Frisch aufgeladen

Kaum ein Auto kennen so viele Menschen wie den VW-Bus. Seit 73 Jahren gibt es ihn. Der ID Buzz steht in seiner Nachfolge. Sein Aufgabenschwerpunkt liegt aber anderswo

Das ist er nun also, der elektrische  Ziehsohn von Millionen von VW-­Transportern, die sich nebst ihrem Hauptzweck, dem Transport von Waren und Menschen, in den letzten 20 Jahren zunehmend zu einem Kultvehikel gewandelt haben. Doch nicht nur die Modelle längst vergangerer Zeit haben Kultstatus. Selbst die aktuelle Baureihe des T6.1 geht so gut weg, dass mangels weiterer Kapazitäten ein Bestellstopp verhängt wurde. Doch der klassische Transporter ist gar nicht der nächste Verwandte des ID Buzz. Gewiss, technisch sind es die ID-Modelle, konzeptionell aber liegt er nahe beim VW Multivan, der innoffiziell T7 genannt wird. Damit liegt dem ID Buzz der reine Transport eher fern, selbst wenn es ihn auch als fensterlosen Cargo gibt. Dafür ist er, wir nehmen es hier schon vorweg, als Nutzfahrzeug völlig over-engineered – also überentwickelt.

Als Familienwagen aber zeigt sich der VW-Van als überaus zeitgemässer und angenehmer Partner. Mit seiner hellen Stoffausstattung wirkt der luftige Innenraum noch luftiger, Holzapplikationen am Armaturenbrett lassen jegliche Befürchtungen vor einem Playmobilauto-­Look sofort verfliegen. Allerdings möchte man eine Bande von Dreckspatzen nach dem Waldausflug hier nicht ohne Vorwaschgang hineinsetzen. Also doch mehr Lifestyle- und weniger Familienwagen? Es scheint so, aber gemütlich ist es hier. Und wie bei jedem Van ist auch hier die Kombination von Aussicht und aufrechter Sitzposition wie zu Hause am Esstisch ein Faktor, der zu einer anderen Fahrweise führt. Schade ist hingegen, dass sich der Sitz nicht etwas tiefer setzen lässt und sich nur die Neigung der Sitzfläche verändert. Dafür vermitteln die beidseitigen Armlehnen das Gefühl, der Commander dieses Raumschiffes zu sein. Die Bedienung des ID Buzz orientiert sich an seinen Geschwistern, der Wählhebel hat jedoch einen eigenen Träger am Lenkstock erhalten und sitzt nicht wie anderswo seitlich am Armaturenträger. Zudem gibt es einige Tasten zur schnelleren Navigation durch die essenziellen Funktionen wie die der Klimaanlage. Zudem sind nun sämtliche angezeigten Symbole auf dem Screen auch jene, welche tatsächlich an der entsprechenden Funktion etwas ändern können. Die Situation zweier direkt nebeneinanderliegender Symbole für die Sitzheizung – das eine um anzuzeigen, dass sie aktiviert ist, das andere, um dies zu ändern – ist mit dem Update überwunden. Lange Rede, kurzer Sinn: Etwas Intuition floss beim Bedienschema des ID Buzz ein. Zwar wird das nie mehr eine Liebesgeschichte zwischen dem VW-Infotainment und den Testern, aber immerhin gibt es Lichtblicke – ausser dass die Lenkradheizung hinter einem Symbol für warme Hände versteckt ist. Ein einfaches Lenkradsymbol zum Ein- und Ausschalten würde reichen.

Raumfahrt

Sanft fährt er los, der Buzz. Mit einem Leergewicht von 2.5 Tonnen und einer Leistung von 150 kW (204 PS) spielt der Van den gemütlichen Transporter. Aber ein etwas energischerer Druck auf das Fahrpedal genügt für mehr Dynamik, und dank der Charakteristik des E-Motors an der Hinterachse bleibt man nie auf der Strecke oder muss an der Einfahrt auf eine grosse Lücke im Verkehr warten. Einmal in Fahrt, überrascht der VW mit seinem recht straffen Fahrwerk. Dies ist keine Sänfte, sondern ein recht ordentlicher Brocken, der im Zaum gehalten werden will. Angesichts der Sitzposition ist man froh darum, dass die Aufbaubewegungen erfolgreich eingedämmt wurden. Nur eben ist das unbeeindruckte Gleiten nicht sein Ding. 

