Die für ihr hartes Durchgreifen bei Verkehrsdelikten berüchtigten Waadtländer Behörden schlagen gelegentlich auch dort zu, wo man es am wenigsten erwarten würde. Beispielsweise diesen Herbst, als eine Veröffentlichung der Tageszeitung «24 Heures» für Aufregung gesorgt hatte und manchem Juristen sauer aufgestossen war:
Zwei Männer hatten je 2 cl Ricard, 2 dl Rosé und 4 cl Amaretto getrunken. Der eine liess den anderen ans Steuer seines Autos, und zwar nicht, weil er zu viel getrunken hätte, sondern damit dieser seine tolle Limousine fahren konnte… und dann kamen sie in eine Kontrolle der Lausanner Stadtpolizei. Beim Blasen ins Röhrchen wies der Fahrer einen Alkoholgehalt von 0.96 ‰ auf. Ein Wert, welcher der Trunkenheit am Steuer entspricht und mit 20 Tagessätzen Busse und drei Monaten Führerausweisentzug geahndet wird. Alles regelkonform soweit, wenn nicht einige Zeit später auch der Besitzer des Fahrzeugs zur selben Busse, aber auf Bewährung verurteilt worden wäre, und zwar für Beihilfe zur Trunkenheit am Steuer. Er wurde bestraft, obwohl er selber keine Zuwiderhandlungen begangen hatte.
Beihilfe zur Trunkenheit
Das Kantonsgericht lehnte eine Berufung des Fahrzeugeigners/Beifahrers ab und berief sich auf einen Artikel im Strassenverkehrsgesetz, der besagt, dass «niemand einem nicht fahrtüchtigen Fahrer ein Fahrzeug zur Verfügung stellen darf». Und auf die Anklageschrift, die lautete: «Als er (…) seinem Bekannten das Fahren erlaubte, musste der Angeklagte wissen, dass dieser nicht fahrtüchtig war, weil beide zusammen getrunken hatten. Er hat die Straftat eindeutig möglich gemacht.»
Diese Interpretation der Tatsachen ist umso erstaunlicher, als es keine Anzeichen dafür gibt, dass der «Komplize» hätte wissen müssen, dass sein Kollege nicht fahrfähig war. Der gemessene Alkoholspiegel über 0.8 ‰ beruht auf einer gesetzlichen Norm und nicht auf einer psychologischen Bewertung zur Fahrfähigkeit, die von Mensch zu Mensch deutlich verschieden ausfällt. Man kann also für Fahruntüchtigkeit bestraft werden, selbst wenn man als Beifahrer im Auto sitzt. Mit den anstehenden, von Alkohol begleiteten Feiern zum Jahresende tut man gut daran, sich dieses Risiko vor Augen zu halten.
Es ist auch wichtig, zu wissen, dass die «Fundamentalisten» der Via sicura seit vergangenem Oktober die beweissichere Probe per Atemalkohol-Messgerät durchsetzen konnten. Die gesetzlichen Grenzwerte von 0.5 und 0.8 ‰ bleiben gleich, nur entsprechen sie jetzt 0.25 bzw. 0.4 mg gemessenem Alkohol im Atem.
Für die bereits mit den neuen Messgeräten ausgerüsteten Polizeibehörden gilt, dass die bisher üblichen Blutproben ausser in Ausnahmefällen nicht mehr nötig sein werden. Die Polizei scheint nur Vorteile in dieser auch in Frankreich, Italien und Deutschland eingeführten Praxis zu sehen. Tatsächlich liefert das System brauchbare Resultate in nur wenigen Minuten. Es vereinfacht das Prozedere und macht die gelegentlich schmerzhafte Blutentnahme unnötig, die dem «Patienten» auch noch mit 400 Fr. verrechnet wurde.
Seine Limiten kennen
Im Jahr 2015 wurden landesweit in der Schweiz 15 686 Führerausweise wegen zu hohen Alkoholgehalts entzogen. Hinzu kamen 6369 Verwarnungen, die bei einer Wiederholungstat innert zwei Jahren in einen Führerscheinentzug umgewandelt werden können. Das sicherste Mittel, die Fahrerlaubnis nicht zu gefährden, ist, sich von einer nüchternen Person chauffieren zu lassen.
Das ist es auch, was die Stiftung Nez Rouge seit mehr als 25 Jahren immer zum Jahresausklang in der ganzen Schweiz – mit Ausnahme der Kantone Basel und Schaffhausen sowie der Regionen Engadin und Oberwallis – vorschlägt. Im vergangenen Jahr profitierten rund 30 000 Menschen von der Aktion. Dieses Jahr werden die 23 Sektionen von Nez Rouge die Hilfe von 8000 Freiwilligen benötigen, um die Feiernden in aller Sicherheit in deren eigenen Fahrzeugen nach Hause zu fahren.
Es bleibt die grosse Frage: «Wie viel Alkohol kann man sich genehmigen, um noch sicher fahren zu können?» Gemäss dem Site Avocats de la Route bedeuten 1 dl Rotwein, 2 cl Schnaps oder 3 dl Bier eine Alkoholkonzentration von 0.2 bis 0.3 ‰. Diese Zahlen sind aber nur grobe Richtlinien, denn das individuelle Gewicht und das Geschlecht spielen ebenfalls eine Rolle.
Sicher ist: Bei jungen Menschen geht der Alkohol schneller ins Blut, und wenn man nach dem Trinken etwas isst, dauerts länger. Je mehr Zeit zwischen den Drinks verstreicht, umso weniger nimmt die Konzentration zu. Der Abbau des Alkohols erfolgt mit ungefähr 0.1 bis 0.15 ‰/Std. Aber Vorsicht: Wenn Sie noch einen Zweiphasen-Führerschein besitzen, dann liegt die zulässige Grenze bei 0.1 ‰.
MARC AUDAR