Der Stoff, aus dem die Träume sind

Das Potenzial synthetischer Treibstoffe ist enorm. Das hat auch Porsche erkannt und eine Pilotanlage in Chile initiiert.

Das Szenario klingt traumhaft. Statt nach dem teuren Rohöl zu bohren und es aufwendig zu fördern, wird Treibstoff wie Benzin, Diesel oder Kerosin einfach aus Luft und Wasser hergestellt. Und das Beste daran: Man entzieht dabei erst noch der Atmosphäre das unerwünschte CO2. Der so hergestellte Treibstoff ist bei seiner Verbrennung damit nahezu CO2-neutral.

Was nach Wunschdenken klingt, ist längst Realität. Synthetisch hergestellte Treibstoffe, sogenannte E-Fuels oder Synfuels, gibt es bereits seit Jahren – bisher allerdings nur im Labormassstab in kleinen Mengen. 2010 gelang es Forschenden der ETH Zürich, sogenanntes Synthesegas oder Syngas im Labor herzustellen. Syngas ist der Grundstoff, aus dem E-Fuels raffiniert werden. Es handelt sich dabei um Kohlenwasserstoffe, die mit Strom aus Wasser und Kohlenstoffdioxid (CO2) hergestellt werden. 

An der Synfuel-Versuchsanlage Haru Oni in Chile sind neben Porsche noch weitere
Unternehmen beteiligt, darunter Siemens Energy und der Ölkonzern Exxon Mobil.

Produktion in Chile

Spannend wird es, wenn der eingesetzte Strom aus regenerativen Quellen stammt, also etwa aus Wind- oder Sonnenenergie. Und richtig spannend wird es, wenn das verwendete CO2 dazu aus der Atmosphäre gelöst wird. Genau das ist dem ETH-Team 2019 gelungen: Es hat ein Verfahren entwickelt, um aus Sonnenlicht und Luft einen Treibstoff zu erzeugen. Eine entsprechende Anlage im Versuchsmassstab steht seither auf dem Dach des Maschinenlaboratoriums der ETH Zürich.

Seither arbeiten mehrere Unternehmen weltweit an der Skalierung vom Labor zur industriellen Produktion. Die Schweizer Firma Synhelion, entstanden aus der erwähnten ETH-Forschung, hat im August 2022 als erstes Unternehmen weltweit Synthesegas im industriellen Massstab produziert. Synhelion nutzt dazu in seiner Pilotanlage im deutschen Jülich als Energiequelle Solarwärme aus konzentriertem Sonnenlicht. Im vergangenen Dezember hat nun HIF Global im Süden Chiles eine Pilotanlage in Betrieb genommen, in der E-Fuels mit Windenergie erzeugt werden. 130 000 Liter soll das Werk Haru Oni jährlich produzieren.

An HIF Global sind mehrere Unternehmen beteiligt, darunter auch Porsche. Der Stuttgarter Sportwagenhersteller hält knapp 13 Prozent am E-Fuel-Hersteller und war einer der Initianten des Projekts in Chile. «2017 nahm ein Porsche-Ingenieur mit einem Ingenieur von AME, der Gründungsgesellschaft von HIF Global, Kontakt auf und erwähnte, dass es in Chile gute Möglichkeiten für eine E-Fuel-Produktion gebe», erzählt Entwicklungsvorstand Michael Steiner in einem Gespräch am Rand der Eröffnungszeremonie der Anlage. Es sei damals bekannt gewesen, dass es im Labormassstab möglich sei, E-Fuels herzustellen, aber niemand habe die Initiative ergriffen und versucht, das industriell darzustellen. «Zusammen mit Siemens Energy und Exxon Mobil haben wir uns dann vorgenommen, eine solche Pilotanlage an der Magellanstrasse zu bauen.»

Bis zu 55 Millionen Liter

Die jährlich erzeugte Menge von 130 000 Litern E-Fuel aus der Anlage in Chile wird Porsche intern verwenden. Etwa die Hälfte davon wird in der Rennserie Porsche-Supercup eingesetzt, der Rest kommt in den Porsche-Experience-Zentren, wo Kunden Fahrtrainings absolvieren können, zum Einsatz. Doch der nächste Skalierungsschritt ist bereits vorbereitet: In unmittelbarer Nähe von Haru Oni plant HIF Global ­eine weitere Anlage. Diese soll über mehr als 40 Windräder verfügen und nicht nur über eines und pro Jahr 55 Millionen Liter E-Fuel erzeugen. Weltweit sind weitere Anlagen angedacht, Möglichkeiten dafür gibt es etwa in Nordamerika, Australien, Nordafrika oder im Mittleren Osten. Auch Synhelion arbeitet an der Expansion. 2025 soll die erste kommerzielle Produk­tionsanlage in Spanien mit einer Produktionskapazität von 875 Millionen Litern pro Jahr in Betrieb genommen werden. Das Schweizer Unternehmen plant, die Produktionskapazität bis 2040 auf 50 Milliarden Liter Solartreibstoff zu erhöhen.

