«Die individuelle Mobilität ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit»

Der neue Präsident der Importeursvereinigung Auto-Schweiz spricht in ­seinem ersten Interview seit seiner Wahl über seine Ziele und die Bedeutung der Automobilbranche für die Schweizer Wirtschaft.

An ihrer 65. Generalversammlung haben die Mitglieder von Auto-Schweiz in dieser Woche den Ökonomen Peter Grünenfelder zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er folgt auf Albert Rösti, der seit Anfang Jahr als Bundesrat in der Verantwortung steht. «Ich freue mich sehr auf diese Schlüsselaufgabe am Schalthebel eines der gewichtigsten Wirtschaftsverbände der Schweiz», sagte Peter Grünenfelder im Anschluss an seine Wahl an die Spitze der Vereinigung der Schweizer Automobilimporteure.

AUTOMOBIL REVUE: Herr Grünenfelder, Sie wechseln vom Thinktank Avenir Suisse zu Auto-Schweiz. Was reizt Sie an der neuen Aufgabe?

Peter Grünenfelder: Die Autoindustrie ist eine der innovativsten Wirtschaftsbranchen, die sich in ­einem umfassenden Transformationsprozess befindet. Autos sind heute Hightech-Produkte, und die genialsten Tüftler, darunter viele in der Schweiz, finden Sie in der Automobilbranche. Mit dem Vor­anschreiten der Elektrifizierung und der Entwicklung neuer Antriebstechnologien steigt zugleich der politische Handlungsbedarf hierzulande. Es braucht Versorgungssicherheit mit genügend Strom und eine Politik der Technologieoffenheit. Das Verbandspräsidium ist eine äusserst anspruchsvolle Aufgabe, die mich sehr reizt, mich mit voller Kraft für den Motor der Wirtschaft zu engagieren und damit meinen Teil zur Mobilität der Zukunft beizutragen.

Welche vorrangigen Ziele setzen Sie sich?

Klar oberstes Ziel ist die Optimierung der politischen Rahmenbedingungen. Es braucht eine technologieoffene Regulierung und das unideologische Anpacken der Frage, wie wir Versorgungssicherheit mit Strom sicherstellen. Die Schweiz will bis 2050 Netto-null erreichen, doch die Politik sollte der Automobilwirtschaft nicht technisch vorschreiben, wie das Ziel der CO2-Reduktion zu erreichen ist. Will die Schweiz die Mobilität dekarbonisieren, sind Steuererleichterungen für klimafreundliche Fahrzeuge genauso nötig wie ein engmaschiges Netz an Ladestationen und die Schaffung von Einsatzmöglichkeiten für synthetische Treibstoffe.

Ihr Vorgänger Albert Rösti ist jetzt als Bundesrat und Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Energie, Verkehr und Kommunikation Ihr oberster Ansprechpartner in verkehrs- und energiepolitischen Angelegenheiten. Erleichtert dies den Job? 

Bundesrat Albert Rösti hat bereits in den ersten Monaten im neuen Amt gezeigt, dass er Mobilitätsfragen ganzheitlich angeht und die einzelnen Verkehrsträger nicht gegeneinander ausspielen will. Eine weniger ideologisierte Verkehrspolitik ist sicherlich hilfreich, um die zahlreichen Herausforderungen bewältigen zu können.

Sie haben es angesprochen: Die Automobil­branche befindet sich in einem grundlegenden Transformationsprozess. Wo geht die Reise hin? 

Die Dekarbonisierung ist in vollem Gang, viele Hersteller und mit ihnen die Schweizer Importeure stellen in den kommenden zehn bis zwölf Jahren ihr Fahrzeugangebot vollständig auf elektrische Antriebe um, mit Batterien oder wasserstoffbetriebenen Brennstoffzellen. Aber auch synthetische Treibstoffe für Verbrennungsmotoren werden eine wichtige Rolle spielen, um die aktuelle Fahrzeugflotte klimaneutral betreiben zu können. Umso wichtiger ist es, dass man eine technologieoffene Politik betreibt – wir werden verschiedene CO2-freie Energieträger benötigen, um die Mobilität auch in Zukunft sicherzustellen.

Wo sehen Sie die grössten verkehrspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre?

Wie gesagt, ist die Frage der Stromversorgungs­sicherheit alles andere als gelöst, was auch den beschleunigten Transformationsprozess der Autobranche erschwert. Der Ausbau der inländischen Stromerzeugung und -verteilung ist daher dringend nötig, um die Energiewende und damit auch die Elektrifizierung des Verkehrs bewältigen zu können. Zugleich stellen wir fest, dass sich Städte mit immer radikaleren Massnahmen gegen Autoverkehr abschotten wollen. Mit Lastenvelos und Velo-Highways lässt sich aber die Wirtschaftskraft des urbanen Raums nicht aufrechterhalten! Die individuelle Mobilität ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Wenn Städte sich verbarrikadieren und rechtstaatlich bedenkliche Aktionen gegen den Individualverkehr tolerieren, wenn Städte die Mobilität der Unternehmen, der werktätigen und konsumierenden Bevölkerung über Gebühr einschränken, schaffen sie keinen Wohlstand und gefährden mittelfristig ihre Stellung als Wirtschaftszentren unseres Landes. Hier will ich klar Gegensteuer geben.

Autofahrer sind von unzähligen Staus geplagt. Das ist nicht nur ein Ärgernis, sondern auch volkswirtschaftlich verheerend. Warum gelingt es der Politik nicht, die Strassen­infrastruktur an die Mobilitätsbedürfnisse anzupassen?

