Einer für alle

Muske­tiere gelten als tapfere Helden und schwören sich gegen­seitige Treue. Mit breiter Brust, blau-weiss-roter Tricolore, aber ohne Degen, ver­teidigt der aufgefrischte Renault Clio die Krone des meistverkauften ­französischen Autos.

Wer sich mit 33 Jahren liften lässt, hat nicht alle Tassen im Schrank. Ausser man ist ein Auto. Der Clio zählt seit seiner Markteinführung 1990 zu den wichtigsten Modellen aus dem Hause Renault. Damit das auch in Zukunft so bleibt, muss in schöner Regelmässigkeit hier und da wieder etwas am Blechkleid gezogen werden.

Das Testfahrzeug steht vor der Redaktion, hört auf den Namen E-Tech Full Hybrid 145 und trägt dazu die Ausstattungslinie Esprit Alpine. Äusserlich wurde an der Nase sehr stark operiert, sie ähnelt nun denjenigen seiner Markenbrüder, des Austral oder des verlängerten Austral, des Espace. Das neue und auffällige Markenlogo, «Nouvel R» getauft, prangt nun prominent am vergrösserten Kühlergrill. Die optisch grössten Unterschiede zum Vorgänger fallen sofort auf: die neue Lichtsignatur und die vielen kleinen, einzelnen LED-Tagfahrlichter. Die Scheinwerfer an sich sind auch schmaler geworden. Generell steht ihm diese neue selbstbewusste Front sehr gut.

Betrachtet man das Profil, verbessert die Kombination aus leicht tiefer angesetzter Fensterunterkante und Aussenspiegelplatzierung die Übersichtlichkeit. Das kommt innerstädtisch besonders Velos und motorisierten Zweirädern entgegen. Diese werden an Kreuzungen gerne von zu breit gestalteten A-Säulen verdeckt. Die seitliche Linienform der Fenster endet mit recht schmalen, vertikal angeordneten Türgriffen der zweiten Sitzreihe. Sieht harmonisch aus, kann aber manchmal etwas fummelig sein und sammelt rasend schnell Fingerabdrücke. Hier kehrt sich das Lob für die Gestaltung vorne um zum Kritikpunkt. Mit der dort platzierten Türöffnung wird die C-Säule noch breiter und schluckt einiges an Übersichtlichkeit.

Die sportliche Linie setzt sich am Fahrzeugheck fort. Von den neuen schicken Klarglas-Rückleuchten über den umgestalteten Stossfänger bis hin zum Spoiler wirkt die gesamte Heckpartie sehr stimmig.

Die inneren Werte

Innen bietet der Clio ein aufgeräumtes Cockpit. Ein hochkant stehender, berührungsempfindlicher 9.3-Zoll-Bildschirm, ein paar Tasten auf dem Lenkrad, eine Tastenleiste links, eine mittig, drei Drehregler, und dann kommt auch schon der Wahlhebel fürs Getriebe, das wars.

Nein, nicht ganz, Renault bleibt seinem Knubbel hinter dem Lenkrad treu. Der wurde überarbeitet, wirkt merklich hochwertiger und funktioniert besser. Vielleicht bedarf es etwas mehr Übung, im Test wurde die Bedieneinheit fast ausschliesslich für die Regulierung der Entertainmentlautstärke genutzt, und dafür wäre ein Drehknopf in der Nähe des Bildschirmes intuitiver. Das blinde Rumfummeln, ohne eine Ahnung zu haben, was man da eigentlich genau macht, ist eine beständige Abfolge von Versuch und Irrtum. Bedienfunktionen von Drehrad und Ähnlichem stehen beispielsweise im Carplay-Modus nicht vollständig zur Verfügung, weswegen man schnell aufgibt und lieber gleich zum Touchbildschirm greift.

Die verwendeten Materialien sind gut, und besonders die Textilien sind in ihrer Haptik sehr angenehm. Die Vordersitze sind komfortabel und bieten dennoch ein kleinwagenuntypisch hohes Mass an Seitenhalt. Besonders Lob verdient ein wichtiges Detail: Aus Designgründen verbauen viele Hersteller Sportsessel mit festen Kopfstützen. Renault zeigt, dass auch Sportsitze mit verstellbaren Kopfelementen keine ästhetischen Einbussen haben müssen. So kann die Kopfstütze individuell an die Fahrergrösse angepasst werden, damit sie Nackenverletzungen oder ein Schleudertrauma in Folge ­einer Kollision bestmöglich verhindern kann.

