«ROTER SPORTWAGEN AUS DER SCHEUNE»

Sie heissen «Kunst und Krempel», «Trödeltrupp» oder «Bares für Rares», die Fernsehsendungen, in denen man Experten losschickt, um alten Krempel zu schätzen, um Einblick in Scheunen, Estriche und Keller zu erhalten oder gleich das alte Erbstück gegen Geld loszuwerden. Allen diesen Formaten gleich ist der heimliche Wunsch, einen verborgenen Schatz zu entdecken oder zumindest mitzuerleben, wenn jemandem dieses Glück zuteil wird. Der Porsche mit der Chassisnummer 300057 ist so ein Schatz.

Die Geschichte vom Sensationsfund eines der ältesten Porsche 911 machte 2014 die Runde. Mitarbeiter der TV-Reality-Show «Trödeltrupp» entdeckten in einer Scheune in Brandenburg einen Porsche mit der Chassis-Nummer 300057. Oder präziser, der Trödeltrupp fand Dreiviertel des besagten Porsches. Abklärungen beim Werksmuseum in Zuffenhausen brachten den Findern Gewissheit, dass sie einen wahren Schatz entdeckt hatten. Und das Porsche Museum seinerseits gewann die Erkenntnis, dass man nie zu früh die Hoffnung aufgeben sollte. Denn in Zuffenhausen kam der An- ruf wie ein Wink vom Himmel. Rund 600 Fahrzeuge sind im Register der Porsche- Werkssammlung verzeichnet, die meisten in einem geheimen Fahrzeugdepot. Viele Autos befinden sich aber auch als Leihgaben bei den Ländervertretungen, in Museen und bei Partnern – die meisten fahrbereit.

Schmerzliche Lücke

Was Porsche jedoch fehlte, war ein Fahrzeug der allerersten Produktionsserie des 911ers. Dazu muss man wissen, dass der 911 eigentlich mit einer anderen Bezeichnung geboren wurde. Der zur IAA im September 1963 vorgestellte neue Sportwagen hiess zunächst 901. Bis zum Produktionsstart dauerte es nochmals fast ein Jahr. Am 14. September 1964 rollte das erste Exemplar des neuen Sechszylinders als Serienfahrzeug schliesslich vom Band. Wenige Tage später stand «la nouvelle Porsche» auch auf dem Salon d’Automobile in Paris. Hier entdeckten die Kollegen von Peugeot das Ungeheuerliche: Porsche verletzte die Markenrechte Peugeots. In Sochaux hatte man sich für alle wichtigen Automärkte dreistellige Nummern mit der «0» in der Mitte schützen lassen. Was tun? Der damalige Firmenchef Ferry Porsche gab sich auf die Nachricht nonchalant. In einem Schreiben vom 22. Oktober 1964 liess er verlauten, dass der 901 fortan halt ein 911er sein solle. Just an diesem Donnerstag fuhr man in Zuffenhausen, den letzten von drei an diesem Tag gefertigten 901ern, den Wagen mit Chassisnummer 300057 auf den Hof – der letzte 901 überhaupt. Abgeliefert wurde das Auto Ende November 1964 – allerdings als Porsche 911, aber mit der 901 auf dem Typenschild.

Warum nicht Nummer «82» der letzte 901er ist.

Genau 82 Stück des 901 waren bis zu Ferrys Schreiben vom 22. Oktober 1964 gebaut worden. Dass die Autos nicht der Reihe nach gefertigt wurden, hat folgenden Grund: Man schickte die Karosserien jeweils nach Farben zusammengefasst durch die Lackierkabine – logisch, sonst hätte man für jede einzelne Karosserie die Farbe wechseln müssen. Bei nur 3 Fahrzeugen pro Tag gab es nur diese eine Kabine, zudem war der 901er zunächst noch ein zusätzliches Modell neben dem bis April 1965 weitergebauten Porsche 356.

