladen von Akkus. Autonome Fahrzeuge parkieren um den mit Bäumen bepflanzten Innenhof herum. «Die in einzelne Zonen unterteilte Struktur mit einem gemeinsamen Zentrum hat den Vorteil, dass sie mit wenig Aufwand aus- oder umgebaut werden kann. Sie kann im Handumdrehen an die Marktentwicklung der Alternativen angepasst werden», argumentiert Marco Brunori.
Freizeitgelände
Der Wettbewerbssieger möchte die vielseitige und multifunktionelle Tankstelle der Zukunft aber auch als einen Ort des Wohlfühlens und der Freizeit verstanden wissen. Quasi eine Zen-Oase. Marco Brunori meint, das Zentrum würde von der Integration von Restaurants, Boutiquen und Läden profitieren, wie man das ja bereits heute kenne. Aber auch von Yogastudios, Fitnessräumen, Coiffeursalons oder vielleicht eines Drive-in-Kinos. «Die Absicht ist, möglichst viele Aktivitäten zu bieten und die Tankstelle zum Ort der Überraschung und der Entdeckung zu gestalten», sagt der Renault-Designer. «Während der dreissig oder sechzig Minuten, die das Nachladen eines Elektroautos dauert, könnten sich die Autofahrer die Füsse im Innenhof oder auf dem Rasen vertreten und vielleicht von einer Yogasession profitieren.»Die «Brunori-Tankstelle» besteht derzeit nur auf dem Papier, aber die EV stellt das Projekt allen Interessenten zur Verfügung, vor allem Architekten und Erdölfirmen.
Hyundai und H2 Energy
Bis es soweit ist, stellt sich die Branche auf die Zukunftsmobilität ein. Der koreanische Hersteller Hyundai tut sich mit dem Zürcher Unternehmen H2 Energy zusammen und will zwischen 2019 und 2023 in der Schweiz eine Flotte von 1000 Wasserstoff-Lastwagen in Betrieb nehmen. Die Nutzfahrzeuge werden über zwei Brennstoffzellen mit 190 kW verfügen und eine Reichweite von 400 Kilometern erreichen. Aber auch die Entwicklung künstlicher Treibstoffe (E-Fuels) schreitet voran. Diese könnten mit Strom, Wasser und CO2 produziert werden und eine neutrale CO2-Bilanz garantieren. Sie weisen noch einen weiteren Vorteil auf: Sie können mit den konventionellen Treibstoffen gemischt werden.