In der zweiten Reihe sitzt man bequem, trotzdem sollte man mit seinem direkten Vordermann in die Beinfreiheitsverhandlungen treten. Vorausgesetzt, beide sind kompromissbereit, sind auch etwas längere Fahrten möglich, ohne dass eine Person bleibende Haltungsschäden befürchten muss. 

Der Kofferraum besitzt für sein Segment eine ordentliche Grösse, jedoch schrumpft diese durch die dort verbaute Hybridbatterie. Fast ein Viertel weniger Raumvolumen als im reinen Verbrennerbruder bleibt für den Einkauf.

Typisch Chef

Die seriell-parallele Hybridarchitektur kombiniert den Vierzylinderbenziner mit zwei Elektromotoren. Um das komplexe Zusammenspiel der Antriebe zu verstehen, benötigt es einen Blick auf das Antriebsorganigramm. Der Verbrenner ist der Chef, liefert 69 kW (94 PS) aus einem 1.6-Liter-Vierzylinder und wird von zwei elektrischen Assistenten unterstützt. Der elektrische Oberassistent kann sich mit seinen 36 kW (49 PS) selbständig um den Antrieb an der Vorderachse kümmern. Der elektrische Unterassistent arbeitet aus dem Getriebegehäuse heraus, leistet 18 kW (24 PS) und ist nur für den Chef zuständig. Er startet den Verbrenner und hebt ihn auf die nötigen Drehzahlen an, um den Übergang zwischen den beiden Antrieben so geschmeidig wie möglich zu gestalten.

Jeder Chef will natürlich so wenig wie möglich arbeiten, und bei den niedrigen Anforderungen im Stadtverkehr ist es möglich, dass erstaunlich oft der elektrische Oberassistent den Laden alleine leitet. Wird nach mehr Leistung verlangt oder geht die Batterie der beiden Assistenten zur Neige, muss der Verbrenner ran. Typisch für einen Chef geht das nicht leise vor sich, sondern so laut, dass es jeder mitbekommt. Leider agiert das Multimode-Getriebe als Administration des Ganzen oft etwas unbeholfen. Vier Gänge für den Verbrenner und zwei für den Oberassistenten sind per se nicht viel, bieten jedoch laut Hersteller 14 verschiedene Betriebskombinationen für eine optimale Kraftstoffeffizienz. In der Praxis funktioniert das leider oft nicht ganz so harmonisch. Manchmal braucht das Getriebe etwas länger, bis der richtige Gang gefunden und eingelegt ist. Dann sind da noch die Schaltvorgänge an sich, die zum einen nicht immer ganz ruckfrei und zum anderen spät erfolgen und den Verbrennungsmotor lange und laut in hohen Drehzahlen vor sich hinjubeln lassen. Etwas verbessern lässt das sich mit dem Wechsel des Fahrmodus auf Sport. Da ist die gesamte Equipe im Einsatz und arbeitet für maximale Leistung. Unter normalen Bedingungen, auf dem täglichen Weg zur Arbeit beispielsweise, funktioniert die Zusammenarbeit zumeist ganz gut.

Freude beim Fahren und sparsam an der Zapfsäule: Der Renault Clio machte Spass und bleibt sehr positiv in Erinnerung.

Genügsam mit erstaunlichen Talenten

Der Renault Clio ist keine Schnecke, aber gewiss auch kein Hase. Die Dauer der Beschleunigung auf 100 km/h aus dem Stand entspricht der Herstellerangabe, aber bei 9.3 Sekunden verschlägt es niemandem wirklich den Atem. Auch die auf der Teststrecke ermittelte Beschleunigung von Landstrassen- auf Autobahntempo fällt mit über sieben Sekunden gemütlich aus. Das Fahrwerk hingegen ist klasse. Lange Reisen sind für einen Kleinwagen recht angenehm und komfortabel. In seiner Grundabstimmung eher konservativ, kann und mag er auch mal flotter um die Ecken gefahren werden. Besonders die stabile Vorderachse verdient hohe Beachtung. Bei hohen Tempi auf der Teststrecke oder auch auf schwäbischen Autobahnen vermittelte die Front einen spurstabilen und unaufgeregten Fahrkomfort, der so in einem Kleinwagen nicht zu erwarten wäre. Es bedarf einer gefühlten Ewigkeit, sie zu erreichen, doch selbst eine Reisegeschwindigkeit von 160 km/h bringt den Clio nicht in Bedrängnis. Das ist eine segmentfremde Eigenschaft, die bei keinem der Klassenkameraden –  auch nicht derjenigen, die aus dem Land ohne Tempolimit kommen – so deutlich zu spüren ist. 