Allein bei den Nationalstrassen haben sich die Stauzeitkosten innert weniger Jahre auf rund zwei Milliarden Franken pro Jahr verdoppelt, da sollte nicht nur bei jedem Verkehrspolitiker, sondern auch bei jedem Wirtschafts- und Finanzpolitiker die rote Warnlampe leuchten! Es ist daher mein Ziel, dass sich fortschrittliche Verkehrs-, Wirtschafts- und Finanzpolitiker zu einer «Koalition der Mobilität» zusammenschliessen, weil die Schnittmenge der gemeinsamen Interessen gross ist.

Welche Ausbauprojekte haben Priorität?

Autobahnhauptachsen sind bekanntlich die Schlagadern des Verkehrs und der Wirtschaft. So machen Nationalstrassen nur 2.5 Prozent des Strassennetzes aus, bewältigen aber 43 Prozent des Personen- und 68 Prozent des Güterverkehrs. Zur Sicherung der Schweizer Wirtschaftskraft bedarf besonders die A1 als Ost-West-Achse einer dringenden Kapazitätserweiterung auf vielen Abschnitten. Entsprechend ist eine sechsstreifige Verkehrsführung anzustreben.

Ohne Strassenverkehr stünde die Wirtschaft still. Dennoch mangelt es vielen Politikern am Verständnis dafür. Im Trend liegt eher die Behinderung als die Verflüssigung des Verkehrs.

Diese Tendenz lässt sich primär im links-grünen städtischen Umfeld beobachten. Wer meint, ohne Pendel- und Zuliefererverkehr auskommen zu können, landet unweigerlich in der ökonomischen Sackgasse.

Sprechen wir über die Finanzierungsfrage. Mit der rasanten Elektrifizierung schwinden die Einnahmen aus der Mineralölsteuer. Gleichzeitig beschneiden die Städte den Raum für Automobilisten, während sie immer mehr Velowege bauen – ohne dass die Velofahrer zur Kasse gebeten würden. Wie sähe eine funktionierende und gerechte Finanzierungslösung aus?

Das Bundesamt für Strassen erarbeitet derzeit ­einen Vorschlag für eine fahrleistungsabhängige Abgabe für Elektrofahrzeuge. Auto-Schweiz ist grundsätzlich für faire Bepreisung der Strassennutzung. Doch die Wirkung sollte nicht kontraproduktiv sein, der Umstieg auf Elektromobilität sollte also keinesfalls als zu teuer und als Strafe angesehen werden. Grundsätzlich gilt es, mehr Kostenwahrheit ins Schweizer Verkehrssystem zu bringen. Der Infrastruktur-Kostendeckungsgrad des motorisierten Strassenverkehrs beträgt bekanntlich 101 Prozent. Demgegenüber haben wir im öffentlichen Verkehr einen äusserst tiefen Kostendeckungsgrad von gerade einmal 40 Prozent. Die Folge: Mit dem GA wird eine Form von subventionierter Übermobilität geschaffen. Zur Kostendeckung muss auch der Langsamverkehr zwingend seinen Beitrag leisten, gerade was den teuren Infra­strukturausbau in den Städten betrifft.

Am 18. Juni stimmen wir über das Klimaschutzgesetz ab. Es könnte zu einem Verbot von Benzin- und Dieselfahrzeugen führen, die rechtlichen Rahmenbedingungen sind noch unklar. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Die Automobilwirtschaft trägt die Klimaziele mit. Technologieverbote sind aber nicht akzeptabel. Ökologisch fragwürdig ist auch die vom Bund geplante Verteuerung der Elektromobilität durch den ab 2024 geplanten Wegfall der Befreiung von Elektrofahrzeugen bei der Automobilsteuer. Solche Massnahmen erweisen dem Klimaschutz einen Bärendienst.

Das Auto ist für viele zu einem Feindbild geworden. Was wollen Sie dem entgegensetzen?

Städte funktionieren nur als Wirtschaftszentren, wenn sie den Autoverkehr auch ermöglichen. Das gilt es vermehrt aufzuzeigen, deshalb werde ich dezidiert gegen die zunehmend individualverkehrsfeindliche Politik, die wir seit geraumer Zeit beobachten, antreten.

Was fahren Sie selbst für ein Auto?

Ein Modell der C-Klasse samt eingebautem Kindersitz für unseren kleinen Sohn, sogar mit Sonnenschutz samt Smiley an den Fenstern.

Welches war Ihr erstes eigenes Automobil?

Das war ein roter Seat Ibiza während meiner Studienzeit in St. Gallen.

Letzte Frage: Sie treten Ihr Amt als Präsident von Auto-Schweiz mit Freude und Elan an. Wenn Sie in einigen Jahren zurückblicken werden: Woran möchten Sie gemessen werden?

Mein persönliches Ziel ist, dass die Innovationskraft der Autobranche dank gescheiter politischer Rahmenbedingungen hierzulande vollumfänglich zum Durchbruch kommt und der Motor der Wirtschaft in hoher Drehzahl seinen wichtigen Teil zur Wertschöpfung weiterhin beitragen kann.

Zur Person

Peter Grünenfelder (55) ist promovierter Betriebswirtschafter der Universität St. Gallen. Derzeit leitet er als Direktor den wirtschafts-nahen Thinktank Avenir Suisse, der sich auch mit strategischen Fragen der Verkehrs-, Energie- und Klimapolitik auseinandersetzt. Zuvor war Grünenfelder Staatsschreiber des Kantons Aargau.

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