Der Anpassungsfähige

Beim vierten Lauf zur Schweizer ­Rallyemeisterschaft siegte Jonathan Hirschi. Der Titelverteidiger fuhr bei der Rallye Mont-Blanc Morzine sein bereits drittes Auto innerhalb eines Jahres.

Es gibt genug Rennserien auf dieser Welt, in denen das Material respektive das Auto einen Fahrer bevorteilt. Im Fall von Jonathan Hirschi ist das sicher nicht der Fall. Man kann das getrost behaupten, nachdem er bei der Rallye Mont-Blanc Morzine (F) die Schweizer Wertung in einem Hyundai i20 N Rally 2 für sich entschieden hat. Es war das bereits dritte Auto, das Hirschi innerhalb eines Jahres zum Erfolg pilotierte. Zuvor hatte Hirschi in einem Cit­roën C3 Rally 2 mit dem Criterium Jurassien und der Rallye du Chablais die ersten zwei Läufe der Rallye-SM gewonnen, und im Jahr davor hatte der Neuenburger mit einem VW Polo GTI Rally 2 den Titel geholt. Der Polo verbrannte diesen Januar bei der Rallye Monte Carlo.

Und wie fährt er sich, der Hyundai i20 N Rally 2? «Ich habe das Auto zuvor nicht gekannt. Ich habe mich rasch daran gewöhnt, so konnten wir schon in der ersten Wertungsprüfung ein hohes Tempo fahren. Es ist nicht das beste Auto, mit dem ich je gefahren bin. Ich denke, dass war der Cit­roën C3 Rally 2, mit dem ich in die Meisterschaft gestartet bin», erklärt Hirschi. Vom Miet-Citroën kam er weg, «weil der Teammanager von Saintéloc Racing während der Saison aufhörte und die Organisation seither ein wenig vernachlässigt wird».

Fahrzeugwechsel werfen Jonathan Hirschi, der auch schon im Langstreckenrennsport Erfolge feierte, nicht aus der Bahn. Den Hyundai hatte er bei der Rallye Mont-Blanc Morzine meisterlich im Griff. Hirschi führte die Schweizer Wertung bei der Rallye zur französischen Meisterschaft von der ersten Wertungsprüfung (von 13) weg an und erzielte am ersten von zwei Wettbewerbstagen gleich sechs von sieben Bestzeiten. Am zweiten Tag verwaltete der Neuenburger seinen Vorsprung vor der Schweizer Konkurrenz mit Bravour. Jonathan Hirschi hatte dabei nicht mehr seine Lebensgefährtin Sarah Lattion auf dem Beifahrersitz sitzen, als Co-Pilot fungierte wie schon im vergangenen Jahr Michaël Volluz.

Jonathan Hirschi: Der Hyundai i20 N ist sein drittes Auto seit rund einem Jahr.

Hochkarätige Teilnehmer

Die Rallye Mont-Blanc bietet den Schweizer Fahrern traditionell die Möglichkeit, ihr Leistungs­niveau im internationalen Wettbewerbsfeld zu vergleichen, wobei die weltbesten Rallyepiloten auf Asphalt, die Franzosen, der Massstab sind. «Mein Ziel war es, mich unter den zehn Besten der Rallye zu platzieren. Leider habe ich das nicht geschafft», meinte Hirschi zum internationalen Vergleich. «Natürlich könnte ich sagen, ich sei ein neues Auto gefahren. Aber ehrlicherweise muss ich gestehen, dass ich hier nicht so gut gefahren bin wie zu Beginn der Saison.» Hirschi beendete die Rallye auf Rang zwölf der Gesamtwertung mit einem Rückstand von 4:28.2 Minuten auf die Sieger, die Franzosen Yoan Bonato und Benjamin Boulloud.

Hinter dem Neuenburger konnten sich der Walliser Mike Coppens und sein Co-Pilot Chri­stophe Roux behaupten, auch wenn sich ihre Rückkehr ins Renngeschehen als komplizierter erwies als erwartet. «Das letzte Mal in einem Rennwagen gesessen bin ich Anfang Juli bei der Rallye Burgund, wo ich aber leider von der Strasse abkam», erinnerte Coppens. «Da ich kurz vor der Rallye Mont-Blanc krank geworden bin, konnte ich nicht an den Testfahrten teilnehmen. Folglich vergingen zwei Monate ohne Fahrpraxis, bis ich bei der Mont-Blanc am Start stand. Daher war es für mich nicht einfach, sofort zu hundert Prozent im Rhythmus zu sein.» Trotzdem zeigte Coppens bis zum Freitagabend nach dem ersten Wettbewerbstag ­eine gute Leistung: «Vor unserem Dreher lagen wir nur 14 Sekunden hinter Hirschi. Am nächsten Tag kämpften wir sehr gut. Ich habe das Gefühl, dass ich meine Arbeit unter den gegebenen Umständen bestmöglich erledigt habe. Mehr habe ich nicht erwartet.»

Drittbester Schweizer mit einem Rückstand von 49.7 Sekunden auf Hirschi waren Jonathan Michellod und sein Beifahrer Stéphane Fellay, derzeit Leader in der Gesamtwertung der Schweizer Rallyemeisterschaft. «In einer Kurve wurde ich zu weit nach aussen getragen und habe einen Stein touchiert. Da das Rad nach der Prüfung gewechselt werden musste, kamen wir zu spät zum Kontrollpunkt und bekamen dafür eine Strafe von zehn Sekunden», erklärte Michellod zu seinem Verlauf bei der Rallye Mont-Blanc.