Sehr erfolgreich waren die Ingenieure aber bei der Geräuschdämmung. Trotz massiver Front gibt es kaum Windgeräusche im Innenraum, einzig ein leichtes Summen unter Last – kommt das vom Achsantrieb? – ist gelegentlich von der mechanischen Seite hörbar. Da gefällt einem das Programm aus der Soundanlage. Nach einigen Kilometern ist es aber nicht der Sommerhit «Hippie-Bus» von Dodo, sondern cooler Reggae, der zur Gangart des ID Buzz bestens passt. Sind das bereits die oft kolportierten Bus-Vibes, die da mitschwingen?

Stirnrunzeln verursacht der gelegentliche Blick auf den Verbrauch. An erster Stelle der Anzeige der Kilowattstunden pro 100 Kilometer steht stets eine deutliche Zwei. Das ist in der Tat reichlich viel. Und so bleibt die versprochene Reichweite unter Idealbedingungen von 400 Kilometern und mehr fast immer in einiger Ferne. 320 bis 350 Kilometer kann man aber guten Gewissens einplanen. Natürlich spielen Heizung und weitere Funktionen eine gewisse Rolle beim vorzeitigen Verbrauch der Energiereserven. Findet sich eine Schnellladestation, dann ist man allerdings verhältnismässig schnell wieder flott. Der ID Buzz lässt sich mit bis zu 170 kW Gleichstrom (DC) schnellladen. Wer übrigens warten muss, bevor es weitergeht, kann  es sich im Elektro-Van gemütlich machen. Dazu wäre übrigens eine Konverter-Steckdose sinnreich, die 230 Volt liefert – zum Laden des Laptops. Doch sollte der ID Buzz seine Nutzer in ähnlicher Weise begeistern und inspirieren wie seit Jahrzehnten seine Vorgänger, so wird man kaum lange warten müssen, bis wir eine Flut von Zubehör und Ideen für den BUZZ sehen werden.

Stadttauglich

Der ID Buzz hat also Heckmotor, die Vorderachse bleibt damit von Antriebsaufgaben völlig unberührt. Das bringt gerade bei diesem gefühlt doch recht imposanten Fahrzeug einen gewichtigen Vorteil: Im Gegensatz zu den meisten SUV oder modernen Standard-Vans mit Frontantrieb und Quermotor besitzt der VW-Van einen grandiosen Lenkeinschlag. Damit ist auch sehr scharfes Abbiegen in eine Parklücke möglich. Selbst engste Parkhäuser verlieren ihren Schrecken, und auch das seitliche Einparkieren in kurze Lücken ist ein Kinderspiel. Wer sich zudem auf das alte Spiel mit den Rückspiegeln statt der Bordkamera einlässt, geniesst die tolle Übersicht über die Fahrzeugdimensionen. Nein, vor der unteren Frontscheibenkante geht es in der Tat nicht sehr viel weiter, und hinten ist der Bus da zu Ende, wo man auch hinsehen kann, ganz der Alte. Natürlich gibt es aber auch alle erdenklichen Parkierhilfen, zumindest gegen einen Aufpreis. Ebenso gegen Aufpreis sind die elektrisch zu betätigenden Schiebetüren zu haben, sie sind zu empfehlen, wenn hinten die Jungmannschaft ein- und aussteigen soll. Zudem verhindern sie das sonst – auch nachts – nötige Zuknallen der grossen Seitenportale. Auch wer irgendwann eine Matratze in den Buzz werfen und einen Campingplatz aufsuchen will, wird die elektrische Schliessfunktionen schätzen. Man sagt, dass es früher auf manchen Campingplätzen ein Schiebetürenverbot gegeben habe oder zumindest eine eigene Ecke für solche Vans, damit die anderen Besucher nicht um ihre Nachruhe gebracht wurden. Doch zurück zur Jetztzeit. 

Sehr vieles kostet beim ID Buzz Aufpreis. Damit ist er natürlich in bester, deutscher Gesellschaft. Andererseits soll ja ausgerechnet dieses Fahrzeug für Individualistinnen und Individualisten eine Vielzahl an Möglichkeiten bieten. Angesichts des Erfolgs des T6.1 California hierzulande mit einer ähnlichen Preispolitik wäre es seitens VW wohl ein Fehler, darauf zu verzichten. 

