Im Fahrwasser

Mit dem EV6 hat Kia gerade mächtig Erfolg. Ein Stück des Glanzes fällt auch auf konventionellere Modelle wie den neuen Niro ab, der als Hybrid und BEV kommt.

Während Kia mit dem EV6, dem Car of the Year 2022, die Messlatte für die Vollelektrischen eben einmal zwei Stufen höher legte, ziehen die Koreaner im Fahrwasser des neuen Flaggschiffs auch noch die bekannten elektrischen und elektrifizierten Modelle mit. Mit dem Niro hatte Kia 2016 das erste Modell auf den Markt gebracht, das ausschliesslich, wenigstens teilweise, mit alternativen Antrieben lief. Zu Beginn waren es der Hybrid und der Plug-in-Hybrid, später folgte der rein elektrisch angetriebene E-Niro. Etwas unberechtigt stand das Modell stets im Schatten des Hyundai Kona, der grundsätzlich auf dieselbe Plattform und Technologie vertraute.

Aber im Schatten zu stehen, ist nicht mehr das Ding des neuen Niro. Dafür sorgt allein schon die Optik mit der geschwungenen C-Säule, die es auf Wunsch in Kontrastfarbe gibt. Die spezielle Formgebung dient dabei nicht nur der Ästhetik. Durch Lufteinlässe wird die Luft hinter der C-Säule durchgeführt und tritt neben der Heckscheibe wieder aus, was den Luftfluss hinter dem Fahrzeug verbessert und den Verbrauch etwas reduziert. Auch im neuen Niro gibt es wieder das Dreigespann aus Hybrid-, Plug-in-Hybrid- und Elektroantrieb – an den Antrieben hat sich nichts Grundlegendes verändert. Während der Kia-Hyundai-Konzern bei den neuen Elektroflaggschiffen auf revolutionäre neue Plattformen setzt, gibt es für den Niro noch bewährte Technik. Die neue K-Plattform ist eine Weiterentwicklung der bisherigen C-Segment-Architektur des Konzerns. Diese ermöglicht den flexiblen Einsatz verschiedener Antriebstechnologien vom Verbrenner bis zum Elektroantrieb. Die Basisvariante bildet dabei der Hybrid, bei dem der 1.6-Liter-Smartstream-Benziner mit ­einem Elektromotor zusammenarbeitet. Gemeinsam leisten die beiden Motoren 104 kW (141 PS), der Saugbenziner trägt 77 kW (105 PS) bei, die E-Maschine 32 kW (44 PS). Mit einer Kapazität von 1.32 kWh ermöglicht die Batterie dabei keine sehr lange rein elektrische Fahrten, für einen kurzen Einsatz in einer 30er-Zone oder in der Stadt reicht sie aber allemal aus. Ausserdem geht auch das Rückwärtsfahren ausschliesslich elektrisch, Kia erspart sich so den Rückwärtsgang im Getriebe komplett.

Sparsam, nicht sportlich

Angenehmerweise ist beim Niro der Hybridantrieb, anders als bei der japanischen Konkurrenz, nicht in Form eines komplexen, virtuellen CVT-Getriebes ausgeführt, sondern ganz konventionell an das Sechsgang-Doppelkupplungsgetriebe angeflanscht. Solange der Verbrennungsmotor läuft, ist also seine Drehzahl und sein Verhalten absolut vorhersehbar und korreliert mit der Gaspedalstellung. Der Elektromotor kann dabei den Lastpunkt verschieben und die Effizienz – oder die Leistung – des Verbrenners verbessern. Auch ein nerviges, dauerndes Umschalten zwischen dem Benziner und dem Elektroantrieb gibt es kaum, auch im Langsambetrieb nicht. Die Regelung entscheidet sich grösstenteils für eine der beiden Antriebsformen und hält sich dann daran. So sinkt der Verbrauch auf äusserst sparsame 4.4 l/100 km. Und das regelmässig, ohne dass jeden Abend ein Stecker eingesteckt und eine Batterie geladen werden müsste. Trotz des relativ kleinen Tanks von rund 42 Litern reicht eine einzige Tankfüllung so trotzdem fast 1000 Kilometer weit.