Eine Alpine macht die Show

Auf dem undankbaren vierten Rang der Schweizer Wertung klassierten sich Sergio Pinto und seine Beifahrerin Charlène Greppin mit ihrer Alpine A110 R-GT. Auch für sie war die Rallye Mont-Blanc ein willkommener Gradmesser. «Es ist immer interessant, die eigene Leistung mit der des französischen Feldes zu vergleichen, denn dessen Niveau ist sehr hoch. Natürlich setzte sich meine Zeit deutlich von der des führenden Alpine-Trios ab, aber das hat mich nicht daran gehindert, auf meinem Niveau gute Leistungen zu erbringen, wobei der Abstand pro Kilometer im Vergleich zu den Vorjahren geringer war», meint Pinto. Hinter ihm folgten die Schweizer Duos Thibault Maret/Christophe Clerc (Skoda Fabia R5), Yoan Loeffler/Marine Maye (Citroën C3 Rally 2) sowie das Geschwisterpaar Sacha und Coline Althaus (Skoda Fabia Rally 2).

Coline Althaus erlebte dabei ihre Feuertaufe als Co-Pilotin im Rallyesport, ihr Bruder Sacha war mit ihrer Leistung zufrieden: «Coline hat sehr schnell Fortschritte und einen tollen Job gemacht! Leider hatten wir zu Beginn der achten Wertungsprüfung einen Reifenschaden, weshalb es uns nicht mehr gelang, vom siebten Platz der Schweizer Wertung wegzukommen.»

Kein Zuckerschlecken

Doch nochmals zurück zu Jonathan Hirschi. In der Schweizer Rallyemeisterschaft belegt der Titelverteidiger derzeit den zweiten Platz hinter Jonathan Michellod. Hätte er den dritten Lauf der Schweizer Meisterschaft im Burgund nicht ausgelassen, stünde er wahrscheinlich an der Spitze. Sicher ist, dass die Endphase der Rallye-SM mit noch zwei ausstehenden Läufen, der Rally del Ticino (29./30. September) und der Rallye du Valais (26.–28. Oktober), spannend wird. Offen ist, ob Hirschi im Tessin starten wird («Ich habe noch zwei Wochen Zeit, um mich zu entscheiden»). Aber Hirschi bleibt für Tabellenführer Michellod trotzdem eine Gefahr. Michellod hat 136 Punkte auf dem Konto, Hirschi 119. Aber da sind noch die Streichresultate, die erst am Saisonende abgerechnet werden können. Hirschis Nuller wird die Rallye Burgund sein, wo er nicht gefahren ist. Michellod dagegen fährt jede Rallye – und wird deshalb Punkte verlieren. «Es ist sicher, dass der Schlussspurt kein Zuckerschlecken wird», weiss Michellod. 

Hickhack auf dem Podium

Die Rallye Mont-Blanc glänzte leider nicht allein mit sportlichen Leistungen. Missgunst machte sich am Wochenende in Frankreich breit. Ein Hickhack belastet seither den Wettbewerb in der Schweizer Rallyemeisterschaft. Hauptdarsteller sind ausgerechnet die Top Drei der Schweiz, der Neuenburger Jonathan Hirschi sowie die Walliser Mike Coppens und Jonathan Michellod. Letzterer soll gemäss mehreren übereinstimmenden Quellen, die aber alle anonym bleiben wollten, nach einem Reifenschaden einen Pirelli-Reservereifen eines seiner Teamkollegen benutzt haben – obwohl er eigentlich Michelin fährt. Und das geht nicht! Michellod verteidigte sich mit dem Argument, dass ein Mechaniker einen Fehler gemacht habe, weil er den Pirelli – und damit den falschen Reifen – des Teamkollegen lange vor der Wertungsprüfung ins Auto geladen habe. Unabhängig davon, wer recht hat und wer nicht, ist es schade, dass eine solche Polemik um den Mann entbrennt, der alle Chancen hat, der nächste Schweizer Rallyemeister zu werden.

Die zweite Kontroverse betrifft Mike Coppens und Jonathan Hirschi. Sie stiessen bei der Rallye du Chablais zusammen. Da der Streit nach der Rallye nicht beigelegt werden konnte, trafen die beiden Teams beim Shakedown zur Rallye Mont-Blanc wieder aufeinander – und trugen ihren Streit im Beisein vieler anderer Fahrer lauthals aus, wie der AUTOMOBIL REVUE zugetragen wurde. Auch dieses Angelegenheit wirft ein schlechtes Licht auf den Schweizer Motorsport. Der Rallyesport fasziniert, aber die Konkurrenz in der Schweizer Meisterschaft ist auch aufgrund der hohen Kosten sehr klein, die Anzahl der Anmeldungen für die Rallyes sinkt. Es ist daher bedauerlich, dass die Spitzenreiter sich nicht wie Gentlemen verhalten können und sich auf der Strecke miteinander messen. Umso mehr, weil sie Vorbilder sein sollten für junge Menschen, Fahrer und Fans.

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