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Sind wir nur Wegbegleiter? Der schnellste Traction Avant hat einen neuen Besitzer, der dem alten alle Ehre macht.

Christian Heussi war eine Legende. Der Spezialist für französische Klassiker, allen voran die Traction Avant von Citroën, half während Jahrzehnten mit Rat und Tat – und sorgte dazwischen mit seinem blauen 11BL Roadster für Aufsehen. Christian Heussi starb Anfang Jahr 76-jährig. Seine Werkstatt in Galgenen SZ ist inzwischen aufgehoben, der Verbleib seiner Ausrüstung und der Ersatzteile noch nicht klar. Eines aber war für Heussi unbestritten. Seinen blauen Trac­tion Avant, sein Markenzeichen, sollte künftig Roche Luder steuern und besitzen. Dazu liess Christian Heussi einen Schenkungsvetrag aufsetzen, gesundheitliche Probleme zum Jahresende 2018 liessen ihn erahnen, dass manche Frage dereinst beantwortet sein sollte. 

Mit seinem heutigen Custodian, dem Hüter und Wegbegleiter Roche Luder, hat das historische Auto eine neue Kennerhand gefunden, die  es nun führt. Roche Luder ist der Sohn von Heussis Freundin, er kam mit den Autos bereits als kleiner Bub in Berührung, sass auf dem Beifahrersitz und absolvierte später, als er den Lernfahrausweis in der Tasche hatte, mit dem Traction Avant seine erste Fahrstunde – mit einem geduldigen Christian Heussi an der Seite.

Ein Unikat

Der Citroën 11BL wurde nur von 1937 bis 1939 als Roadster gebaut. Das L bezeichnet einen Traction  Avant mit kurzem Radstand und schmalerer Spur, den Légère. Trotz der Citroën-eigenen Bezeichnung für den offenen Wagen handelt es sich nicht um ­einen spartanischen Sportwagen, sondern um ein komfortables Cabriolet mit Klappverdeck und seitlichen Kurbelfenstern. Die Frontscheibe lässt sich  sogar abklappen. Das Auto ist wie die Limousine und die Grossraumlimousine Familiale und Commerciale selbsttragend konstruiert – mit allen Vorzügen, für die der Traction Avant bekannt ist: Frontantrieb, Einzelradaufhängung, hydraulische Bremsen und tiefer Schwerpunkt für eine hervorragende Strassenlage. Roche Luder weist auf den Schalthebel seines Roadsters. Moment, da steht ­eine Vier! Der Traction Avant war doch bekannt dafür, mit seinen lediglich drei Fahrstufen stets etwas handicapiert zu sein. «Christian hat einst ein Viergangetriebe auf einem französischen Teilemarkt gefunden, er meinte, es stamme sogar aus der Entwicklungsabteilung von Citroën, dem Bureau d’études», erklärt Luder und ergänzt: «Der vierte Gang ist bitter nötig, der Motor ist dermassen hochgezüchtet.» Man sieht es der Maschine äusserlich an, da sitzt eine Zweivergaseranlage unter der Haube, und der Zylinderkopf samt Ventildeckel des OHV-Motors besteht aus Aluminium statt aus Grauguss. Über die Leistung herrscht Unklarheit. «Das wusste vermutlich nur Christian, der Traction Avant wurde auf der Rennstrecke ganz offiziell mit über 223 km/h gemessen, er ist vermutlich der schnellste Citroën Traction Avant der Welt», sagt Roche Luder. Damit der Wagen nicht abfliegt, wurde auch das Fahrwerk entsprechend modifiziert. «Der vordere Querstabilisator ist dicker, aber auch dieser ist ein Originalteil», so Luder.

Im Griff

Wir fahren mit Roche Luder in der Umgebung von Wetzikon durchs Zürcher Oberland. Der junge Mann, knapp 23 Jahre alt, hat sein Auto perfekt im Griff, die Übergänge zwischen den Gängen sind nahtlos, dabei ist das Schaltschema des Traction Avant seitenverkehrt, der erste Gang liegt rechts hinten – oder hier bei der Armaturenbrett-Schaltung eher unten. Der Motor schnorchelt unter Last kräftig, im Schiebebetrieb knallt und röchelt es aus dem Auspuff. Bei Bedarf zieht der Roadster mit ­einer unglaublichen Vehemenz davon – das Vermächtnis seines Erbauers Christian Heussi. Luder zeigt Respekt und bewegt das Auto artgerecht. Dieser Traction Avant war nie ein Showfahrzeug, er ist ein Auto zum Fahren. Gelegentlich braucht es etwas Improvisation, wie der hintere Vergaser zeigt, der mit einer Schicht Kitt versehen ist. «Das haben wir bei einer Rallye so behoben, das Gehäuse hat einen Riss, aber es hält», klärt uns Luder auf. Zur Pflege und für kleinere Reparaturen ist Luder Teil einer sechsköpfigen Garagengemeinschaft in Wetzikon, alles Oldtimerfans unter 30 Jahren. Am Tag unseres Besuchs findet eine Sitzung statt, das Ziel ist ein Ausbau des Raums für den Fuhrpark der sechs Freunde. Sie besitzen US-Wagen, ein NSU RO 80 steht in einer Nische, und vor der Werkstatt parkiert ein Audi 80 der zweiten Generation. Allen gemeinsam: Die Autos sind weitaus älter als ihre Besitzer.