Von sportlichen Ambitionen sollte man sich aber schnell verabschieden, denn der Niro Hybrid benötigt auch in der neuen Generation noch über zehn Sekunden von 0 auf 100 km/h. Die Höchstgeschwindigkeit ist auf 165 km/h beschränkt. Mit 141 PS ist der Vollhybrid die schwächste der drei Motorisierungen des Niro. Um im Alltagsverkehr mitzuhalten, reicht sie aber allemal aus. Im unteren Drehzahlbereich und beim Beschleunigen aus dem Stand hilft das Drehmoment des Elektromotors mit, bei höheren Geschwindigkeiten geht dem Antrieb aber etwas die Luft aus. Autobahneinfahrten oder Zwischensprints von 80 auf 120 km/h gestalten sich entsprechend weniger flott. Obwohl der Niro in der neuen Generation gegenüber seinem Vorgänger in allen Dimensionen leicht gewachsen ist, bleibt er ein wendiges und übersichtliches Kompakt-SUV für den Alltag. Die Lenkung ist präzise, das Fahrwerk aber – passend zum Antrieb – nicht auf Sportlichkeit ausgelegt. Das Fahrwerk ist weich und die Wankneigung in zügig gefahrenen Bögen hoch. Der Vorteil davon ist, dass sich das Fahrverhalten im Alltag ausreichend komfortabel gestaltet.

Der Preis stimmt

Nicht nur das Äussere ist komplett neu beim neuen Niro, auch der Innenraum hat kaum mehr etwas mit dem des Vorgängers zu tun. Stattdessen hat Kia die Gestaltung übernommen, die mit dem EV6 eingeführt wurde, und das ist durchaus eine gute Sache. Der Materialmix ist stimmig, wenn auch dem Preis entsprechend – den Niro gibt es ab 33 250 Franken – nicht übertrieben hochwertig. Dass in den unteren Ebenen grosszügig Hartplastik verbaut wurde, kann man verzeihen, die riesigen Plastikflächen an den Türverkleidungen hingegen wirken etwas gar billig. Kia nutzt für verschiedene Interieurteile rezyklierte und natürliche Materialien: Fasern aus Eukalyptusblättern für die Sitzbezüge, Altpapier für den Dachhimmel, Lackierungen ohne Kohlenwasserstoffe. Typisch für Kia: Vieles wird einfach besser gemacht, gross darüber gesprochen wird nicht. Das Zweispeichenlenkrad kennt man bereits aus dem EV6, ebenso die mehr als gewöhnungsbedürftige Multifunk­tionsleiste für die Bedienung von Klimaanlage und Infotainment. Bei dieser teilen sich die Schnellwahltasten für das Navigationssystem und das Radio die Knöpfe mit der Bedienung der Klimaanlage, die Temperatureinstellung funktioniert über denselben Drehregler wie die Einstellung der Radiolautstärke. Über einen weiteren Button wird zwischen den beiden Funktionen umgeschaltet. Wer nicht damit vertraut ist, hat keine Chance, das Prinzip zu verstehen. Und auch wenn man sich nach einiger Zeit daran gewöhnt hat, fragt man sich trotzdem stets: Wieso? Was war am bisherigen Konzept so falsch?

Die Ausstattung ist gewohnt umfangreich, seitenweise teure Optionen gibt es nicht bei den Koreanern. In der Basisvariante für 33 250 Franken sind das 10.25 Zoll grosse Infotainment und die Sitzheizung noch aufpreispflichtig sowie das Head-up-Display und diverse Assistenten nicht verfügbar. In den oberen Ausstattungslinien ist vieles Serie. In der Topausstattung Style für 41 250 Franken kann noch das Style-Paket für 2650 Franken dazugeordert werden, das eine ganze Reihe an Komfort- und Assistenzsystemen enthält: Sitzbelüftung vorne, Sitzheizung hinten, ein Soundsystem von Harman/Kardon, ein Kollisionsassistent fürs Rückwärtsfahren und ein Parkassistent per Fernsteuerung sind alles Accessoires, die in diesem (Preis-)Segment noch nicht selbstverständlich sind. Für den 143 kW (183 PS) starken Plug-in-Hybrid sind die Ausstattungen und Aufpreise identisch, der Basispreis liegt rund 5700 Franken höher als beim Vollhybrid. Der vollelektrische Niro EV kostet rund 10 000 Franken mehr, die Aufpreise gestalten sich mit Ausnahme der zusätzlichen Wärmepumpe ähnlich.

Der Preis stimmt also beim Kia Niro. Dass sich der sportliche, eigenständige und einfach auch attraktive Look nicht wenigstens ansatzweise auf die Fahrdynamik auswirkt, ist etwas schade, soll aber für den durchschnittlichen Niro-Kunden kein Hindernis sein. Schliesslich schätzt dieser vor allem den für das Segment grosszügigen Platz und den sparsamen Verbrauch. Und natürlich das attraktive Preis-Leistungs-Verhältnis. Bei den Elektroautos geben die Koreaner mit neuen Modellen und neuen Technologien Vollgas und ziehen der Konkurrenz davon. Auch wenn sie bei Weitem nicht so futuristisch daherkommen wie die Stromer, profitieren auch die konventionellen Modelle wie der Niro mit Sicherheit von diesem Boost. Das dürfte aber in den Teppichetagen des einen oder anderen Konkurrenten noch für heisse Köpfe sorgen. 

