FRAUEN UND AUTO: IM ZENTRUM DER AUFMERKSAMKEIT

Frauen werden eine immer wichtigere Zielgruppe für die Automobilbranche. Im Kompetenzzentrum «Frau und Auto» der Hochschule Niederrhein (D) widmen sich fünf Professorinnen und Professoren intensiv deren Bedürfnissen und Wünschen im Bezug auf das Auto.

Andere Lebensumstände bedingen andere Anforderungen an Mobilität, gerade wenn es um das persönliche Fortbewegungsmittel geht. Waren Frauen früher eher im Haushalt tätig, sind heute immer mehr von ihnen berufstätig und unabhängig. Das bedeutet auch, dass sie mobil sind und sein müssen. So steigt auch die PW-Besitzquote im Segment Frauen schon seit Jahren kontinuierlich an. Die von der Shell-Studie (hier der Link zur aktuellen Studie) 2004 erwartete Angleichung dieser Quote innerhalb der nächsten 20 Jahre zwischen den Geschlechtern ist zumindest bei der Gruppe der 18- bis unter 30-Jährigen in Deutschland schon nahezu erreicht (siehe Grafik). Auch wenn der prozentuale Anteil der PW-Halterinnen und -Halter unter den jungen Menschen in den letzten 25 Jahren stark zurückgegangen ist, gibt es also insgesamt einen zahlenmässigen Ausgleich des Autobesitzes zwischen den Geschlechtern. Warum fristet die Thematik «Frauen und Autos» gefühlsmässig also immer noch eine Art Nischendasein und ist eher für Lacher als für ernst zu nehmende Auseinandersetzungen zuständig? Zumal gemäss einer Nissan-Studie 80 Prozent aller Entscheidungen beim Fahrzeugkauf von Frauen beeinflusst werden. Dies schlägt sich nicht nur im Autodesign selbst, sondern auch in der Verkaufsstrategie und den Shop-Konzepten nieder. Wir haben dazu Prof. Dr. Doris Kortus-Schultes dazu im Interview befragt.

Prof. Dr. Doris Kortus-Schultes

«Automobil Revue»: Worin besteht der Forschungsauftrag des Kompetenzzentrums «Frau und Auto»?

Prof. Dr. Kortus-Schultes: Wir haben am 17. 11. 2003 mit der Arbeit des Kompetenzzentrums begonnen und die Bedürfnisse, Anforderungen und Wünsche von Frauen, die mobil sind, erfragt. Der signifikanteste Unterschied zwischen Frauen und Männern, welcher sich in vielen internationalen Untersuchungen widerspiegelt, ist die Nutzung der Zeit im Auto. Unsere Fragestellung lautet: Wie nutzen Frauen Autos, und wie kann ihre Zeit im Auto noch verbessert werden?

AR: Wie haben sich die Veränderungen im Arbeitsmarkt, dass immer mehr Frauen berufstätig sind, bei den Automobilherstellern und konkret den neuen Modellen niedergeschlagen?

K.-S.: Es hat sich dahin gehend ausgewirkt, dass das Auto immer mehr Arbeitsraum wird. Früher war das Auto für die Männer vor allem ein technisches Faszinosum. Diese Herangehensweise ist bei Frauen nicht so stark ausgeprägt. Sie sehen das Auto eher als Lebens- und Arbeitsraum und als dieser muss es vor allem praktisch sein. Ablageflächen sind zum Beispiel gefragt. Hohe Sicherheit und günstiger Verbrauch sind auch ein Thema. Das klingt erst mal unsexy. Aber hier sind in den letzten Jahren viele Verbesserungen gemacht worden, die die Bedürfnisse der Frauen mehr berücksichtigen.

AR: Wo gibt es Ihrer Meinung nach bei den Autoherstellern generell noch Nachholbedarf im Bezug auf das Thema «Frauen und Autos»?

K.-S.: Frauen sind nicht die «Lieblingskunden» der Autobranche, weil sie im Schnitt kleinere Autos fahren. Diese werfen für die Autobranche weniger Gewinn ab. Sie machen mehr Besorgungsfahrten, aber absolvieren weniger Gesamtkilometer. Frauen interessiert deshalb vor allem, wie sie die Zeit im Auto zwischen ihren vielen Stopps nutzen können, vor allem mit Smartphone. Und hier gibt es einen grossen Tadel an die Automobilbranche: In der Oberklasse finden sich viele technische Annehmlichkeiten, aber in den Kompaktwagen oder auch Kleinwagen lässt die Ausstattung diesbezüglich zu wünschen übrig. Dies wird in Zukunft von berufstätigen Frauen nicht mehr toleriert werden.

AR: Digitalisierung und autonomes Fahren sind die zentralen Entwicklungen in der Autobranche weltweit. Wie sehen Sie hier die Entwicklungen in den nächsten Jahren?