Um zu verstehen, welche Bedeutung synthetische Treibstoffe haben können, muss man sich die Bedeutung des Erdöls vor Augen führen. Die Menschheit verbraucht 15 Milliarden Liter – pro Tag! Der globale Erdölverbrauch beträgt damit unfassbare 4.2 Milliarden Tonnen pro Jahr. Rund drei Milliarden Tonnen davon werden als Treibstoffe wie Benzin, Diesel oder Kerosin für die Mobilität gebraucht. Bedenkt man nun noch, dass der Transportsektor pro Jahr etwa 8.2 Milliarden Tonnen CO2 jährlich verursacht – rund sechs Milliarden Tonnen davon verursacht der Strassenverkehr –, wird das enorme Potenzial der E-Fuels sichtbar, sowohl umwelttechnisch als auch wirtschaftlich. Und da aus Synthesegas auch andere Erdölprodukte wie Heizöl oder Kunststoffe erzeugt werden können, steigt die Bedeutung dieses neuen Produkts noch zusätzlich. 

«Wir lassen den Verbrenner nicht ohne Not aussterben»

Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner über das E-Fuel-Engagement des Sportwagenherstellers.

AUTOMOBIL REVUE: Wieso investiert Porsche in eine E-Fuel-Anlage in Chile?

Michael Steiner: Aus zwei Gründen. Der eine ist unsere Unternehmensstrategie, mit der wir auf eine bilanziell CO2-neutrale Wertschöpfungskette im Jahr 2030 hinarbeiten. Bei E-Fahrzeugen wollen wir dafür Sorge tragen, dass der verwendete Strom regenerativ ist, bei Verbrenner–Fahr-zeugen schauen wir, dass auch diese nahezu CO2-neutral betrieben werden können. Der zweite Grund: Wollen wir -einen nachhaltigen Weg gehen, müssen wir von fossilen Energien wegkommen.

Sie wollen also nicht einfach den Verbrenner retten?

Das hören wir immer wieder. Wir streben an, 2030 bereits mehr als 80 Prozent unserer Neuwagen vollelektrisch auszuliefern. Aber wir würden den Benzinmotor nicht ohne Not aussterben lassen. Deshalb zeigen wir, dass man einen Verbrenner auch nachhaltig betreiben kann. 

Muss am Auto etwas verändert werden, damit es mit E-Fuel betrieben werden kann?

Nein. Das Rohbenzin wird ähnlich wie herkömmlicher Treibstoff durch die Beimischung von Additiven auf die gewünschte Oktanzahl veredelt. Dann passen Klopffestigkeit, Verbrennungszeitpunkt und -geschwindigkeit exakt.

Braucht es eine gesetzliche Anpassung, damit E-Fuels im Strassenverkehr eingesetzt werden dürfen?

Für den Einsatz in Fahrzeugen gibt es keine Verbote. Über eine Beimischquote von E-Fuel für herkömmliches Benzin müsste gesetzlich entschieden werden.

Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner betankt einen 911.

Wie viel der eingesetzten Energie kommt bei E-Fuel am Rad an?

Wenn man bei uns regenerativ erzeugten Strom direkt in ein E-Auto lädt, hat man einen wesentlich höheren Wirkungsgrad. Diesen Strom in E-Fuel umzuwandeln, ergibt keinen Sinn. Aber wenn das Windrad hier in Chile steht, erntet es etwa viermal so viel Strom wie in Deutschland. Somit haben wir einen anderen Ausgangspunkt.

Ab wann werden E-Fuels wirtschaftlich?

Anlagen in dieser Grössenordnung sind dann wirtschaftlich, wenn die CO2-Auswirkungen entweder durch die Reduzierung der Abgaben oder über Incentivierung des gebundenen CO2 in diesem Treibstoff bewertet werden. Die reine Wirtschaftlichkeit in der Herstellung wird bei dieser Grösse aber noch nicht
gelingen.

Was kostet denn aktuell die Herstellung eines Liters E-Fuel?

Wenn wir skalieren in der Grössenordnung wie eben beschrieben, rechnen wir mit Herstellungskosten von rund zwei Dollar pro Liter. Das sind die Kosten, nicht der Preis an der Zapfsäule. Da stecken CO2-Abgaben et cetera noch nicht drin.

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