Big Business

Gewerbler, Handelsvertreter, Commis Voyaguers fuhren ihre Coupés nicht zum Vergnügen, sondern zur Arbeit.

Die Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er-Jahre bedeutete eine Zäsur, die Geschäfte liefen harzig, und manch ein Unternehmen kämpfte mit allen Mitteln ums Überleben. Das Business-­Coupé, eine sehr amerikanische Erscheinung in der Automobilgeschichte, ist ein Produkt dieser Zeit.  Meist als die günstigste Version einer Modellreihe angeboten, zielte das Business-Coupé auf all jene, die ihr Geschäft direkt bei den Kunden abzuwickeln hatten. Mit dem Pick-up-Truck hatte das Handwerk und die Landwirtschaft bereits ein passendes Automobil erhalten, nun waren all jene an der Reihe, die ihre Ware in einem geschlossenen Wagen trasportieren wollten und Wert auf Fahrkomfort und manchmal auch auf Repräsentation legten. 

Tatsächlich gab es Business-Coupés bei Budget- und Volumenmarken wie auch Mittel- und Oberklasseherstellern wie Buick oder gar Packard. Die Vorteile waren klar: Während in der meist dreiplätzigen, mit einer einzigen Sitzbank ausgerüsteten Kabine Annehmlichkeiten wie Heizung, Zigarettenanzünder oder gar ein Radio möglich waren,  lagerten Handelsware, Warenmuster oder empfindliches Werkzeug, Messgeräte oder Fotoapparate bestens verstaut im riesigen Kofferraum. Manches Business-Coupé verfügte sogar über eine herausnehmbare Trennwand, sodass der Businessman im Notfall im Wagen schlafen konnte. Da diese Form des Firmenwagens oft vom Chef für seine Angestellten bereitgestellt wurde, war dieser nicht sehr erpicht darauf, dass seine Wagen für den Familienausflug herhalten mussten, darum gab es meist keine Rückbank für den Nachwuchs. Ihre Blüte hatten die Business-Coupés direkt vor dem Zweiten Weltkrieg, als davon weit über hunderttausend von Major Brands hergestellte Wagen verkauft werden konnten. Marktleader war der Dodge Wayfarer mit über 60 000 verkauften Wagen im Jahr 1939.

Lange Technik-Lebenszyklen

Chevrolet war die wichtigste Marke von General Motors und das Volumenmodell des grössten Autobauers der Welt schlechthin. Das Rennen um mehr Zylinder und Hubraum startete die Marke mit Schweizer Wurzeln – die Geschichte von ­Louis Chevrolet ist bekannt – 1929 mit einem Sechszylindermotor in direkter Konkurrenz zum neu erschienenen Ford A mit Vierzylinder. Zwar hatte der als Stovebolt-Six bekannt gewordene Chevrolet-Motor hängende Ventile, mit seiner Tauchschmierung und Gusskolben aber war er eine recht altertümliche Konstruktion. Das hielt Chevrolet nicht davon ab, diese auch 1938 für seinen Master zu verwenden, dessen Business-Coupé-Version wir hier näher vorstellen.

Die Modellgeneration 1938 zeigte als wichtigste Änderung einen neuen Kühlergrill. Die Abteilung Color and Art von GM, das von Harley Earl geleitete Designstudio, sorgte jedes Jahr für eine optische Modellpflege, während die Technik wesentlich längere Zyklen kannte. Allerdings leistete der Stovebolt-Six ab diesem Jahr 85 PS aus 3.5 Litern Hubraum, die Kurbelwelle war im Vorjahr neu konstruiert worden und verfügte nun über vier statt drei Wellenlager – aber immer noch über keine vollständige Druckumlaufschmierung. Punkto Fahrwerk gab es 1937 ebenfalls Veränderungen, der Deluxe war mit vorderer Einzelradaufhängung zu haben. Beim normalen Master aber wie bei unserem Exemplar – die Deluxe-Schriftzüge sind gemäss Besitzer irreführend – blieb es vorne wie hinten bei Starrachsen. Das Lenkgefühl ähnelt stark jenem eines Wagens der 1920er-Jahre. «Die Reifen stammen von einem türkischen Hersteller und sind für leichte Nutzfahrzeuge gedacht. Immerhin sind es Radialreifen, Weisswand war bei einem Zweckautomobil wie einem Business-Coupé damals eher unüblich», erklärt Besitzer Hugo Folini, der historische Autos, die Mode und den Lifestyle der 1930er- und 1940er-Jahre liebt. Sein Anzug etwa ist korrekt für einen Businessman der späten 1930er-Jahre. Doch zurück zum Fahrerlebnis mit dem Chevrolet.

Standard und Massstab

Der kleine Pavillon des Coupés hat etwas Einladendes. Dieser Chevrolet gelangte vor etwa 20 Jahren entrostet und grundiert als Restaurationsobjekt in die Schweiz und wurde recht nahe am Original wieder instand gestellt. Zum Bedauern seines heutigen Besitzers entschied man sich allerdings gegen das originale Grau und verpasste dem Auto einen crémefarbenen Lack. Im Innenraum aber sind die Sitzbank und Türfüllungen mit einem zeittypischen, plüschartigen Stoff bezogen. Dieses Tan-Mohair stand 1938 als einziges zur Auswahl und sorgt für ein Sitzgefühl wie auf Grossmutters Sofa. Viel Ablenkung gibt es hier nicht, neben dem langen Schalthebel, der mit dem damals üblichen Schaltschema mit erstem Gang hinten links das synchronisierte Dreigangetriebe bedient, stecken unter dem Armaturenbrett an der Trennwand zum Motor zwei grosse Blechbüchsen. Die eckige ist für das Radio, die runde mit zwei Klappen ist die Heizung, beide kosteten damals einen Aufpreis. Der Chevrolet ist trotz einiger Elemente im zeittypischen Art-déco-Stil ein eher nüchternes Auto, und – was erstaunt – sein Kofferraum ist längst nicht so gross, wie man zunächst erwarten würde. Dies liegt einerseits an der recht langen Gepäckablage hinter der Sitzbank im Innenraum und andererseits am Zwischenboden im Kofferraum, unter dem Werkzeug und das Reserverad verstaut sind.  

