Vom Blitz getroffen

Grand. Sport. Electric. Opel hat dem Grandland die romantischen Buchstaben GSE ­aufgeklebt. Ein sportliches Familienmodell mit Platz und Strom. Die Frage ist aber: mit oder ohne Saft?

Wenn die Frau dem Mann ein quadratisches, unkenntliches Schwarzweiss-Bild zeigt, rollen in den meisten Fällen bei beiden die Tränen. Bei der Frau, weil sie in knapp neun Monaten ein Kind auf die Welt bringen wird, beim Mann, weil er sich bis dahin von seinem Auto trennen muss. Lebewohl Sportwagen, willkommen Pampersbomber. Sparsam soll der Neue sein, schliesslich ist in der Familienkasse jeder verdiente Franken nun nur noch 33 Rappen wert. Platz muss er bieten, denn Kinderwagen, Grosseinkauf, neue Möbel, alles muss irgendwie transportiert werden. Bequeme Sitze braucht es unbedingt.

Keine Panik. Wir haben da etwas.

Der Opel Grandland GSE steht in grauer Schale vor der Redaktion. Fast wären wir daran vorbeigegangen, so unscheinbar wirkt er auf den ersten Blick. Zwar basiert er noch auf der Plattform des Vorgängers, wurde aber in wesentlichen Bereichen verbessert und mit Neuerungen bestückt. Gerade die Aussendetails fallen bei näherer Betrachtung sehr positiv auf. Der gespannte Anzug mit der seitlichen Bundfalte verleiht dem SUV einen dynamischen Eindruck. Schwarze Details an Front, Dach, Heck und Felgen passen harmonisch in das Gesamtbild des Fahrzeugs. Die markentypische Opel-Front hört auf den Namen Vizor und zeigt den Rüsselsheimer Doppelblitz angenehm dezent in Schwarz auf schwarzem Hintergrund. Keine überdimensionierten Auspuffblenden, keine erzwungenen Chromakzente, kein farblicher Modefirlefanz. Mit Ausnahme der drei magischen Buchstaben am Heck. GSE stand ja früher bei Opel für das Topmodell mit elektronischer Einspritzung. Heute hingegen steht das gelbe E für die elektrifizierte Antriebseinheit des Fahrzeugs.

Aufgeräumter Innenraum

Innen wird die Farbkombination weitergeführt, und alles wirkt aufgeräumt und ruhig. Der um Display und Mittelkonsole verwendete schwarze Klavierlack ist sehr schön anzuschauen, zieht Fingerabdrücke und Staub jedoch auf magische Weise an. Positiver Nebeneffekt: Egal ob mit dem Tuch, dem Ärmel oder dem Stofftier der Kinder, alle Redaktoren haben sich mehrfach beim Putzen des Interieurs erwischt. Die Sitze sind komfortabel und langstreckentauglich. Opel macht sehr prominent auf deren AGR-Zertifizierung (Aktion gesunder Rücken) aufmerksam. Zufriedenstellend, im Klassenvergleich aber eher am unteren Ende ist der Kofferraum, der durch die zusätzlichen Plug-in-Komponenten ein wenig von seiner Nutzfläche einbüsst und bei nicht abgeklappten Sitzen 390 Liter Stauraum bietet. Legt man die Sitze um, lässt sich das Laderaumvolumen auf mehr als 1500 Liter erweitern. Das reicht für die Einkaufstour.

300 PS von Verbrenner und E-Motoren

Jetzt aber vorne einsteigen, Knopf drücken, Wählhebel ziehen – und der Grandland stromert leise davon. Die Elektromotoren sind an Vorder- und Hinterachse angebracht, der Verbrennermotor hingegen treibt nur die Vorderräder an. Die beiden Elektromotoren reichen für das Mitschwimmen im Alltagsverkehr völlig aus, in allererster Linie sollen sie eines: beim Sparen helfen. Erstaunlich, wie selten und leise der Ottomotor aufwacht, seiner Arbeit nachgeht und sich wieder in den Schlummermodus verabschiedet.

Bei klaren Gaspedalanweisungen verstehen sich Stromer und Verbrenner bestens. Ist sich der Fahrer selbst nicht so schlüssig, was er will, wirkt sich das auf das Zusammenspiel der Antriebe aus. Dann erinnert vieles an Free Jazz oder Zwölftonmusik. Ein stetiges Durcheinander, jede Antriebsart macht mal etwas, und die Achtstufen-Automatik probiert irgendwie, den richtigen Takt vorzugeben. Beim beherzten Beschleunigen kann es schon einmal vorkommen, dass zuerst nur wenig geschieht, während es kurze Zeit später vehement an den Rädern zupft. Geht man in dieser Gedenksekunde etwas überrascht wieder vom Gas, hüpft man etwas nach vorn, und der Verbrennermotor springt mit hoher Drehzahl an, ohne Vortrieb zu generieren. Vielleicht bedarf es einer ausgiebigeren Gewöhnungsphase, denn weitgehend funktionierte das Zusammenspiel dezent und unaufgeregt.

