VON VERSCHWÖRUNGSTHEORETHIKERN UND WAHRHEITSSUCHENDEN

Mit Sebastian Vettel gewinnt in Monte Carlo der «falsche» Ferrari-Pilot. Titelherausforderer Lewis Hamilton fühlt sich jedoch im Mercedes richtig fehl am Platz.

Die einen rieben sich verwundert die Augen, andere klatschen gleich verzückt in die Hände, als sich Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen in Monaco überraschend den wichtigsten Startplatz des ganzen Formel-1-Jahres geholt hatte: Die Pole-Position beim Strassenroulette in Monte Carlo, wo überholen fast unmöglich ist. Der 37-jährige Finne blieb auch neun Jahre nach seiner letzten Pole (Frankreich 2008) stoisch ruhig: «Natürlich ist das hier der beste Startplatz, aber garantieren tut er mir gar nichts.» Mehr Emotionen zeigte da schon sein Teamkollege Sebastian Vettel, der die Pole um 0,043 Sekunden verpasst hatte: «Kimi hat einen guten Job gemacht, das Team freut sich über die Frontreihe – aber ich bin nicht so happy, wie ich es sein möchte.» Dabei war das dritte Training wenige Stunden vor der Quali doch noch eine Machtdemonstration des Deutschen: Mit 1:12,395 Minuten hatte sich Ferraris Titelhoffnung auf dem 3,3 Kilometer langen «Gassengeschlängel» einen innoffiziellen Rundenrekord geholt.

Die beiden Ferrari-Piloten freuten sich ziemlich unterschiedlich über ihren Podest-Platz. Nichts zu lachen hatte auch Lewis Hamilton, der auf dem für ihn ungewohnten siebten Rang ins Ziel fuhr. © mspb

Merkwürdiges Manöver

Tags darauf waren die Rollen vertauscht: Vettel vor Räikkönen (und Red Bulls Daniel Ricciardo), oder der erste Sieg eines Ferrari beim Klassiker im Fürstentum seit 2001 mit Michael Schumacher! «Unglaublich!», meinte der strahlende Sieger, der den Monaco-GP nach 2011, damals mit Red Bull, zum zweiten Mal gewann. Räikkönens verbitterte Miene sprach Bände: «Ich habe nicht viel zu sagen.» Bis zur 33. (von 78) Runden hatte der Ferrari-Finne den Grand Prix angeführt, ehe er sich in der Box seine Ultrasoft-Reifen gegen Supersoft-Gummis wechseln liess – mit über einer Sekunde Vorsprung auf Vettel und fast sieben Sekunden auf Ricciardo. «Ich wurde reingerufen», erklärte Räikkönen später. Die Rechnung ging nicht auf: Vettel bog sechs Runden später, nach seinem Reifenwechsel (von Ultra- auf Supersoft), vor seinem Teamkollegen aus der Boxengasse ein. Da fragte man sich unweigerlich: War das gerade die elegante Art, wie Ferrari Vettel auf Titelkurs brachte? Der letzte Ferrari-Doppelsieg lag zwar einige Jahre zurück, ist aber in bester Erinnerung: 2010 in Deutschland wurde die Nobelmarke zu einer Strafe von 100 000 Dollar verdonnert, weil man Fernando Alonso am lange führenden Felipe Massa zum Sieg per Funk «vorbeigeschleust» hatte. Schlimmer war es noch 2002, als Rubens Barrichello beim Österreich-GP erst auf den letzten Metern offensichtlich vom Gas ging und seinen Ferrari-Kumpel Michael Schumacher passieren liess.

Eine dumme Geschichte

Vettel vor Räikkönen? Fans und Experten hatten sich schon nach der Qualifikation und bis vor dem Rennen die Frage gestellt, ob Ferrari seinen Titelaspiranten vor dem Publikumsliebling im Ziel einfahren lässt. «Das würden die nie tun!», sagte Ferrari-Legende Niki Lauda. «Geil!», war es dem Mercedes-Aufsichtsrat nach der Pole von Räikkönen noch entfahren. Auch der Finne reagierte nach der Qualifikation (mal) emotional, als er auf eine mögliche Stallorder für das Rennen angesprochen wurde: «Ich weiss nicht, warum die Leute meinen, es sei morgen etwas anders als in den zwei Jahren zuvor (in jenen Räikkönen und Vettel gemeinsam für Ferrari fahren; Anm. der Red.). Nichts hat sich geändert. Da wird wieder mal versucht, irgendeine dumme Geschichte zu erfinden.»

Hamilton verzweifelt

«Das war kein Sieg der Politik», meinte Lauda nach dem Vettel-Triumph. «Sebastian hat zwei sensationelle Runden hingeknallt.» In den Runden 38 und 39, also vor dem Boxenbesuch, blieb Vettel zwei Mal deutlich unter 1:16 Minuten – die bis dahin schnellsten Rennrunden. Nur Sergio Perez (Force India) toppte diese Zeit noch, in der drittletzten Runde. An einen Ferrari-Trick glaubte bald niemand mehr so richtig. Auch nicht Lewis Hamilton. Der WM-Zweite in Mercedes-Diensten (nunmehr mit 25 Punkten Rückstand auf Vettel) hatte ob der Verschwörungstherorie nur ein Lachen übrig. Er hat ja auch andere Probleme. Rang sieben beim Monaco-GP war in der Tat Schadensbegrenzung, nachdem er tags zuvor im Kampf um die Startplätze schon in Q2 hängen blieb – wegen seines Mercedes‘ und wegen McLaren-Pilot Stoffel Vandoorne, der kurz vor Ablauf von Q2 crashte und so zum Hindernis wurde. Hamilton blieb Startposition 13 (nach der Strafversetzung von F1-Rückehrer Jenson Button/McLaren ans Grid-Ende). Das müsse man wie einen Ausfall werten, meinte Mercedes-Motorsportdirektor Toto Wolff.

Hamilton war sichtlich genervt, als er in Q2 zwei Mal nach aggressivem Übersteuern eine folgenschwere Berührung mit den Leitplanken verhinderte. «Kein Grip!», schnauzte der Brite über Bordfunk – und erinnerte sich wohl oder übel an den Russland-GP vor rund einem Monat. Damals konnte sich der dreifache Ex-Weltmeister auch keinen Reim darauf machen, weshalb sein Teamkollege Valtteri Bottas siegte, er selber aber erstmals in der laufenden WM am Podest vorbei fuhr (P4). «Kein Grip!», schnauzte der Brite auch im Rennen – in welchem sein Teamkollege das Podest um lediglich etwas mehr als eine halbe Sekunde verpasst hatte. Die Reifen auf der Vorder- und der Hinterradachse auf Betriebstemperatur zu bringen sei die Schwierigkeit, mutmassen Experten. «Das Auto hat sich hier extrem anders angefühlt. Die Ferraris hingegen scheinen überall zu funktionieren», bilanzierte Hamilton nach dem Monaco-Absturz. Einen solchen könne er sich im Hinblick auf das Titelrennen nicht mehr leisten. Denn später meinte er zum GP-Ausgang zu wissen: «Ferrari hat seine Nummer eins gewählt.»

Werner  J. Haller

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