Dreiviertel Auto

Porsche bot dem alten Besitzer des letzten 901ers die Summe von 107 000 Euro. Zusätzlich kaufte die Werkssammlung auch einen weiteren 911er aus derselben Scheune, ein 911L von 1968 für 14 500 Euro. Beide Wracks, und ein Gitterwagen voller Porsche-Teile, welche unter einem Berg von weiterem Krempel und Schutt zum Vorschein kamen, landeten in der Werkstatt des Porsche-Museums. Hier galt es, nochmals die Authentizität zu prüfen und zu ermitteln, wie viel Substanz von Wagen Nummer 57 tatsächlich noch da war. Fest stand, Kotflügel vorne und Türen fehlten, der Vorbesitzer hatte sie, marode wie sie waren, bereits vor Jahrzehnten ab- und auseinandergebaut und das rostige Blech weggeworfen. Die gute Nachricht: Türpaneele und, ganz wichtig, die Fensterrahmen und Seitenscheiben, genauso wie die Lampentöpfe fanden sich im reichen Fundus der mitgelieferten Altteile. Mit äusserster Vorsicht baute die Mannschaft der Museumswerkstatt die Reste auseinander und war peinlich darauf bedacht, nichts wegzuwerfen. Wie vermutet, präsentierte sich die Rohkarosserie von «57» mit starken Korrosionsschäden. Doch statt auf übliche Reparaturbleche zurückzugreifen, besorgte man sich eine möglichst zeitnah entstandene, intakte Rohkarosse, ein Baujahr 1965. Doch die Hauptverantwortlichen des Projekts, der Direktor des Porsche Museums Achim Stejskal, der Manager der historischen Porsche-Sammlung, Alexander E. Klein, und Museumswerkstattchef Kuno Werner, wählten damit den weit schwierigeren von zwei möglichen Wegen. Ziel war es nämlich, das Maximum an Originalsubstanz zu erhalten. Das heisst, sie tauschten nicht einfach die Karosserie aus, sondern nutzten die intakte 65er Blechhülle als Teilespender für den maroden, doch weitaus interessanteren 64er Porsche. Nur gerade 242 Stück des neuen Sechzylinder-Sportwagens bauten die Stuttgarter im ersten Produktionsjahr.

Spuren der Herstellung

Nach der Totalzerlegung wanderte das Blech von Nummer 57 in das Tauchbad, um von Lack und Rost befreit zu werden. Auf diese schonende Weise bleiben sämtliche Bearbeitungsspuren im Blech erhalten, selbst die verschiedenen Blechstärken und die unterschiedlichen Färbungen der Stahlsorten sind danach wieder erkennbar. Dank diesem Prozess war auch eindeutig belegt, dass 300057 echt war, denn allfällige Schweiss- und Schleifspuren wären so unerbittlich entlarvt worden. Die Chassisnummer auf dem rechten Träger im vorderen Kofferraum wie auf der Unterkante des Armaturenbrett unter dem Handschuhfach zeigten keine Spuren der Manipulation. Start frei also für den folgenden, dreijährigen Wiederaufbau.

Die geschweisste Karosserie wanderte – nach viel Handarbeit und Anpassungen, beispielsweise der fremden Türen, in klassischer Manier mit Zinn, Holzspatel und Karosseriefeile – in ein Kataphoresebad. Nicht in irgendeines, sondern dasjenige der aktuellen 911er-Produktion. Dazu musste die Rohkarosse nicht nur perfekt sauber sein, das Bad mit 180° Temperatur ist für das aufgebrachte Zinn eigentlich zu heiss. Abgekühlt wird es nur zur Wochenendpause. So erhielt 300057 seinen porentiefen Rostschutz am Sonntagnachmittag – kurz bevor das langsame Aufwärmen des Tauchbads für die erste Schicht am Montagmorgen wieder beginnt.

