Man könnte es doch glatt als Fusionsküche bezeichnen, was uns der Elektrofahrzeughersteller Thunder Power serviert. So vereint die sehr internationale Jungmarke mit Sitz im chinesischen Hongkong ein asiatisches Management mit einer vor allem europäisch orientierten Mannschaft im Technikbereich.
CEO des Unternehmens ist Wellen Sham (auch bekannt als Shen Wei), ein aus Taipeh/Taiwan stammender Geschäftsmann. Die Technik ihrerseits wird von Peter Tutzer verantwortet, der in seiner Autokarriere zuvor bei Lotus, Porsche und Bugatti tätig war. Der Deutsche war zum Beispiel bei Bugatti für die Entwicklung des Veyron verantwortlich.
2015 noch Neulinge
Thunder Power feierte 2015 an der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt (D) Premiere und präsentierte gemäss dem damaligen Pressetext ein «innovatives Premiumelektroauto». Man wollte mit dem schnittigen Viertürer namentlich der in diesem Segment dominierenden Marke Tesla (Model S) Paroli bieten. Das Design des asiatischen Flüsterers mit Namen «Sedan» erinnerte an den Maserati Ghibli, schliesslich wurden sowohl der Thunder-Power-Prototyp als auch der Ghibli bei Zagato entworfen.
War Thunder Power vor 2015 namentlich durch den Absatz von Batterien, Elektromotoren und Ladestationen in Erscheinung getreten, wollte man einen komplett selbst entwickelten Elektropersonenwagen lancieren. Das Modell verfügt über eine 125-kWh-Lithium-Ionen-Batterie, welche eine Reichweite von bis zu 650 Kilometern (NEFZ) ermöglichen soll. Nach dieser Premiere vor zwei Jahren kehrte Thunder Power nun an die IAA zurück, um eine «serienreife Weiterentwicklung» und ein neues Konzept vorzustellen.
Seither hat sich viel getan
Thunder Power hat vor Kurzem für die Herstellung seiner Autos ein neues Fertigungszentrum in Ganzhou in der südostchinesischen Provinz Jiangxi eröffnet, dies als Milliarden-Joint-Venture mit dem staatlichen Industriefonds Gannan. In Spanien schloss CEO Wellen Sham mit der Provinzregierung ein Übereinkommen über den Bau einer zweiten Fertigungsanlage in Katalonien.
Einen weiteren Europabezug stellt das in Lonate Pozzolo bei Mailand (I) domizilierte Entwicklungs- und Design-Center (R&D) her. Generaldirektor von Thunder Power in Italien ist der frühere Alfa-Romeo-Manager Christopher Nicoll (vgl. Interview), er ist auch Verkaufs- und Marketingdirektor bei Thunder Power. Ferner unterzeichnete Electric Power Technology, die Schwestergesellschaft von Thunder Power, mit der taiwanesischen Stadt Taoyuan einen Vertrag über den Bau eines Werks für Batterien.
Neue Plattform entwickelt
In Frankfurt enthüllte man 2017 nicht nur die Weiterentwicklung des «Sedan», sondern mit dem Elektro-SUV «Future Vision» auch eine weitere Weltpremiere. Das vom Designteam in Italien entworfene SUV soll 2020 debütieren. Ferner zeigte man an der IAA eine neue elektrische Plattform. Ihren Elektromotor gibt es in diversen Varianten, die stärkste hat eine Systemleistung von maximal 430 kW, was einen Topspeed von 240 km/h ermöglichen soll.
Thunder Power will innerhalb der nächsten zwei Jahre die Serienfertigung des Sedan starten, damit er ab 2019 gekauft werden kann. Der Basispreis wird laut Christopher Nicoll rund 65 000 Euro betragen. Ferner bereitet man die Lancierung einer auf 488 Stück limitierten Sonderserie eines Coupés per 2. Quartal 2019 vor. Bei diesem E-Renner mit einer Leistung von 488 kW werden alle vier Räder angetrieben sein. Man darf sich also darauf freuen, was bei Thunder Power künftig an Fusionsküche-Menüs kredenzt wird.
«VIEL SPORTLICHKEIT UND AUTONOMIE»
«Automobil Revue»: Ist Thunder Power völlig neu und unabhängig, oder ist man bereits Teil eines etablierten Konzerns?
Christopher Nicoll: Thunder Power war beim IAA-Debüt 2015 ein absolut neues Unternehmen, das neue Technologie zeigte. Und auch heute, zwei Jahre später, sind Plattform, Chassis und die Aufhängung neu.
Der Hauptsitz ist zwar in Hong-kong, doch die Marke ist sehr international.
Das stimmt. So haben wir zwar die Zentrale in China, doch unser Produkt ist absolut international. Das Design ist original von Zagato und somit italienisch, dann stammt die Mehrheit der Ingenieure entweder aus Deutschland oder Italien.
Versteht sich Thunder Power als Tesla-Konkurrent?
Sehen Sie, vor zwei Jahren bei unserem Debüt wurde ich an der IAA weniger über unsere Produkteneuheit denn über die Konkurrenzsituation auf dem Markt befragt. Oder man wollte von mir wissen, ob sich die Elektrofahrzeuge effektiv würden durchsetzen können. Heute werden mir ausschliesslich Fragen über das Produkt gestellt. Nun ist Tesla sicher in unserem Segment eine Benchmark, doch wir machen unsere eigenen Autos. Wenn unser Kind da ist, lasst uns doch dann einen Vergleich zwischen den Produkten ziehen.
Was werden dann die spezifischen Eigenschaften der Thunder-Power-Limousine sein?
Wir legen viel Wert auf ein dynamisches und sportlich orientiertes Chassis. So arbeiten viele deutsche Ingenieure daran, es wird aber auch eine italienische Ausprägung haben. Eine weitere Eigenschaft wird die hohe Reichweite sein. Viel Sportlichkeit und Autonomie sind für uns die Kernwerte. Was wir anbieten werden, ist ein absolut alltägliches Elektrofahrzeug mit viel Sport und Luxus.
Wie passt der Name Thunder Power zu so etwas Leisem wie einem Elektroauto?
Sehr gut sogar! Unser Name wurde aus der asiatischen Zen-Philosophie heraus inspiriert. Und dort geht es stark um Schlichtheit und Ruhe in Verbindung mit Dynamik. So wird auch unser Auto sein.
Wird Thunder Power auch in der Schweiz erhältlich sein?
Zum Markteintritt in Europa werden wir sicher auch in der Schweiz zu kaufen sein. Gerade kürzlich war ich in der Schweiz zu Gesprächen, wie wir dort unser Händlernetz installieren wollen. Wir haben bemerkt, dass gerade Tesla in der Schweiz sehr beliebt ist und das Land eine grosse Vorliebe für Technologie hat. Deshalb denke ich, dass wir mit unseren Premiumprodukten auch in der Schweiz erfolgreich sein können.
Mit eigenem Vertriebsnetz?
Nun, in China wird das sicher so sein. Für Europa haben wir noch nicht endgültig entschieden, ob wir das selbst oder mit Partnern machen. Beides hat Vor- und Nachteile. In Europa hängt es davon ab, wie sich der Markt in den nächsten zwei Jahren entwickelt. Dies wird nicht zuletzt davon geprägt, in welchem Ausmass Verbrennungsmotoren durch die öffentliche Hand verbannt werden.