Neu im Revier

Genesis jagt nach Anteilen im Premiumbereich. Mit einem Mix aus E-Modellen, Limousinen, SUV und dem Kombi Shooting Brake sind die Koreaner dafür gut aufgestellt.

Fragende Blicke erntet er noch immer, von Mitautomobilisten, die sich nicht ganz sicher sind, womit genau sie es da zu tun haben. Denn alles, was der G70 Shooting Brake verrät, ist sein Anspruch, im Teich der Premiumfische nicht zu den Gejagten zu gehören, sondern als Jäger mitzuschwimmen. Er gibt sich sehr formschön, trägt, haarscharf innerhalb der Grenzen des guten Geschmacks, ordentlich Zierrat und bietet auch innen reichlich Elemente, die darauf hindeuten, dass damit Käufer über die eigenen Reihen der Hyundai- und Kia-Fahrer hinaus angelockt werden sollen. Die Sitze beispielsweise tragen mit ihren aufwändigen Pfeifen und roten Kedern einen Touch britischer Sportlichkeit, das aufgeräumte Cockpit mit wenigen, aber sinnvollen Schaltern und einem zurückhaltenden Design der Bildschirmarmaturen gibt sich teutonisch strenger, als es die meisten Produkte unserer nördlichen Nachbarn mittlerweile effektiv sind.

Der Eindruck, dass sich die Koreaner offenbar nicht auf eines der Premiumrandgebiete beschränken, sondern sich mitten in dieses Marktsegment hineinsetzen wollen, zog sich durch unseren gesamten Test hindurch. Das hat sehr gute Seiten. Der Genesis G70 wirkt wie ein alter Bekannter, man hat ihn schnell im Griff, die Bedienung lässt kaum Fragen offen, einzig die Menüführung des Radios ist etwas umständlich. Dazu sieht sich die Sprachsteuerung ausserstand, den gewünschten Sender einzuspielen. Das können andere wirklich besser. Die Sitze sind sportlich straff und ordentlich konturiert, aber definitiv noch auf der komfortbetonten Seite angesiedelt. Positiv in der Flut der in die Höhe zielenden SUV ist die niedrige Sitzposition im Genesis G70. Als Kombi respektive Shooting Brake, also eigentlich ein Auto für die Jagdgesellschaft samt ihren Hunden, ist der G70 aber kein Raumwunder. Sowohl die stark abfallende Dachlinie und die schräge Heckscheibe, aber auch die kleine Öffnung der Heckklappe selbst verhindern den Transport ganzer Einbaukühlschränke, wie er etwa bei einem T-Modell von Mercedes, zumindest theoretisch, möglich wäre. Immerhin ist die Rückbank im Verhältnis 1:2 umklappbar, aber nur deren Lehne. Der abfallenden Dachlinie ist auch ­eine mässige Kopffreiheit hinten geschuldet. Aber dafür sieht der G70, wie gesagt, schön aus. Die Schönheit ­eines Autos definiert sich jedoch nicht nur über die Karosserie.

Suche nach Orientierung

Zum Fahrwerk und zur Lenkung, aber auch zum Ansprechverhalten des Motors gab es innerhalb des Testteams verschiedene Meinungen. Für die grössten Differenzen sorgte die Lenkung des ­Genesis G70. Von «nervös» bis «präzis, aber undifferenziert» reichten die Urteile. Tatsache ist, dass unser Testwagen sehr gerne allfälligen Längs- und Spurrillen folgte und in der Mittellage keine wirkliche Ruhe fand. Mit aktiviertem Spurhalteassistenten wurde dieser Effekt noch verstärkt und führte zu einem gewissen Pendeln zwischen den Leitlinien. Ob diese Schwäche generell ein Problem ist, oder ob unser Testwagen mit über 10 000 Kilometern Gesamt-Testleistung womöglich bereits etwas unter dem beherzten Interesse mancher unserer Berufskollegen litt, konnten wir nicht abschliessend feststellen. Dafür lässt sich über die Federung berichten, dass sich diese eher der strafferen Sorte zuordnen lässt. Gewiss ist sie nicht bockhart, aber in Kombination mit den heute ach so modischen Niederquerschnittsreifen ­ergibt sich gerade bei niedrigerer Geschwindigkeit ein recht hölzern wirkendes Abrollverhalten. Das ist ein klein wenig schade, denn wir hatten uns vorgestellt, dass sich ein eher flach bauender Kombi etwas geschmeidiger hätte abstimmen ­lassen als ein höher bauendes SUV, bei dem es gilt, die Aufbaubewegungen im Zaum zu halten. An der Strassenlage selber gibt es wenig zu ­bemängeln, die tiefe Sitzposition verleiht dem G70 in manchen Momenten sogar den Eindruck eines Sportwagens. Dank Allradantrieb zieht der G70 auch flott gefahren ohne Spektakel durch die Kurven.