Auf abgesperrtem Testgelände zeigte sich der Grandland GSE als guter Sprinter aus dem Stand. Drückt man den rechten Fuss konsequent Richtung Bodenblech, ist man in 5.9 Sekunden auf Tempo 100. Damit unterbot der Opel bei den AR-Messungen die Werksangaben knapp. Das ist für ein Kompaktklasse-Familien-SUV ein sehr guter Wert. Auch die Beschleunigungswerte der Zwischenspurts sind vorzeigbar.

Komfort auf schlechter Strasse

Auf der Bremse überzeugt der Grandland ohne Fading-Schwächeanfälle, kann aber seine pummeligen Zusatzkilos nicht verbergen. Mit knapp 36 Metern Bremsweg aus Tempo 100 bis zum Stillstand liegt er besser als der Klassendurchschnitt. In Kurven oder im doppelten Spurwechsel verneigt er sich zwar überraschend stark, gerät aber nicht völlig aus der Spur. Die knapp 1.9 Tonnen Fahrzeuggewicht und der durch die Karosseriebauform hohe Schwerpunkt fordern ihren Tribut. Das spiegelt sich auch darin wider, dass die Stabilitätskontrolle (ESC) früh und nachdrücklich einsetzt, wobei sie immerhin so ausgelegt ist, dass sie den Fahrspass nicht völlig im Keim erstickt.

Abseits des Testgeländes auf normalen Schweizer Landstrassen zeigte der Opel drei unerwartete Eigenschaften. Zum einen bügelt das Fahrwerk kurze Bodenwellen eher straff ab, verwöhnt die Insassen dann aber auf holprigerem Untergrund mit einem unerwartet hohen Mass an Komfort. Die adaptiven Koni-Stossdämpfer passen ihre Härte der jeweiligen Fahrsituation an und sorgen ausserdem dafür, dass der Fahrer ein direkteres Feedback am Lenkrad erhält. Daumen hoch dafür!

Zum anderen lassen sich Assistenzsysteme wie der übereifrige Lenkassistent einfach und dauerhaft ausschalten, schliesslich kann einem die elektronische Fahrerziehung gehörig auf die Nerven gehen. Auch dafür Daumen hoch.

Und drittens entpuppt sich der Grandland bei völlig ausgepowerter Batterie als phlegmatischer Säufer. Dafür senken wir den Daumen. Die vom Werk angegebene elektrische Reichweite von 69 Kilometern erreicht der Grandland immerhin knapp. Auf der AR-Normrunde, zu der wir mit vollgeladenen Batterien starten, die aber deutlich länger ist als die elektrische Reichweite, erreichte der Grandland GSE einen Verbrauch von 4.1 l/100 km. Das ist mehr als das Dreifache des WLTP-Werts. Ist die Batterie komplett leer, haben die 200 Verbrenner-PS mit dem hohen Gewicht grosse Mühe. Dann schnellt der Verbrauch hoch auf 8.4 l/100 km.  Ansonsten fällt der Verbrauch für die Systemleistung moderat aus, allerdings stets unter der Voraussetzung einer geladenen Batterie. 

Und genau das könnte auch zum entscheidenden Kauffaktor werden, denn ohne regelmässigen Zugang zu einer Wallbox zu Hause oder bei der Arbeit ergibt das PHEV wenig Sinn. Hier liegt wohl das Hauptproblem: Junge Familien leben hierzulande mehrheitlich zur Miete, und dort sind Ladesäulen für das nächtliche Steckern bekanntermassen eher spärlich gesät. 

Testergebnis

Gesamtnote 74/100

Antrieb

Läuft gut, wenn die Batterie geladen ist und wenn er klare Anweisungen bekommt. Manchmal merkwürdige Arbeitsverteilungen zwischen Verbrenner und E-Motor. Wenn dann noch das Getriebe nervös mitmacht, wirds unterhaltsam. Gaspedal auf Bodenblech macht immer Freude.

Fahrwerk

Aktive Dämpferanpassung macht aus eher straffer Grundabstimmung ­einen komfortablen Gleiter. Gewichts- und schwerpunktbedingt schon rein physikalisch kein Kurvenjäger.

Innenraum

Bequeme Sitze vorne wie hinten. Infotainment dürfte gerne grösser sein. Microfasertuch für den Klavierlack nicht vergessen!

Sicherheit

Bremse bremst, ESP regelt eher konservativ, lässt aber noch einen Hauch von Fahrspass zu. Unkomplizierte, sichere Fahreigenschaften.

Budget

Opel möchte für den Grandland GSE eine Stange Geld. Für das, was man bekommt, ist es aber in Ordnung.

Fazit 

Der Frau sagt man, er hat Platz, Isofix, bequeme Sitze und kann lange elektrisch, «also wirklich ganz ohne Benzin, Schatz», fahren. Den Kumpels sagt man, er ist ein 300-PS-Power-SUV mit sportlicher Abstimmung, der mit elektrischer Unterstützung ziemlich an der Hose lupft. Zu sich sagt man, dass man einen guten Kompromiss gefunden hat – und wenn die Kinder aus dem Haus sind, wieder ein richtiger Sportwagen her muss.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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