Doch kehren wir nochmals zurück in die Stadt mit dem ID Buzz. Die Aufmerksamkeit, die er aktuell noch geniesst, wird bei zunehmender Verbreitung verschwinden. Im Moment muss man aber damit rechnen, darauf angesprochen zu werden, sei es auf der Strasse oder im grossen schwedischen Möbelhaus beim Einladen all der Dinge, die man ursprünglich gar nicht kaufen wollte – als typisches Konsumopfer. Bei diesem Stichwort macht es womöglich Sinn, sich auch über den ID Buzz einige Gedanken zu machen: Ja, er wurde von Anfang an von Fans mit Sehnsucht erwartet, er ist als eine Art ID-Flaggschiff zu verstehen und wird vielleicht gerade deswegen von seinen Kritikern mit Argwohn beurteilt. Aber man darf dagegenhalten, dass es VW gelungen ist, den Spirit und die Originalität der Vergangenheit mit dem Buzz wieder aufleben zu lassen. Dies dürfte sogar eine Signalwirkung haben auf die bisherigen ID-Modelle, die zwar ihre anerkannten Stärken vorzuweisen haben, aber trotzdem einen gewissen Knalleffekt vermissen lassen. Wie man weiss, arbeitet VW allerdings daran, seine E-Flotte attraktiver zu gestalten.

Der ID Buzz hat zwar einige Mankos wie die Reichweite, den Gesamtverbrauch, das etwas unglückliche Layout des Laderaums und auch die eingeschränkte Nutzlast, die zusammen mit der Motorkiste im Heck verhindert, dass der E-Van als Siebensitzer zu haben ist. Aber es scheint, als würde sich die Geschichte wiederholen, auch der allererste VW-Bus war mit spartanischer Ausstattung, leistungsschwachem Motor und fehlender Heckklappe (!) nicht der Weisheit letzter Schluss. Der ID Buzz ist einer der ersten Elektro-Vans seiner Art, er steht in der Nachfolge einer grossartigen, emotionalen Geschichte und wird bereits deshalb mit einigem Vorsprung auf diesen neuen Markt für diese Art von Freizeitfahrzeugen hinausfahren. Und selbst wenn er im Vergleich zur – noch reichlich dünn gesäten oder wenig überzeugenden – Konkurrenz eine ganze Menge Geld kostet, ist absehbar, dass er diesen Wert entsprechend länger beibehalten wird.

Zu guter Letzt gilt es noch ein wichtiges Detail zu erklären: Wie genau der VW-Bus-Gruss geht!  Den Handrücken an das oder aus dem Fenster halten, Zeige-, Mittel- und Ringfinger beugen, Daumen und kleinen Finger gestreckt halten und die Hand leicht hin- und herbewegen: Chill! 

Testergebnis

Gesamtnote 69.5/100

Antrieb

Er reisst keine Bäume aus, der ID Buzz, aber die 150 kW reichen ­für flottes Vorankommen. Naturgemäss geschieht dies lautlos.

Fahrwerk

Seekrank wird keiner, die Abstimmung ist recht straff, die Aufbaubewegungen sind moderat, der tiefe Schwerpunkt leistet dazu seinen Beitrag.

Innenraum

Freundlich und hell gleicht das Interieur jenem eines Personenwagens. Die Modularität wird durch die Motorkiste etwas eingeschränkt.

Sicherheit

Man sitzt auf dem Thron und schaut über die Strasse. Alle Enden sind gut einsehbar, der Wagen lässt sich perfekt auf der Strasse platzieren.

Budget

Der ID Buzz ist kein Sonderangebot, die Aufpreisliste ist entsprechend lang. Wer die Occasionspreise für VW-Vans beobachtet, darf erwarten, dass auch der BUZZ dereinst einen guten Werterhalt geniessen wird.

Fazit 

Ist er ein würdiger Erbe der langen VW-Bus-Geschichte? Wir denken, er ist es. Gewiss hat er einige Schwächen, viele sind hauptsächlich der verwendeten MEB-Plattform geschuldet. Andererseits sorgen sie auch für Charakter. Selten hat uns ein Elektroauto mit so viel Individualität überrascht wie der ID Buzz – und die Modellreihe steht bekanntlich erst am Anfang ihrer Entwicklung. Man darf gespannt sein.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.