Lernen am Objekt

Die Restauration danach gestaltete sich, wen wunderts, weit aufwändiger als gedacht. So gab es in den ersten Produktionsmonaten diverse Änderungen, viele davon aufgrund von Kundenreaktionen. Eine grosse Unbekannte bis zum Schluss blieb beispielsweise die ursprüngliche Auspuffanlage. Gemäss Bildern besass der 901 einen relativ eckigen Quertopf mit auffallend langem Endrohr. Wie Porsche gesteht, gibt es nicht einen einzigen noch als Originalteil. Dessen innerer Aufbau liegt im Dunkeln. Wagen Nummer 57 trägt deshalb eine Abgasanlage nach Baumuster 1965. Einen Unterschied jedoch gibt es: Wie der 356 (und zeitgenössische VW Käfer) besass der 901 unter den Zylinderbänken jeweils eine Heizbirne – Wärmetauscher in denen Frischluft an den heissen Auspuffkrümmern vorbei strömt. Diese hatten sich jedoch als heikel erwiesen, da die frühen Ventildeckeldichtungen aus Kork immer etwas schwitzten und das entsprechend auf den Wärmetauscher gelangte Öl für Gerüche im Innenraum sorgte. Ab 1965 sitzen deshalb die Wärmetauscher beim Getriebe und die Rohre führen über, statt unter der Achse hindurch.

Quadrat statt Raute und andere Extras

Vom Dachhimmel fanden sich nur noch Fragmente. Diese erwiesen sich jedoch als besonders wertvoll: Das Lochmuster in Kunstleder ist quadratisch statt rautenförmig. Erstaunlich: das Werkzeug zum Ausstanzen der Löcher fand sich noch immer im Porsche-Fundus. Den Teppich liess man aus ähnlichem Material gleich zweimal herstellen, die erste Ausführung hatte sich nach wiederholtem Studium der Reste als falsch erwiesen. Eine spezielle Rolle spielten Details wie der Griff für den Ascher oder den Rücksteller des Tageskilometerzählers. Sie wurden als 3D-Print neu erstellt. Für den durchgerosteten Aschenbecher (!) bauten die Lehrlinge von Porsche ein entsprechendes Werkzeug, um dessen Boden neu zu pressen, ebenso die Bremsankerplatten. Der Motor wurde überholt, die Kolben sassen bombenfest in ihren Zylindern. Mit viel Geduld, Rostlöser, Wärme und kurzen, bedachten Hammerschlägen gelang es schliesslich, die innige Verbindung zu lösen. Die Zylinderköpfe liessen sich wiederverwenden, ebenso die rechte Nockenwelle. Ersatz für den Rest leisteten NOS-Teile. Auch die mechanische Zwillings-Benzinpumpe wurde revidiert, ein Unikum von 1964, der 65er hat ein elektrische Pumpe. Diese und weitere Details fallen dem geübten Kennerauge beim Blick unter den Heckdeckel sofort auf. Alle Schrauben, die Riemenscheibe und verschiedene Halter und Briden sind weissverzinkt statt gelb wie bei allen späteren Jahrgängen. Die Hecktraverse mit dem Haubenschloss ist glatt ohne Prägungen. Unter den Wagen fallen die eigenartigen Halbwellen auf: statt einer verzahnten Welle in einem Schubrohr und homokinetischen Gelenken mit Manschetten gibt es Getriebe- und Radseitig ein offenes Kreuzgelenk. Der Längenausgleich erfolgt auf Getriebeseite mit einem weiteren, kurzen Zwischenhebel am Kreuzgelenk. Das wirkt sehr krude, war aber nicht nur einfacher herzustellen, sondern auch relativ leicht.

Zum Fahren gebaut

Nun steht die 57 wieder in der Originalfarbe 6407 «Signalrot» lackiert da. Im Innern tragen die beiden Notsitze noch immer das originale Kunstleder, das Glas rundum ist das alte, sogar mit den Aufklebern des Vorbesitzers. Da und dort zeigt es einen Kratzer. Überhaupt ist der Wagen kein überrestauriertes Showfahrzeug oder gar ein Museumsobjekt geworden. Wie Sammlungs-Chef Alexander E. Klein betont, ist der letzte Porsche 901 zum Fahren gedacht. Dies soll er, wenn er nicht als Star auf seinem ihm zugedachten Parkplatz im Museum parkiert ist, denn auch ausgiebig im Porsche-Jubeljahr tun. Wir freuen uns, den Wagen demnächst in Aktion erleben zu dürfen. Doch nun muss 300057 erst einmal eingefahren werden. Denn alles hat seine Ordnung, ganz besonders bei Porsche.

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