«Die Bremsen hat Christian ebenfalls aufgerüstet, sie stammen von einem Lastwagen, dem Cit­roën U23», versichert uns Roche beim Anbremsen einer Kurve. Neben dem Roadster besitzt der junge Autofan auch noch eine Traction-Avant-Limousine und einen Ginetta G4, das Modell des englischen Kleinserienbauers mit der Bodengruppe des Hillman Imp und dem OHC-Aluminiummotor aus der Feder von Coventry Climax. Der Traction Avant Roadster aber ist das Auto von Christian Heussi – und damit ein ganz besonderer Wagen.

Potent

Der 11BL Roadster zeigt auf eindrückliche Weise, welches Potenzial ein Citroën damals hatte. Der Autor kann sich an ein Gespräch mit Christian Heussi erinnern, bei dem ihm dieser schilderte, wie er mit seinem Citroën einen SS 100 oder einen BMW 328 auf der Rennstrecke jagte. Gewiss, ein Serienauto wäre dazu kaum in der Lage gewesen, aber nur mangels Leistung. In Sachen Fahrwerk und Bremsen zeigt der Wagen bis heute die revolutionäre Überlegenheit seiner damals hochmodernen Auslegung. Dies gilt auch für die selbsttragende, offene Karosserie. Sie erweist sich als erstaunlich verwindungssteif, der Federungskomfort aber ist weitaus trockener, als man dies von einem Citroën vermuten würde. Dafür sprechen die Drehstabfedern trotz des dickeren Querstabilisators sehr fein an.

Im Innenraum ist der Citroën hingegen kaum verändert. Es gibt vorne eine durchgehende Sitzbank, deren Seitenhalt sehr bescheiden ist. Hut ab vor Christian Heussi, wie er es damit geschafft hat, seinen Platz hinter dem Lenkrad trotz seines forschen Fahrstils beizubehalten. Eine kurze Suche im Internet fördert eine ganze Reihe von Bildern des Traction Avant mit Heussi am Steuer in atemberaubender Seitenneigung etwa am Klausen zutage. Bei der letzten Teilnahme im Jahr 2006 erreichte er als Zweiter der Kategorie Sportwagen 1931 bis 1939 bis 2000 Kubikzentimeter Hubraum das Ziel auf der Passhöhe in 31:11.61 Minuten. ­Eine respektable Zeit für die Strecke von 21.5 Kilometern mit einem Auto aus dem Jahr 1938.

Roche Luder lässt es heute ein wenig ruhiger angehen, obgleich er mit seinem Citroën auch an Oldtimerrallyes teilnimmt. Allerdings weckt der kernige Sound des Vierzylindermotors, der von weit hinten aus einer respektablen Auspuffflöte ans Ohr dringt, durchaus den Wunsch, gehörig auf die Tube zu drücken. Den Reizbegriff des «lustigen Oldtimers» – selbst wenn das Bild des wild gewordenen Citroën ein Schmunzeln hervorrufen sollte – quittiert dieses Auto mit einem Überholmanöver. Bei besetztem Schwiegermuttersitz – die beiden Plätze verbergen sich unter der grossen Klappe im langen Heck – wirkt das Autos von hinten dann doch sehr surreal. Anderen das Heck zu zeigen, ist aber ganz im Sinn von Christian Heussi.

Es ist ein grosses Glück, dass der grosse Cit­roën-Spezialist ausgerechnet einen der engagiertesten und anständigsten jungen Oldtimerenthusiasten, dem wir bisher begegnet sind, zum nächsten Hüter seines Autos bestimmte. Roche Luder straft in jeder Beziehung all jene Lügen, die mit dem Verschwinden der Babyboomer das Ende der Old­timerei prophezeiten. Man muss die Jungen nur
heranlassen, ihre Begeisterung wecken und sich Zeit für sie nehmen. So wie Christian Heussi, der den jungen Roche als Fahranfänger im Getriebe seines Traction Avant rühren liess, stets Gelassenheit zeigte und sich daran erinnerte, wie es ihm selbst einst erging. «Mir wurde als Kind ständig schlecht im Auto, ich bin auf dem Rücksitz eines Traction Avant aufgewachsen, aber mit 15 Jahren bin ich darüber hinwegkommen, dann ging es los», schilderte uns Heussi noch im Frühling 2019 seine eigenen Anfänge.

Roche Luder gehört zu einer anderen Generation, nutzt soziale Medien, lebt im Hier und Jetzt und pflegt sein Hobby mit Freunden und bei Ausfahrten. In Sachen Manieren ist er aber old-school unterwegs: Nach unserem Treffen bedankte er sich per Nachricht nochmals freundlich und wünschte eine gute Woche. Wir machen uns um den Nachwuchs im rostigsten Hobby der Welt nun etwas weniger Sorgen, das kommt gut. 

Christian Heussi (†)

«Ich bin eigentlich ein Rennfahrer», sagte uns Christian Heussi im April 2019 (s. Porträt AR 18/2019). Eben war er von einer schweren Krankheit genesen, die Zeit im Spital hatte er genutzt, um sich Gedanken zu seiner eigenen und der Zukunft seiner Retrogarage in Galgenen SZ zu machen. Seinen Betrieb gab er schliesslich auf, das Wissen aber konnte er zu einem namhaften Teil an Roche Luder, seinen Stiefsohn weitergeben. Den Traction Avant 11BL, ein Werkscabriolet, fand Heussi 1986 in der Schweiz und baute ihn neu auf, 1993 tauchte er damit am Klausenrennen auf. Für den Motor soll ihm Mario Illien mit Rat zur Seite gestanden haben. 1994 gewann Heussi zusammen mit seiner damaligen Partnerin Regine Hansche (heute «Autozeit») die Monte Carlo Challenge. Christian Heussi verstarb am 30. Januar dieses Jahres.

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