K.-S.: Das «Internet of things» wird immer mehr in den Bereich der Basislösungen gehören. Man erhält Paketlieferungen nach Hause oder in den Kofferraum – das alles wird normal werden. Im Blick auf die junge Generation ist dabei festzustellen, dass sich die quantitative Nutzung der digitalen Medien von Frauen und Männern nur wenig unterscheidet. Wir haben diese jungen Menschen befragt, wie sie sich die Zeitnutzung im autonomen Fahrzeug vorstellen. Diese gaben als Antwort zum Beispiel an, dass sie Fitness während des Transports von A nach B machen können wollen. Solche Bedürfnisse werden Auswirkungen auf das Design des Innenraums haben. Was ebenso interessant ist, sind die neuen Shop-Konzepte. Pionier ist Hyundai Rockar in Grossbritannien, die in einem Einkaufszentrum im ersten Stock ohne die Präsentation eines Autos, dafür aber mit Frauen als Beraterinnen, eine neue Art Autos zu verkaufen lanciert hat. Die Frauen sind weniger Verkäuferinnen, sondern sie stellen unter Einsatz von digitaler Technik die Modelle alltagsnah vor. Sie kommunizierten in einem Vokabular und in einem Problembewusstsein, die dem des potenziellen Kunden entspricht.

AR: Wo sehen Sie in Zukunft die Aufgabe des Kompetenzzentrums «Frau und Auto»?

K.-S.: Gerade im Hinblick auf den gros­sen Umbruch, vor dem wir momentan in der Autobranche stehen, kann das Kompetenzzentrum die Stimme für die Verbraucherinnen sein. Wenn Sie als Autohersteller investieren, dann überlegen Sie sich genau, worin, denn das Geld steht auch nur einmalig zur Verfügung. Hier können wir Hilfestellungen, ausgehend von den Bedürfnissen der Hälfte der Bevölkerung, geben. Ich denke, da gibt es in den nächsten Jahren viel zu tun.

 


Ode an die Unterschiede

Auch Konnektivität und Technik sind für Frauen ein immer wichtigeres Ausstattungsmerkmal. © Ch. Specht

Frauen können schlechter einparken. Männer fahren risikoreicher. Na und? Ich kann auch schlechter singen als mein Mitbewohner. Und ich habe auch andere Programme auf meinem Computer als mein bester Freund – trotzdem besitze ich einen Computer. In einer Zeit, in der sich existenzielle Fragen um den Weiterbestand der Menschheit auftun, sollten wir darüber hinweg sein, uns untereinander auf unsere Unterschiede hin zu beurteilen. Vielmehr sollten wir sie beachten. Es ist doch jeder anders als alle anderen. Auf einen Besitzanspruch à la «Das Auto gehört mir, ich habs zuerst gehabt» zu bestehen, mutet selten kindisch an. Abgesehen davon, dass es antiquiert und überholt ist, ist es auch rein ökonomisch nicht vertretbar, über 50 % der Bevölkerung als potenzielle Kundinnen zu bevormunden oder gar zu übergehen. Zumal wichtige Schritte in der Automobilgeschichte auch von Frauen getan und andere durch sie begleitet worden sind.

Mensch ist Mensch und dieser lässt sich durch viele unterschiedliche Merkmale gruppieren. Das biologische Geschlecht ist hierbei nur das einfachste, da offensichtlichste. Die Anforderungen an ein Fahrzeug sind doch am ehesten abhängig von der Lebenssituation des Einzelnen. Und diese ändert sich mit dem Aufbrechen tradierter Rollenbilder zunehmend. Und wenn es mal so war, dass der Besitz eines Autos an das Geschlecht gekoppelt war, dann auch nur deshalb, weil Frauen und Männern gesellschaftlich nur bestimmte Lebensentwürfe erlaubt waren – und andere verboten. Dieser Zwang, bestimmten Normen aufgrund des Geschlechts entsprechen zu müssen, ist in meiner Generation zum Glück überholt – auch wenn wir uns als Gesellschaft an deren Umsetzung im Alltag oft noch schwertun.

Gleichberechtigung heisst nicht, jeden am gleichen Massstab zu messen und ihn danach zu beurteilen. Gleichberechtigung bedeutet, eine Ausgangsbasis dafür zu schaffen, dass jedem mit unterschiedlichen Voraussetzungen die gleichen Möglichkeiten offen stehen. Und dafür benötigt jeder etwas anderes. An dieser «positiven Ungleichbehandlung» ist nichts unfair. Ganz im Gegenteil, sie ist zutiefst fair. Frauen sind anders, Männer auch. Unterschiede sind die Regel, nicht die Ausnahme. Und es ist längst an der Zeit, sich darüber zu freuen. Wer diese Unterschiede hernimmt, um andere kleinzumachen, der hat die Zeichen der Zeit verkannt und es ausserdem wohl nötig. Und – die Kind-Metapher wieder aufgreifend – der wird nur allzu schnell als Letzter mit seinem Bobbycar in der Ecke stehen und ewig gleich beleidigt stammeln: «Aber ich habs doch zuerst gemacht», während es niemanden mehr juckt und alle anderen Spass haben – die eine mit einem grösseren Wagen, der andere mit etwas Pragmatischerem. Je nachdem, wie der jeweilige Mensch es gerade braucht und womit er sich wohl fühlt.

Christiane Specht

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