UNGEBREMSTER FORTSCHRITT

Von den Rennwagen bis zu den autonomen Autos scheut der italienische Bremsenspezialist vor keiner Herausforderung zurück.

Uwe Hein, Verkaufsdirektor. © Brembo

Brembo reitet auf einer Erfolgswelle und möchte das alle wissen lassen. An den Auto-Salons von Detroit (USA) und Genf zum Jahresanfang informierte das italienische Unternehmen über die Absicht, seine Tätigkeiten sowohl im Rennsport auszubauen – die Bremsen der Firma kommen weltweit in mehr als 300 Meisterschaften zum Einsatz –, wie auch in der stark expandierenden Premiumklasse und bei den autonomen Fahrzeugen, für die von Seiten der Bremsen alles von Grund auf neu entwickelt werden muss.

Neben einem völlig neuen Vollaluminium-Bremssattel exklusiv für den Alpine A110, präsentierte Brembo nach drei Jahren Erprobung in der Formel 1 ein Brake-by-Wire-System, das für heutige und künftige Serienfahrzeuge gedacht ist. Forschung und Entwicklung kennen keine Verschnaufpause, denn der Konzern fährt trotz  eines Umsatzes von 2.28 Mia. Euro und 240.6 Mio. Nettogewinn weltweit weiter voll auf Expansionskurs. Die Giesserei-Kapazität wurde in den fünf Werken mit 9000 Arbeitsplätzen in den USA, in Mexiko, China, Italien und Polen auf 300 000 Tonnen pro Jahr ausgebaut.

Durchschlagskraft

«Wir sind äusserst stolz auf diese Resultate», kommentiert Verkaufsdirektor Uwe Hein. «Unsere Verkäufe befinden sich in voller Expansion, vor allem dank den deutschen Herstellern wie Audi, BMW und Mercedes, die zu unseren Erfolgen mit Bremsscheiben und -sätteln in den USA und in China beigetragen haben.» Der Zulieferer ist für seine Hochleistungsbremssysteme bekannt. Das Unternehmen passt sich zunehmend an die Anforderungen der Premium-Kunden an und entwickelt den Komfort, den Leichtbau und die Energieeffizienz weiter, welche für ihr Geschäft wichtiger werden als die reine Leistungsfähigkeit. «Wir kommen von einem Nischenmarkt, in dem die Hersteller 5000 bis 10 000 Autos pro Jahr bauen; in manchen Fällen sind es noch viel weniger, wie etwa Pagani mit 20», fährt Uwe Hein fort. «Bei den Premium-Modellen wie der Mercedes C- oder E-Klasse oder dem BMW 5er sprechen wir von 100 000 bis 200 000 Fahrzeugen. Wir planen in den nächsten Jahren einen Ausstoss von mehr als 8 Mio. Bremssätteln und wir spannen gleichzeitig mit chinesischen Herstellern zusammen.».

Die Ingenieure von Brembo hatten für eine bessere Leistungsfähigkeit ihrer Anlagen immer die Gewichtsreduzierung zum Ziel, stellen sich deshalb klar hinter die Alu-Sättel und lassen die Graugussteile links liegen. Aber heute sind die Ansprüche noch weit höher: «Die Bremsleistung ist ein Muss, aber die Kunden legen auch viel mehr Gewicht auf die Geräuschreduzierung», meint Uwe Hein. «Sportfahrer, die vor 15 Jahren einen Porsche oder Ferrari kauften, fanden Scheuer- und Mahlgeräusche von den Bremsen normal. So hörte sich Hochleistung an, könnte man sagen. Heute ist das anders. Porsche- und Ferrari-Kunden wollen die Bremsen nicht mehr hören, und ein S-Klasse-Fahrer schon gar nicht. Wir beschäftigen eine ganze Armee von Ingenieuren, deren einzige Aufgabe es ist, die Betriebsgeräusche unserer Bremsanlagen zu reduzieren.»

