Richtungswechsel bei der Amag?

Ein Jahr nach der ­Übernahme des Solaranlagen-Spezialisten Helion sieht sich die Amag-Gruppe auf dem richtigen Weg.

  • Vor einem Jahr: Übernahme von Helion
  • «Wir werden die Mehrheit der Bevölkerung elektrifizieren»
  • Suche nach freien Dächern

Wer an Amag denkt, denkt an Autos. Er denkt an Volkswagen, vielleicht an den Käfer, Golf oder Bulli. Vielleicht gehen einem auch noch Audi, Cupra, Seat und Skoda durch den Kopf. Inhaber dickerer Portemonnaies verbinden die Amag allenfalls mit Porsche, deren Modelle sie zwar nicht (mehr) importiert, aber immer noch verkauft. Genauso wie Bentley, wo ein noch dickeres Portemonnaie nötig ist. Kurzum, wer Amag sagt, meint Autos. Das könnte sich mittelfristig ändern, denn die Gruppe hat Wege eingeschlagen, die teilweise in ­eine ganz andere Richtung gehen. Zumindest auf den ersten Blick.

Bestes Beispiel ist die Übernahme des Solaranlagen-Installateurs Helion vor einem Jahr. Das Unternehmen mit sechs Standorten verbaut Solarpanels, Wechselrichter und Stromspeicher, aber auch Wärmepumpen und versteht sich als Anbieter klimafreundlicher Energielösungen. Auf der Helion-Website gibt es zudem einen eigenen Menüpunkt «Elektromobilität» – Wallboxen zum Laden von E-Autos gehören also ebenfalls zum Angebot. Weil die Amag heute Marktführerin bei den Elektroautos ist (rund ein Drittel aller 2023 in der Schweiz verkauften Stromer gelangte bislang über sie in den Markt), macht das Ganze aus unternehmerischer Sicht natürlich Sinn. Schliesslich sollte ein Anbieter von elektrischen Autos auch Lösungen zum Laden anbieten können, vor allem bei den Kunden zu Hause.

Alles für die Elektrifizierung
Helmut Ruhl, Geschäftsführer der Amag-Gruppe, macht kein Hehl daraus, dass die Amag voll auf die Elektrifizierung setzt. Das tut sie vermutlich nicht ganz freiwillig, denn die importierten Konzernmarken setzen ebenfalls auf diese Karte. Allerdings bekennt sich die Amag auch ausdrücklich zum 1.5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens und will bis 2040 einen klimaneutralen Fussabdruck haben. Da passen elektrische Fahrzeuge, die wenigstens lokal emissionsfrei unterwegs sind, gut ins Bild. Bis zum Jahr 2030 sollen nicht weniger als 70 Prozent der durch die Amag verkauften Fahrzeuge batterieelektrisch sein, insgesamt will man bis dahin über 400’000 Stromer abgesetzt haben. «Wir werden die Mehrheit der Bevölkerung elektrifizieren», sagte Helmut Ruhl denn auch anlässlich des ersten Jahrestags der Helion-Übernahme.

Von links nach rechts: Martin Everts, Helmut Ruhl, Noah Heynen.

Derart viele E-Autos brauchen auch entsprechend viel Strom, die Rede ist von rund 1.3 Terawattstunden, etwa zwei Prozent der heutigen Stromproduktion. Diesen Bedarf will die Amag selbst produzieren, die Infrastruktur soll die übernommene Helion Energy auf die Beine stellen. Notabene nicht nur bei den Amag-Betrieben selbst, deren Dächer bald vollständig mit Solarpanels bedeckt sein werden, sondern überall dort, wo es geeignete Flächen gibt. «Wer ein freies Dach hat, soll sich bitte bei uns melden», appelliert Helmut Ruhl und spricht vor allem Besitzer von gewerblich genutzten Gebäuden mit viel Dachfläche an. Aber nicht nur sie.

Das Hausdach als Kraftwerk …
Eigenheimbesitzer beziehungsweise Eigentümer von Einfamilienhäusern sollen bei der Versorgung von E-Autos mit Strom ebenfalls eine grosse Rolle spielen. Insbesondere jene, die selbst elektrisch fahren, betont Helion-Geschäftsführer Noah Heynen: «Was liegt näher, als den für die Individualmobilität benötigten Strom gleich selbst zu erzeugen?», fragt er. Erstens sei es viel günstiger – Heynen rechnet mit Kosten von elf Rappen pro Kilowattstunde selbst produzierten Solarstroms –, zweitens entfielen die ganzen Verluste beim Stromtransport, und drittens werde auch das Netz entlastet.

Natürlich hat nicht jede Privatperson in der Schweiz die Möglichkeit, Solarstrom selbst zu produzieren respektive die dafür nötige Infrastruktur mitaufzubauen. Dessen ist sich auch Martin Everts, der Leiter der Amag-Geschäftseinheit Energy & Mobility, zu der Helion gehört, bewusst. Es brauche zweifellos bessere Voraussetzungen für Mieter und Stockwerkeigentümer. Amag Energy & Mobility kümmert sich mit der Marke Volton zwar primär um die E-Mobilisierung von Unternehmensflotten, dass früher oder später gezielt Erbauer und Verwaltungen von Mehrfamilienhäusern anvisiert werden, liegt aber auf der Hand. Entweder durch Volton, Helion oder durch eine neu zu gründende Marke.

… und das Auto als Hausbatterie
Schon jetzt aktiv kümmert sich Helion um den öffentlichen Bereich. So will man in den Kantonen Graubünden und Tessin Fotovoltaikanlagen mit einer Spitzenleistung von 14 Megawatt bauen und betreiben. Zusätzlich sollen zusammen mit dem Partner Energie 360 Grad Anlagen an den Lärmschutzwänden entlang der Nationalstrassen in mehreren Kantonen entstehen. Übrigens mit Schweizer Technologie, denn Helion Energy ist just eine strategische Partnerschaft mit dem Panelhersteller Meyer Burger eingegangen.

Im Privatsektor stehen vorwiegend noch Hauseigentümer im Fokus. Als Ziel ruft Helion-Geschäftsführer Noah Heynen hier eine 50-Prozent-Abdeckung des Strombedarfs für Haushalt und Mobilität über das ganze Jahr allein durch Solarenergie aus. Wenn genug Batteriespeicher zur Verfügung stünden, sei auch mehr möglich. Mit einer lokalen Batterie könne selbst im Winter genug selbst produzierter Strom gespeichert werden, um an mehreren Abenden zu kochen.

Der VW ID.Buzz kann bereits bidirektional laden

Damit das gelingt, braucht es aber einiges an Kapazität. Die wiederum soll die Amag mit ihren Fahrzeugen beisteuern, denn immer mehr Modelle können bidirektional laden, also auch Strom ins Haus zurückgeben. Dazu fähige Ladestationen kosten zwar noch mehr als 10’000 Franken, dürften aber bei steigender Nachfrage rasch günstiger werden. Wenn es jedenfalls nach Noah Heynen geht, «wird ein Grossteil der Kapazität nicht fürs Fahren, sondern für den Haushalt eingesetzt». Im Schnitt fahre der Schweizer 35 Kilometer am Tag, dafür müsse die Batterie des Fahrzeugs ja nie vollgeladen sein, sondern könne flexibel als Puffer für den Hausbedarf verwendet werden. Das klingt alles sinnvoll, ob die Kunden solche Richtungswechsel genauso flexibel mitmachen, wie es die Amag-Gruppe mit ihren Geschäftsbereichen und Tochterunternehmen angeht, wird sich zeigen.

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