Gut überlegt

Ein Zweiliter-Vierzylinder-Turbomotor treibt den Genesis G70 2.0T AWD an. Er läuft ruhig, wenn er seinen Einsatz gelassen geben darf. Wird er ­jedoch gefordert, meldet er sich deutlich zu Wort. Gut, dass nach einem Effort – nennen wir es ­Kadenzwechsel – schnell wieder Ruhe einkehrt. Etwas länger braucht allerdings nach gewissen ­Situationen die Person hinter dem Lenkrad, um wieder auf Ruhepuls zu kommen. Soll sich der G70 auf der Autobahn aus dem Windschatten ­eines Camions lösen und sich in die Kolonne der Überholenden einreihen, lässt sich das Auto ­reichlich Bedenkzeit – Sekunden, die sich aus Turboloch und trägem Getriebe zusammensetzen. Mit dieser Charakteristik entspricht der Genesis exakt den Vorstellungen, die die technischen ­Daten vermitteln.

Genau hier liegt das Kernproblem des G70. Mit dem Erfüllen von Erwartungen pflegt man Kundenbeziehungen – mit dem Übertreffen aber beflügelt man die Fantasie. An jemanden, der sich als Alternative zu den Premiummarken präsentiert, stellt man gewisse Erwartungen, und die erfüllt der Genesis auch. Die Materialwahl, die Verarbeitung und der allgemeine Qualitätseindruck stimmen. Aber die Sensation bleibt aus, da leuchtet kein neuer Stern am Autohimmel, sondern höchstens ein neuer Mond.

Andererseits ist bei Genesis das Auto selber nur die halbe Miete, den anderen Teil machen die Servicequalität, der Preis und der Umfang der darin inkludierten Dienstleistungen aus. Hier liegt der Bereich, wo Genesis nicht nur die Erwartungen der Kunden überflügeln kann, sondern auch die Leistung der Konkurrenz. Wer sich etwa unseren Testwagen Genesis G70 2.0T Shooting Brake zum Preis von erstaunlich günstigen 68 000 Franken leistet, zahlt in den nächsten fünf Jahren ausser Steuern und Versicherungsgebühr nur die Treibstoffkosten. Das Auto wird zum Service abgeholt und wieder zurückgebracht.

Insgesamt steht der G70 Shooting Brake damit nicht besser, aber ganz gewiss auch nicht schlechter da als andere. Aus der Summe aller Eigenschaften sind es primär die Soft Skills, die den Kombi aussergewöhnlich machen. 

Testergebnis

Gesamtnote 68/100

Antrieb

Solid, aber nicht berauschend – dem Zweiliter-Turbomotor fehlt es etwas an Durchzugskraft. Er läuft über weite Strecken ruhig, nur unter Last wird er reichlich vorlaut. Das Getriebe ist etwas träge.

Fahrwerk

Sportlich straff ist es nicht nach jedermanns Geschmack, dafür narren­sicher. Wer einen Gleiter sucht, sollte sich anderswo umsehen.

Innenraum

Gut verarbeitet und eher nüchtern statt extravagant präsentieren sich die sehr hübsch gemachten Sitze. Das Bedienungskonzept ist gelungen.

Sicherheit

Das Set der Assistenzsysteme ist vollständig, der Spurhalter neigt jedoch etwas zum Pendeln. Toll ist die Kamerasicht nach hinten beim Blinkerstellen. Bei Regen ist das Kamerabild allerdings unbrauchbar.

Budget

Der Preis hat es in sich, aber dafür gibt es bei Genesis einen wunderschönen Mittelklassekombi und ein riesiges Dienstleistungspaket.

Fazit 

In der Summe seiner Eigenschaften enttäuscht der G70 nirgends. Die Wahl zu seinen Gunsten ist, bis auf die hinreissende Form, wohl vernunftgesteuert. Wer scharf rechnet und sich trotzdem ein Premiumauto leisten will, sollte Genesis nicht ausser Acht lassen.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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