Besser spät als nie

Der BMW M3, seit Mitte der 1980er-Jahre auf dem Markt, hat endlich eine Kombiversion bekommen, die im BMW-Jargon Touring genannt wird. Hat sich das Warten gelohnt?

Ganze 37 Jahre und sieben Generationen – so lange hat es gedauert, bis BMW vom M3 offiziell einen Touring lanciert hat. Zwar strebten die Münchner in den 2000er-Jahren mit dem E46 M3 Touring schon einmal einen Kombi an, aber dieses Auto kam nicht über das Stadium eines Prototyps hinaus. Die sportlichen Familienkombis im D-Segment aus Ingolstadt (Audi RS4) und Stuttgart (Mercedes-AMG C 63) blieben somit ohne Gegner aus München. Zumindest bis jetzt, denn die Vorherrschaft der beiden ist vorbei: Der BMW M3 Touring ist Realität geworden.

Im Vergleich zum normalen BMW 3er Touring ist der M3 Touring 85 Millimeter länger (4794 mm), 76 Millimeter breiter (1903 mm) und vier Millimeter tiefer (1436 mm). Dennoch unterscheidet sich der M3 Touring optisch vor allem durch seine dicken Stossstangen, die pausbäckigen Kotflügel und die Karbonteile. Auch zur M3-Limousine gibt es einen wichtigen Unterschied. Während es diese auch als Standardversion mit Schaltgetriebe und Hinterradantrieb gibt, wird der M3 Touring nur als «Competition»-Variante angeboten, der Kombi ist also ausschliesslich mit Automatikgetriebe und Allradantrieb erhältlich. Das ist ein bisschen schade, denn es wäre spannend – und untypisch – gewesen, bei einem neuen sportlichen Familienkombi die Gänge selbst zu verwalten. Dennoch darf man festhalten, dass die Automatik-Allrad-Kombination diesem Fahrzeug sehr gut steht.

Ein Sechszylinder oder nichts

Unter der Haube arbeitet der berühmte Dreiliter-Reihensechszylinder S58, der eine Höchstleistung von 375 kW (510 PS) bei 6250 U/min und ein maximales Drehmoment von 650 Nm zwischen 2750 und 5500 U/min entwickelt. Dieses Aggregat profitiert von einer leichteren geschmiedeten Kurbelwelle, einem Zylinderkopf, der im 3-D-Druckverfahren hergestellt wurde, zwei Monoscroll-Turboladern und zwei elektronisch gesteuerten Waste­gates. Die Kraft wird über einen M-xDrive-­All-
radantrieb mit aktivem Hinterachsdifferenzial an alle vier Räder geleitet. Der BMW ruht vorne auf MacPherson-Federbeinen und hinten auf einer Mehrlenkerachse mit spezieller Kinematik. Das Select-Drive-M-Fahrwerk mit elektronisch gesteuerten Stossdämpfern ist serienmässig, ebenso wie die Servotronic-M-Lenkung mit variabler Unterstützung. Um der im Vergleich zur Limousine geringeren Steifigkeit des Hecks entgegenzuwirken, hat BMW im unteren Bereich des Fahrzeugbodens und des Laderaums Verstärkungsstreben verbaut. Der Auspuff verfügt über elektrisch betätigte Klappen. Geschmiedete 19-Zoll-Leichtmetallfelgen vorne und 20-Zöller hinten gehören zur Standardausstattung und können optional mit Rennstreckenreifen ausgestattet werden.

Als echtes Ingenieurfahrzeug verfügt der M3 über eine Vielzahl von Individualisierungsmöglichkeiten. Beim Getriebe zum Beispiel können drei Modi über das Konfigurationsmenü ausgewählt werden. Die Grundeinstellung 4WD sorgt für ein ruhiges Fahrverhalten in allen Fahrsituationen und für maximale Sicherheit dank ausgeglichener Traktion. Im Modus 4WD Sport wird mehr Kraft an die Hinterräder geleitet, auch wenn die Bodenhaftung verloren geht. So kann das Auto ein paar kleine Drifts machen, die aber immer vom ESP kon­trolliert werden, das über alles wacht. Dieser Modus ist somit deutlich sportlicher, aber immer noch performanceorientiert. Im Gegensatz dazu ist der 2WD-Modus eher auf Spass als auf effiziente Kraftübertragung ausgelegt. Er kann nur bei ausgeschaltetem ESP aktiviert werden und schickt die gesamte Kraft des Sechszylindermotors an die Hinterräder. In diesem Fall stehen dem Fahrer noch zehn Stufen zur Verfügung, um die Eingriffsschwelle der Elektronik anzupassen. Damit kann sich BMW rühmen, ein Antriebssystem entwickelt zu haben, das weit ausgereifter ist als bei der Konkurrenz, der RS4 mit dem Quattro eingeschlossen.

Einstellungen nach Mass

Die weiteren Einstellungen für Lenkung, Motor, Auspuff und Aufhängung sind ebenfalls variabel justierbar, wie übrigens auch die der Bremsen, die jetzt by wire (ohne direkte Verbindung) funktionieren. Der M3 kann die Bissigkeit seines Pedals in zwei Stufen verändern. Ausserdem bietet das ZF-Wandlerautomatikgetriebe mit acht Gängen drei verschiedene Schaltprofile. Sie können über den Drivelogic-Knopf am Wählhebel geändert werden und reichen von sanft bis abrupt.