Bei all dem gibt sich der Antrieb des Clio genügsam und genehmigt sich auf der AR-Normrunde 4.5 l/100 km. Selbst auf schnellen Autobahnetappen pendelt sich der Verbrauch bei sechs Litern pro 100 Kilometer ein. Helfen kann dem versierten Fahrer eine vorausschauende Fahrweise sowie der häufige Einsatz der Rekuperation statt der konventionellen Bremse. Über die Position B am Wählhebel wird der Rekuperationsmodus aktiviert, dieser wandelt darauf nahezu die gesamte Verzögerungsenergie in Batterieladung um. Beim Einsatz der konventionellen Bremse fliesst dieses Energiepotenzial nur zum Teil in die Batterie, der Rest verpufft als Wärmeverlust an der Bremse.

Bei allem Spartrieb und der Freude an wachsenden Batterieladeständen zum Trotz hilft, wenn es denn mal sein muss, nur der beherzte Tritt aufs linke Pedal. Bei härteren Verzögerungen aus diesen Geschwindigkeiten taucht die Vorderachse auf ein gesundes Niveau ab, flattert nicht, sondern schluckt weiter fleissig Fahrbahnunebenheiten und verfolgt unbeeindruckt ihre Bahn. In den Kurven zeigt der Clio ein gutes Lenkradfeedback und eine stabile Fahrzeuglage. Bei zu forscher Fahrt taucht das Fahrwerk ein, und die elektronischen Helfer korrigieren sanft. Von diesen und anderen Assistenzsystemen hat der Renault Clio sehr viele. Einparkhilfe vorne, adaptiver Tempomat, elektrische Parkbremse mit Auto-Hold-Funktion, Autobahn- und Stauassistent mit Stopp-and-go-Funktion, Totwinkel-Assistent, Tempowarnfunktion, adaptives Fernlicht, Querverkehrswarner, Lenkassistent und Stauassistent – das Angebot ist für einen Kleinwagen enorm gross.

Von Generation zu Generation

Der neue Clio ist erwachsen geworden. Sehr sogar. Vorbei die Zeiten als billiger Zweitwagen, von dem nicht viel mehr als der urbane Betrieb mit der berühmten Fahrt von A nach B verlangt wurde. Der neue Clio positioniert sich als ausgereifter Kleinwagen mit allen technischen Finessen und einer enormen Fülle an Fahrassistenzsystemen, die die Mitbewerber ziemlich alt aussehen lassen. Gegenüber den direkten Konkurrenten von Honda und Toyota punktet der Renault vor allem mit seinem sehr attraktiven Preis. Bei der Konkurrenz wird es allmählich überschaubar, denn leider scheint es, als trockne dieses Segment langsam aus. Die Mitglieder der Kleinwagenfamilie verschwinden (Ford ­Fiesta), werden vollelektrisch (Peugeot E-208) oder sehen bei Weitem nicht so schick aus (VW Polo). Der Renault Clio hat zweifelsohne das Zeug zum Bestseller, nicht nur in Frankreich.

Testergebnis

Gesamtnote 81/100

Antrieb

Komplexer Antrieb, gelegentliches Motorheulen, bevor das Getriebe nachkommt. Sparsam, aber leider halt auch ohne Pfeffer.

Fahrwerk

Top! Ausgewogener Kompromiss zwischen komfortabler Grundauslegung und stabilem Fahrverhalten. Selbst bei höheren Geschwindigkeiten ruhig und unaufgeregt.

Innenraum

Aufgeräumt, mit feiner Detailliebe zur Sportwagenabteilung Alpine. Sitze mit ordentlichem Seitenhalt und verstellbarer Kopfstütze.

Sicherheit

Eine Fülle an Assistenzsystemen, die nicht in einem Kleinwagen zu erwarten ist. Bremsen sind leicht besser als der Durchschnitt, eingeschränkte Übersichtlichkeit hinten.

Budget

Der Einstieg beginnt deutlich unter 30 000 Franken, und die Aufpreisliste ist kurz. Man bekommt sehr viel Auto für sein Geld. Wer die Tricolore nicht mag, kann es ja mal bei Mitsubishi und dem Colt versuchen.

Fazit 

Der neue Renault Clio ist sehr erwachsen geworden. Er vereint die vielen Charakterzüge der Musketiere: Der Antrieb jung und lebhaft wie d’Artagnan, das Äussere attraktiv wie Aramis, das Fahrverhalten heiter und amüsant wie Porthos, aber ohne die übermässige Vorliebe für Hochprozentiges wie bei Athos.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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