Tatsächlich hat der Chevrolet keinen langen Radstand, dafür wirkt gerade das Business-Coupé harmonischer als manche seiner Konkurrenten. Zu diesem Eindruck trägt auch die 1938 voll um sich greifende Stromlinie bei, die sich beispielsweise in den horizontalen Kühlerstäben widerspiegelt. Die Scheinwerfer sitzen beim Modelljahr 1938 letztmals an den Flanken des Kühlers, im Jahr darauf werden sie auf den Kotflügeln platziert, um 1940 schliesslich gleich ganz in die Kotflügel integriert zu werden. «Ich habe immer ein Vorkriegsauto gesucht», meint Hugo Folini zu den Details des 38er-Chevy, «mir gefällt die Gestaltung des Kühlers. Die rote Farbe in den Chromstäben ist übrigens original, beim Kauf des Autos fehlte sie, ich habe sie wieder korrekt nachlackieren lassen.» Tatsächlich ist Folinis Alltagsauto im Sommer ein 1948er-Dodge, auch ein Business-Coupé, notabene.

Vorkrieg bevorzugt

Der 3.5-Liter-Sechszylinder startet nach dem Druck mit dem Fuss auf den Knopf im Boden  nach einer Viertelumdrehung. Noch nicht ganz zur vollen Zufriedenheit des Besitzers rot statt grau lackiert und mit verchromten Ventildeckeln versehen, schnurrt der Motor gleichmässig dahin. In Ermangelung triftiger Argumente behaupteten die Konkurrenten, die damals unisono noch mit seitengesteuerten Motoren an den Start gingen, die OHV-Ventilsteuerung mit ihren Stosstangen und Kipphebeln sei wesentlich lauter als ihre eigenen, direkt auf der seitlichen Nockenwelle stehenden Ventile. Zeittypisch und allen gemein ist jedoch der einsame, reichlich unterdotierte Vergaser, dem man nicht so recht glauben will, dass er sämtliche Zylinder des langen, schmalen Motorblocks gleichmässig mit zündfähigem Gemisch versorgen kann. Über den wahren Verbrauch dieses Chevrolet lässt sich noch nicht viel Präzises sagen, der Wagen ist noch ganz frisch im Fuhrpark des neuen Besitzers. 

Mit theoretisch nur 85 PS bei einem Leergewicht von etwa anderthalb Tonnen scheint man nicht gerade grosszügig motorisiert zu sein. Die sehr flache Drehmomentkurve aber erlaubt ein extrem schaltfaules Fahren, der oberste Gang kann selbst in den mittlerweile grassierenden 30er-Zonen drinbleiben, am Ortsausgang reicht es, einfach Gas zu geben. Dabei kann der fast 90-jährige Chev­rolet noch heute gut mit dem Verkehr mithalten. Einmal in Fahrt, vermisst man Servos für Lenkung oder Bremsen kaum. Überhaupt ist dieses Vorkriegsauto einiger eher rustikaler Details wie der Motorschmierung zum Trotz (die hingegen für weniger technische Komplikationen und damit ­eine geringere Pannenanfälligkeit sorgen) eines der bekömmlichsten seiner Art und für einen Enthusiasten geradezu verlockend. Das verwendete Material war damals gut, die Bauweise mit einer aus dickem Blech (Fischer Bodies, im Besitz von General Motors) gepressten Karosserie auf einem währschaften Chassisrahmen ist noch heute gut zu handhaben, genauso wie die unverwüstliche Mechanik. Und dank der grossen Produktionszahlen sind die wichtigsten Ersatzteile bis heute problemlos zu finden. Zudem kann man gerade dem Business-Coupé einen grossen Sex-Appeal nicht absprechen, neben dem Cabriolet ist es die attraktivste aller Karosserievarianten.

Hugo Folini wird den Wagen künftig fahren und mit Sorgfalt auch gebrauchen. Zwar nicht mehr wie damals der Erstbesitzer in Kalifornien, wo das Auto herkommt, für geschäftliche Zwecke, sondern zum Vergnügen. Allerdings gibt es noch heute schlagende Argumente für ein Business-Coupé mit ganz praktischem Hintergrund: Als Reisewagen eignen sie sich heute so gut wie damals. Dank ihres grossen Kofferraums gibt es reichlich Platz für das Gepäck und dies völlig ausserhalb  des Fokus des Betrachters.

Warum es seit den 1950er-Jahren keine Business-Coupés mehr gibt? Heute wäre der Onlinehandel wohl schuld an ihrem Verschwinden, damals aber war es das Auto selber respektive die zunehmende Motorisierung der Bevölkerung. Immer mehr zuverlässige und günstige Autos brachten in den USA die Menschen in die nächste Stadt mit ihren Geschäften und Firmen, sie fanden dort Arbeit und wurden zu Pendlern aus den wachsenden Vorstädten. Für alle Handwerker und Vertreter  aber – und die wachsende Freizeitgesellschaft – lieferten die Hersteller Ersatz: den Stationswagen! 

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