Theorie und Praxis

Zu diesem Zweck spult Brembo tausende von Kilometern unter allen möglichen Temperatur- und Einsatzbedingungen ab, aber die Spezialisten simulieren das Akkustik-Verhalten neuer Teile auch bereits bei der Konzeption im Labor. «Die Metallzusammensetzung, die Auswuchtung und das Design jedes noch so kleinen Teils haben alle ihre Auswirkung, und wir sind in der Lage, den Effekt mit einem guten Erfolg im voraus zu berechnen. Aber das ist nicht einfach. Die Fahrer sind immer mehr sensibilisiert. Auch die Progressivität der Systeme wird immer ausgeprägter.»

Das Ansprechverhalten der Bremsen auf das Bremspedal ist ein unabdingbares Element des Fahrerlebnisses, aber es ist auch ein Garant für die Sicherheit. Der Eingriff der elektronischen Systeme, wie etwa des ESP, muss unmerklich erfolgen. Das Thema wird im Zeitalter der autonomen Fahrzeuge immer wichtiger. Bei
Brembo heisst die Lösung für diese Problemstellung Brake-by-Wire. Solche Systeme verursachten den Herstellern bis vor kurzem noch Albträume. «Als wir vor rund drei Jahren mit der entsprechenden Forschung angefangen hatten, wollte niemand davon hören», schmunzelt Uwe Hein. «Heute arbeiten wir mit mehreren dieser Hersteller zusammen, die damit schon Testfahrten in Finnland machen!»

Abschied vom Bremskabel

Als Garant für die Sicherheit bleibt vorerst ein hydraulisches Notsystem erhalten, das beim Ausfallen der elektronischen Impulse einspringt. Das heisst aber nicht, dass es der beträchtlichen Gewichtsreduzierung im Weg stehen würde, denn eine ganze Reihe von Kabeln der traditionellen Leitungen kann entfallen. Und weniger Gewicht bedeutet auch weniger Luftwiderstand und entsprechend weniger CO2-Emissionen. Ein weiterer Vorteil betrifft die per verschiedener Kennlinien frei einstellbaren Pedalreaktionen, ähnlich wie bei den bereits verbreiteten Fly-by-Wire-Gaspedalen. Der Fahrer kann auf einfachen Knopfdruck den komfortabel langen Pedalweg auf den knallharten Bremspedal-Charakter wie beim Rennwagen umstellen; und dem Hersteller bleibt die nicht rückgängig zu machende Wahl erspart.

«Jede Marke hat diesbezüglich ihre eigenen Anforderungen», verrät Uwe Hein. «Wir helfen bei diesem Prozess mit. Porsche will ein spontanes Ansprechen, aber das ist bei manchen Sportwagenbauern anders. Mit den By-Wire-Bremsen entfällt das Problem. Das System ist auch ein erster Schritt zum autonomen Fahren. Wir entwickeln gerade eine Anlage, die quasi ohne Verzögerung anspricht, aber sie darf natürlich die Insassen nicht erschrecken, wenn manuell gesteuert wird. Das ist äusserst kompliziert, aber wir werden das System wahrscheinlich in drei bis vier Jahren bereit haben. Die Mobilität ändert sich rasant, und wir wollen den Zug auf keinen Fall verpassen …»


 

Laboratorium Rennsport

Von der Formel 1 über die IndyCar bis zu den WEC und WRC tritt Brembo in allen relevanten Rennserien als Bremsenlieferant an. Deren Leistungsfähigkeit ist legendär, mit der Fähigkeit, ohne Wechsel die 24 Stunden von Le Mans abzuspulen. Diese Karbon-Zangen und -Scheiben müssen bei den Langstrecken-Rennwagen gleichzeitig mit den Systemen der Energierückgewinnung kompatibel sein, was auch für die Formel 1 gilt. Die Verzögerungskräfte sind aber nicht gleich: An der Sarthe erreichen sie 3.5 g, in Monza werden mehr als 5 g gemessen! Um dem neuen Reglement für 2017 nachzukommen, das mit mehr Abtrieb für höhere Tempi sorgt, hat Brembo die Scheibendicke von 28 auf 32 mm vergrössert und zur Kühlung 200 zusätzliche Bohrungen angebracht (Total: 1400); das erlaubt die Vernichtung von 208 kWh Energie. Wer bietet mehr?

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