Testergebnis Kia Niro Hybrid

Gesamtnote 76/100

Antrieb

Die Kombination aus 1.6-Liter-Benziner und Elektromaschine arbeitet verbrauchsarm. Die Fahrdynamik ist in der Stadt ausreichend, weckt auf Landstrassen oder auf der Autobahn aber keine sportlichen Ambitionen.

Fahrwerk

Das Fahrwerk ist weich abgestimmt und für den komfortablen Einsatz im Alltag genau richtig. Bei zügiger Gangart ist es rasch überfordert.

Innenraum

Das Platzangebot ist grosszügig. Der grossflächige Einsatz von Hart­plastik wirkt gar billig und passt auch nicht zum sonst modern gestalteten Interieur.

Sicherheit

Die Sicht ist in alle Richtungen gut, und Kia bietet wie immer eine grosse Breite an Sicherheitssystemen an. Einige davon sind aber nur in den höheren Ausstattungslinien erhältlich.

Budget

Der Kia Niro Hybrid bietet ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis dank preiswerter Optionen wie Sitzheizung im Fond. Durch den tiefen Verbrauch wird das Portemonnaie auch an der Tankstelle geschont.

Fazit 

Der neu aufgelegte Kia Niro sieht schick aus und überzeugt mit seinem guten Preis und dem tiefen Verbrauch. Fahrdynamisch wäre noch etwas Luft nach oben, im Alltag kommt er aber ganz ordentlich zurecht.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

Testergebnis Kia Niro EV

Gesamtnote 77.5/100

Antrieb

Der Elektroantrieb ist die stärkste der drei Motorisierungen des Kia Niro. Der Verbauch gehört zu den besten seines Segmentes, aber die Ladeleistung von 100 kW (im Idealfall!) lässt zu wünschen übrig.

Fahrwerk

Der Elektro-Niro ist fast 300 Kilogramm schwerer als der Hybrid, was das weich abgestimmte Fahrwerk an seine Grenzen bringt.

Innenraum

Das Platzangebot ist dank der Platzierung der Batterien vorzüglich, der Kofferraum etwas grösser als beim Hybrid und Plug-in-Hybrid.

Sicherheit

Die Bremsen kommen mit dem Mehrgewicht der Batterie gut zurecht. Dazu gibt es die ganze Bandbreite an gut funktionierenden Assistenten.

Budget

Rund 10 000 Franken beträgt der Unterschied zwischen dem Hybrid und dem Elektro-Niro, der Preis ist aber immer noch sehr fair.

Fazit 

Der Kia Niro Electric ist der teuerste, aber auch der beste Niro. Der Verbrauch ist vorbildlich, die Fahrleistungen reichen im Alltag mehr als aus.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

Der Stärkste des Trios: Der Niro Electric

Optisch lässt sich der elektrische Niro nur am Kühlergrill von seinem Verbrennerpendant unterscheiden, längsdynamisch hat der Stromer mit 150 kW (204 PS) aber klar die Nase vorn. Die Netto-Batteriekapazität von 64.8 kWh ist inzwischen bloss noch Mittelmass, man darf sich aber davon keinesfalls täuschen lassen. Mit seinem geringen Verbrauch (13.9 kWh/100 km auf der AR-Normrunde) und einer effizienten Wärmepumpe (Serie in den teuren Ausstattungsvarianten) schafft der Niro bei sparsamer Fahrweise tatsächlich 400 Kilometer Reichweite. Mit den Schaltpaddles am Lenkrad lässt sich die Rekuperation schwächer oder stärker einstellen, bis hin zum Ein-Pedal-Modus, wie man ihn auch aus dem EV6 kennt. Ansonsten hat der Niro aber wenig mit seinem prominenten Bruder gemein. Die Basis bildet nicht etwa die neue E-GMP, sondern die weiterentwickelte K-Plattform des Vorgängers. Somit gibt es auch keine 800-Volt-Technologie und kein Schnellladen, sondern maximal 100 kW Ladeleistung, in der Realität sind es oft weniger, erst recht, wenn die Batterie nicht vorkonditioniert wird. Der Kofferraum wird grösser. Dank des fehlenden Benzintanks hat er 24 Liter mehr Platz als der des HEV. Der Preisunterschied zwischen HEV und BEV beträgt rund 10 000 Franken. 

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