Bewältigt ist die Krise vielleicht noch nicht, aber der Weg zur Besserung zeichnet sich ab. Die Allianz Renault-Nissan-Mitsubishi hat erste Lehren aus den Vorwürfen zum Führungsstil von Carlos Ghosn gezogen. Vorbei ist es mit dem Direktorium der Holding Renault-Nissan B. V., jetzt gibt es den neuen Verwaltungsrat der Allianz. Die augenfälligste Änderung neben dem neuen Namen ist die Reduzierung von zehn auf vier Mitglieder. Das sind Renault-Präsident Jean-Dominique Senard, Renault-CEO Thierry Bolloré, Nissan-CEO Hiroto Saikawa sowie Mitsubishi-Motors-CEO Osamu Masuko.
Ein Neuanfang
Gemäss dem Abkommen, welches die vier Manager am 12. März unterzeichneten – der definitive Text wird auf Ende des Monats erwartet – «übernimmt der Verwaltungssrat der Allianz die Verantwortungen der RNBV» und wird zum «obersten Organ für die Entscheidungen und Aufsicht der gemeinsamen Geschäftsführung». Die Holding-Manager entfallen, der Verwaltungsrat «wird zum Aushängeschild und zum Symbol für einen neuen Anfang bei der Allianz», heisst es in der Pressemitteilung. Das Hervorheben des Neuanfangs ist ein klares Zeichen, die Partner ziehen einen entschiedenen Schlussstrich unter das Kapitel Ghosn, das gekennzeichnet war vom Bestreben, «alle Macht in den Händen eines Mannes zu konzentrieren», wie sich Hiroto Saikawa vergangenen November kritisch äusserte, als die Vorwürfe öffentlich wurden.Die Anklage gegen Ghosn löste eine Periode abgekühlter Beziehungen zwischen Renault und Nissan aus. «Wir fragten uns, ob wir ihnen weiterhin Informationen übermitteln könnten», gab Thierry Bolloré anlässlich eines Rundgesprächs am Genfer Salon zu. «Wenn man Zweifel hegt, kommt diese Art Misstrauen auf. Unsere Hauptaufgabe war es, diese Zweifel hinter uns zu bringen, es gab viel Wichtigeres anzupacken.»
Keine voreiligen Entscheidungen
Das Wichtigste war ein Weiterführen der Allianz-Projekte, die bis 2022 Synergien von zehn Milliarden Euro abwerfen sollen (gegenüber derzeit 5.7 Mrd. Euro). «Wir haben höchst bedeutende überschneidende Interessen, die aus 20 Jahren gemeinsamer Geschichte entstanden sind», betonte Thierry Bolloré. «So etwas schiesst man nicht von einem Tag auf den anderen ab. Wir müssen uns vor Augen halten, was wir in all den Jahren geschaffen haben und wie die Ergebnisse in den letzten Jahren noch drastischer Wirkung zeigten. Wir stehen kurz davor, mehr gemeinsame Projekte zu realisieren. Diese Produkte kommen demnächst auf den Markt.» Der CEO der Renault-Gruppe denkt dabei vor allem an den in Genf vorgestellten Renault Clio V. Der Stadtflitzer verwendet die neue CMF-B-Plattform der Allianz, welche auch für den nächsten Nissan Micra eingesetzt wird. «Wir möchten mittelfristig, also bis 2022, 80 Prozent unserer Modelle auf Plattformen der Allianz stellen», führt der französische CEO aus. «Die Synergien sind vor uns, nicht hinter uns. Man macht keine plötzliche Kehrtwendung, wenn man Dutzende Millionen in Fahrzeugarchitekturen, Elektronik und autonome Systeme investiert hat.»
«Scheitern ist keine Option»
Das erklärt auch das Bedürfnis nach einer effizienten Führung mit Zusammenhalt. Der Verwaltungsrat der Allianz verspricht denn auch Entscheidungen, die «auf Konsens basieren und die Win-win-Formel für alle drei Beteiligten unterstreichen». Die Wortwahl ist natürlich nicht zufällig. Die Partner streben ein neues Gleichgewicht zwischen dem französischen und den japanischen Unternehmen an. «Unsere Priorität bleibt die Allianz», betonte Thierry Bolloré. «Ein Scheitern ist keine Option. Wir kennen die Marschrichtung.»Die neue Führungsstruktur dürfte denn auch für ein besseres Gleichgewicht bei strategischen Entscheidungen zwischen den Partnerfirmen sorgen, wie das die in ihren Augen benachteiligten Japaner verlangt haben. Gleichzeitig bleibt aber die Aktionärsstruktur der Unternehmen unverändert und unausgewogen: Die Renault-Gruppe hält nach wie vor 43.4 Prozent von Nissan, umgekehrt sind es nur 15 Prozent. Wegen der speziellen französischen Gesetzgebung haben die Japaner mit ihren Aktienanteil bei Geschäftsentscheiden des Verwaltungsrats von Renault kein Stimmrecht. Auch das Recht, den Präsidenten für die Führung der Allianz zu stellen, fällt allein dem französischen Unternehmen zu.
Mehr Flexibilität
In Tat und Wahrheit ist die wirkliche Neuheit die Reduzierung der Ratsmitglieder von zehn auf vier. Das Ziel war, «schnellere Führungsentscheide» zu treffen und «flexibel handeln zu können». «Wir konzentrieren uns darauf, die Allianz anpassungsfähig zu machen, damit wir in diesem neuen Konkurrenzumfeld schneller reagieren können», blickte Thierry Bolloré am Genfer Salon, eine Woche vor dem Absegnen der Dokumente, in die Zukunft. Konkret bedeutet das, dass die Projektleiter direkt den Ratsmitgliedern unterstellt sind, was mehrere Zwischenstationen eliminiert.
Zielsetzung 2022
Keine Frage, die Zeit drängt. Die Allianz folgt einem präzisen Zeitplan für 2022: 240 Milliarden Umsatz, 10 Milliarden an Synergien und 14 Millionen Gesamtverkäufe (davon 9 Millionen auf gemeinsamen Plattformen). Und das ist noch nicht alles: Renault-Nissan-Mitsubishi hat sich zudem das Ziel gesetzt, zehn vollelektrische Modelle vorzustellen und 40 Modelle mit autonomen Systemen zu realisieren. Und das alles bis 2022. Dieser Zeitpunkt ist natürlich nicht aus der Luft gegriffen. Thierry Bolloré hat während des Rundgesprächs zwar nie ein Datum genannt und nur von einem «mittleren Zeithorizont» gesprochen. Aber 2022 läuft das Restated Alliance Master Agreement (Rama), die Gründungsvereinbarung der Allianz, aus. Das Dokument muss dann auf weitere zehn Jahre verlängert werden. Um die Gefahr einer Auflösung im Streit abzuwenden, haben die drei Partner beschlossen, sich so schnell wie möglich zusammenzuraufen, eine neue Basis aufzubauen und die Weichen neu zu stellen. Aber auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer Spaltung heute (trotz der Ghosn-Krise) minimal scheint, so ist jetzt schon fast sicher, dass Nissan mehr Gewicht in der Führung der Allianz verlangen wird, wenn das Rama 2022 neu ausgehandelt wird. Nissan ist im vergangenen Jahrzehnt stark gewachsen und übernahm 2016 30 Prozent von Mitsubishi. Die vordergründig lächelnden Gesichter können nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter den Kulissen harte Machtkämpfe ausgefochten werden.