Mit einem Leergewicht von 1870 Kilogramm ist der M3 Touring im Vergleich zur M3-Competition-Limousine (1800 kg in der Variante, die für die AR-Ausgabe 1-2/2022 getestet wurde) zwar schwerer, aber nicht zu schwer. Trotzdem muss man betonen, dass der Kombi sich auf Autobahnen und in langgezogenen Kurven wohler fühlt als auf Bergpässen. Bei einem Ausflug ins Wallis und in die französischen Alpen war der M3 Touring nicht gerade so agil wie eine Ballerina. Dank seiner hervorragenden Gewichtsverteilung (51 % vorne, 49 % hinten) zeigt er sich jedoch in den meisten Situationen sehr dynamisch und leistungsfähig. Er beschleunigt in 4.0 Sekunden von 0 auf 100 km/h (AR-Messung) und erreicht eine Geschwindigkeit von 250 km/h (280 km/h mit dem M-Experience-Paket). Am beeindruckendsten ist wohl die Linearität, mit welcher der Sechszylindermotor seine Leistung abgibt. Er fühlt sich zwischen 1000 und 2000 Umdrehungen genauso wohl wie zwischen 6000 und 7000 und ist ein mechanisches Meisterwerk, nicht mehr und nicht weniger. Der rote Bereich beginnt bei 7200 U/min, der Begrenzer nochmals 1000 Umdrehungen später. Der Auspuff, der im Innenraum von der Stereoanlage unterstützt wird, liefert einen schönen Klang, vor allem im Track-Modus, der auf öffentlichen Strassen aber verboten ist.

Unabhängig vom gewählten Fahrwerksprofil ist der M3 Touring straff bis sehr straff ausgelegt. Das führt logischerweise dazu, dass die Wank- und Nickbewegungen limitiert sind. Die bei BMW oft kritisierten Bremsen erfüllen ihre Aufgabe mit Bravour. Sie sind fein dosierbar und ausdauernd und verzögern das Auto exzellent, wie unser Test zeigte: 32.9 Meter für die Bremsung von 100 km/h bis zum Stopp sind eine echte Hausnummer.

Da der Touring kurz nach dem Facelift der 3er-Reihe auf den Markt kam, wurde der Doppelbildschirm mit Hauben durch einen grossen Monitor ersetzt, der aus einem 12.3-Zoll-Kombiinstrument und einem 14.9-Zoll-Infotainmentsystem besteht. Obwohl das sehr hübsch aussieht und ergonomisch ist (die Bedienung erfolgt sowohl über Berührungen als auch über das markentypische iDrive via Tasten und ein Drehrädchen), wirkt das weniger sportlich als die Lösung, die zuvor im BMW M3 Standard Pre-Facelift angeboten wurde.

Angeschmiegt an die herrlichen M-Karbon-Schalensitze ist der Fahrer dagegen ausgezeichnet positioniert. Sie sind besser als die Standardsitze, auf denen der Fahrer tendenziell etwas zu hoch sitzt. Die seitlichen Wülste machen das Einsteigen jedoch nicht einfacher. Im Klartext heisst das, dass die Sitze zwar bequem, aber im Alltag wenig praktisch sind. Dafür ist der Verstellbereich des Lenkrads gross und dessen Kranz dick. Leider gibt es für den M3 Touring weder ein Schiebe- noch ein Karbondach – nicht einmal die Farbe lässt sich wählen, das Dach ist immer schwarz. Der grösste Vorteil des Kombis ist natürlich der Kofferraum, der in der Normalkonfiguration 500 Liter fasst und bis zu 1510 Liter einpackt, wenn die Rückbank im Verhältnis 40:20:40 umgeklappt wird. Das Ladeabteil ist wie bei allen BMW-Touring-Modellen nicht nur über die Heckklappe zugänglich, sondern auch über das separat zu öffnende Heckfenster. Noch ein Wort zu Verarbeitung und Materialauswahl: hochwertig.

Der BMW M3 Touring, der in München zusammen mit der M3-Limousine produziert wird, kostet ab 130 700 Franken. Das ist deutlich mehr als der Audi RS4 Avant, der ab 111 550 Franken erhältlich ist. Allerdings ist der ältere RS4 nicht so angenehm, sportlich und vielseitig zu ­fahren wie der M3. Der Mercedes-AMG C 63 S E Performance Break ist derweil nicht nur viel teurer (145 000 Fr.), sondern bietet mit seinem Vierzylinder-Hybridantriebsstrang auch nicht die Noblesse eines Reihensechszylinders. 

Testergebnis

Gesamtnote 86/100

Antrieb

Mit seinem 510 PS starken Reihensechszylinder und der Achtgang­automatik von ZF bietet der M3 Touring eine famose Kombination.

Fahrwerk

Mit seinem sportlich ausgelegten Fahrwerk gibt sich der BMW sehr hart, und zwar unabhängig vom gewählten Fahrprofil.

Innenraum

Die Sitzposition ist hervorragend, und das Raumangebot, das durch den grossen Kofferraum mit Heckklappe erweitert wird, ermöglicht es einer Familie, sehr sportlich in den Urlaub zu fahren.

Sicherheit

BMW hat zwar grundsätzlich nicht den besten Ruf, was die Bremsen angeht, aber die By-wire-Bremsen im M3 Touring sind nicht zu beanstanden, sie bringen das Auto aus 100 km/h in 32.9 Meter zum Stoppen.

Budget

Der BMW M3 Touring ist nicht der günstigste sportliche Premiumkombi im D-Segment, aber auch nicht der teuerste. Er liegt im Mittelfeld.

Fazit 

Ein Sprichwort sagt: Alles kommt zu dem, der warten kann. BMW hat sich mehr als drei Jahrzehnte Zeit gelassen, um seinen M3 als Kombi auf den Markt zu bringen. Offenbar, weil die Münchner die Dinge gründlich angehen wollten. Der Bayer ist mit seinem durchdachten Fahrwerk, dem edlen Motor und dem vielseitigen Getriebe zweifellos einer der besten Familienkombis, die derzeit zu haben sind, wenn nicht sogar der beste.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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