Eine volumenmässig bedeutende Automarke wird in der Schweiz nicht produziert. Allein, die Schweizer Zulieferer der Automobilindustrie ergeben in ihrer Summe einen nicht wahrhaftig wahrgenommenen Giganten. Die Autobranche ist hierzulande zwar kaum direkt sichtbar, ihre Exportkraft indes mächtig. Gut 20 000 Menschen zirka dürften ihr Brot darin verdienen. Dies bei einer geschätzten Bruttowertschöpfung von rund 10 Milliarden Franken – nicht wirklich unbedeutende Zahlen. Genauso, wie wir keine eigene Automarke fabrizieren, gibt es seit der Le-Mans-Katastrophe von 1955 auch keine Rundstreckenrennen respektiv ernst zu nehmende Rennstrecken mehr in der Schweiz. Am 11. Juni 1955 säumten seinerzeit 250 000 Fans die 14 km lange Rennstrecke von Le Mans (F). Um 18.19 Uhr, zwei Stunden nach dem Start, krachte der Franzose Pierre Levegh nach einer Kollision mit 260 km/h vor der grossen Tribüne in die Abschrankung, wurde in die Luft geschleudert, fiel auf die Fahrbahn zurück, und der Wagen explodierte. Rasiermesserscharfe Teile des Rennwagens durchbohrten Menschen und verstümmelten sie. Feuer brach aus. Der Unfall forderte 85 Tote und 100 Verletzte. Der damalige Renndirektor Charles Faroux liess weiterfahren. Was im ersten Moment pietät- und herzlos anmuten mochte, hatte einen wohldurchdachten Hintergrund. Hätte Faroux das Rennen nämlich abgebrochen, wäre ein Durchkommen für die Retter und Rettungsfahrzeuge unmöglich geworden. So blieben die engen und begrenzten Zufahrten frei. Zehn Tage nach der Katastrophe sagte Pfarrer Morgenthaler in den barocken Gewölben der Heiliggeistkirche zu Bern: «Auf irgendeinem Wege sind wir alle ein wenig mitschuldig an dem, was in Le Mans geschehen ist. Die Menschen in aller Welt hätten schon lange vor Le Mans allerlei Grund gehabt, aufzustehen und gegen solche Anlässe aufzutreten in einer Weise, dass sie sehr schnell von der Bildfläche unseres modernen Lebens verschwunden wären.» Die Kirchgemeinde liess den Worten Taten folgen und heisst eine Resolution gut, die ein Verbot von Rundstreckenrennen auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft fordert.
Rennen in Zürich geplant
Nun, möglicherweise wird dieses prähistorische Verbot bald Geschichte. Am 10. Juni 2018 soll nämlich der Start zum E-Prix Zürich erfolgen. Den Lead hat der Verein «e-mobil Züri» und «OK E-Prix Zürich» um OK-Präsident und FDP-Gemeinderat Roger Tognella. Vorgesehen ist ein Rundstreckenrennen vom Hafen Enge über den General-Guisan-Quai sowie die Stocker-, Dreikönig-, Gotthard- und Alfred-Escher-Strasse. Noch fehlt indes die Bewilligung des Stadtrates. «Die Stadt hat noch einige Auflagen, welche die Organisatoren erfüllen müssen», sagt Mathias Ninck, Sprecher des Zürcher Sicherheitsdepartementes. Allein an dieser Zusage dürfte es kaum scheitern. Zu viel wirtschaftliche und politische Macht ist in den Reihen der Befürworter vereint. Entschieden wird im Januar; nichtsdestotrotz figuriert das Rennen bereits im offiziellen Kalender.
Finanziell würde der Event 100 % von privater Seite getragen. Allein die Bank Julius Bär hat als Globalsponsor der ersten Stunde ein lebhaftes Interesse daran, dass das «Heimrennen» sehr bald stattfindet; so lange ein solches noch bezahlbar ist. 10 bis 15 Millionen Franken kostet den Veranstalter derzeit ein Formel-E-WM-Lauf. Ein Klacks vis-à-vis einem Formel-1-«Gig». Doch auch in der Formel E wird es künftig massiv teurer. Viele Städte buhlen als Veranstalter und nahezu alle namhafte Marken und Piloten drängen in die Serie. In eine Serie, in welcher der Romand Sébastien Buemi seit der Lancierung 2014/2015 der «König» ist. Buemi ist Weltmeister 2016 und zweifacher Vizeweltmeister. Mit dem Seeländer-Le-Mans-Sieger Neel Jani und dem Wahl-Genfer Edoardo Mortara sind zwei weitere Schweizer neu in der Formel E am Start. All das spielt Zürich als potenziellen Veranstalter sehr in die Karten. «On verra».
Stark da und dort
Es wäre dem Land und den vielen Fans des faszinierenden Motorsports zu gönnen, wenn es am 10. Juni tatsächlich zu einem Rennen käme. Wie Figura zeigt, sorgen Motorsportlerinnen und Motorsportler helvetischer Abstammung im In- und Ausland regelmässig für Furore. Die Schweizer Meisterschaft stand heuer vorab am Berg zwar unter keinem sonderlich glitzernden Stern. Nichtsdestotrotz liess es der Berner Marcel Steiner krachen und holte sich nach 2010, 2011 und 2012 den vierten Meistertitel. «Ich freue mich riesig, bereits im zweiten Jahr der Entwicklungsphase des LobArt/Mugen den Titel eingefahren zu haben.» Aber auch auf dem internationalen Parkett gab es heuer viele Bravourstücke von Schweizerinnen und Schweizern zu bejubeln und bewundern. Ob jünger oder schon etwas älter, ob weiblich oder männlich oder ob erfahren oder noch taufrisch hinter den Ohren…
Michael Schenk / Werner J. Haller