Neue Philosophie

Der VW Multivan wechselt von der Nutzfahrzeugplattform auf eine PW-Basis. ­Damit wird er fast schon zum einfachen Minivan.

Er war einst ein Aushängeschild des ­Gesellschaftswandels, ein legendärer Camper und einmaliger Lastenschlepper. Der VW-Bus sicherte sich über mehrere Generationen hinweg seine Stellung als eines der markantesten Modelle in der Geschichte des Automobils. Der ursprünglich auf Typ 2 getaufte Alleskönner entwickelte sich zu einem der Imageträger der Wolfsburger, er erkämpfte sich aber auch einen Spitzenplatz in der VW-Bestsellerliste. In der Schweiz rangierte der VW-Bus nicht nur in der jüngsten Vergangenheit regelmässig unter den Top Ten.

Der Erfolg erlaubte es VW, das Konzept auszubauen. Bis vor Kurzem basierten alle Modellvarianten (Caravelle, Transporter, Multivan und California) auf einer gemeinsamen Plattform. Das ändert sich nun mit nicht weniger als drei Architekturen, denn die diversen Kunden stellen immer höhere Ansprüche an ihren Wagen. Neben dem aktuellen T6.1, der auch weiterhin als echter Lieferwagen eine bedeutende Rolle bei VW spielen soll, kommt also nicht nur der ID Buzz auf der Personenwagen-Elektroplattform (MEB) hinzu, sondern auch der neu definierte Multivan. Er wird eine Sonderstellung einnehmen und bekommt für diese Aufgabe den Unterbau von Golf und Konsorten. Diese Konstellation bringt den Neuling quasi auf Augenhöhe mit einem anderen markanten Grossraumkombi von Volkswagen, den inzwischen ausgemustert Sharan.

Noch kein Allradantrieb

Die Entwickler wandten sich beim Multivan also mit der MQB-Plattform von den Nutzfahrzeugwurzeln ab, beim Design liessen sie sich hingegen von den Vorfahren T3 und T4 inspirieren. Die technische Basis bringt dem Wagen nicht nur die einschlägigen Benziner, wie den 1.5 TSI mit 100 kW (136 PS) und den 2.0 TSI mit 150 kW (204 PS) sowie den 2.0 TDI mit 110 kW (150 PS), sondern neu auch einen Plug-in-Hybrid mit 160 kW (218 PS), bei dem ein 1.4 TSI mit einem Elektromotor kombiniert wird (s. Box übernächste Seite). Alle Motoren sind an ein Doppelkupplungsgetriebe gekoppelt, das Drehmoment wird auf die Vorderachse übertragen. Vorerst gibt es für den Multivan keinen 4Mo­tion-Allradantrieb. VW ist sich der verpassten Chancen bewusst, wie Vorstandsmitglied Lars Krause, verantwortlich für Verkauf und Marketing im Interview (s. AR 44/2021) zugab: «Wir waren uns natürlich voll bewusst, dass die Version mit 4Motion für gewisse Märkte wie etwa die Schweiz sehr wichtig ist. Das war mit ein Grund, die bisherige Ausführung des T6.1 weiter zu produzieren, aber nur in der Ausführung als 2.0 TDI mit 204 PS.» Die etwas hölzerne Argumentation dürfte aber bald hinfällig werden, wie uns Entwicklungsingenieur Johannes Raspe anvertraute: «Wir arbeiten an einem elektrischen Allradantrieb für den Multivan. Das System kommt ohne Kardanwelle für die Hinterachse aus und verwendet für den Antrieb der Hinterräder einen Elektromotor.»

Versammelte Masse

Im Vergleich zum Vorgänger wächst der neue Multivan um sieben Zentimeter in der Länge (4.97 m) und legt vier Zentimeter in der Breite (1.94 m) zu. In der Höhe büsst er hingegen vier Zentimeter ein (1.91 m). Die Abmessungen mit einem grösseren vorderen Überhang führen zu einem gestreckten Profil. Die Entwickler schenkten der Windschlüpfigkeit besondere Aufmerksamkeit, etwa mit flacher Motorhaube und Windschutzscheibe. So konnte der cW-Wert von 0.35 auf 0.30 gesenkt werden. Dank der reduzierten Gesamthöhe dürfte das Aufsuchen städtischer Parkgaragen dem Fahrer künftig weniger Stress verursachen. Die markantesten Fortschritte notierten wir aber beim Fahrverhalten. Während sich der bisherige Multivan mit einer hohen Sitzposition, flach liegendem Lenkrad und ansehnlicher Karosserieneigung bei Kurvenfahrten wie ein Nutzfahrzeug gab, kann das neue Modell gar mit einem Minivan mithalten. Der Fahrer sitzt wie in einem SUV, das Fahrverhalten ähnelt dem einer komfortablen Familienlimousine.

Die Waage weist dem neuen Multivan eine Masse von 2160 Kilogramm aus. Das ist alles andere als ein Leichtgewicht, im Konkurrenzvergleich aber ganz ordentlich. Der Renault Trafic Spaceclass kommt auf 2319 Kilogramm, während der Hyundai Staria leer sogar 2391 Kilogramm mit sich schleppt. Im Test überzeugte der neue Multivan mit einem viel dynamischeren Fahrverhalten als der bei vergleichbarer Ausstattung etwa 200 Kilogramm schwerere Vorgänger. Die Fahrleistungen sind entsprechend besser: Für die Beschleunigung von 0 auf 100 km/h ermittelten wir knapp zehn Sekunden für den 2.0 TSI mit 204 PS, was für ein Fahrzeug dieser Klasse eine angenehme Überraschung darstellt. Genauso erstaunlich präsentiert sich das Einlenkverhalten bei zügiger Kurvenfahrt. Dank der Bauweise mit selbsttragender Karosserie kann man in kurvigen Passagen schon fast von Fahrfreude sprechen. Die deutlich präzisere Lenkung bietet gute Rückmeldung zur Fahrbahnbeschaffenheit und zur Traktion. Zudem sind Autobahnfahrten eine echte Stärke des Multivan.

Günstiger Verbrauch

Das Doppelkupplungsgetriebe reagiert rasch auf die Fahrerwünsche und findet stets die ideale Übersetzungsstufe. Der Vierzylinder gibt sich bullig und leistungsstark, wenn auch etwas rau. Auf der AR-Normrunde begnügte er sich mit 8.8 l/100 km. Dieser im Konkurrenzvergleich durchaus respektable Wert dürfte vom 2.0 TDI noch deutlich unterboten werden. Und es gibt auch noch den Hybrid mit ebenfalls sehr lobenswerten Trinksitten. Die Vorteile gehen über die Motorenauswahl hinaus. Der Grossraum-VW setzt jetzt auch in Sachen Sicherheit neue Akzente. Je nach Ausführung wartet er mit bis zu 20 Assistenzsystemen auf, die man von den Personenwagen von VW bereits kennt. Besonders erwähnenswert ist dabei IQ Drive, das auf den adaptiven Tempomaten, den Spurhalteassistenten (mit Fussgänger- und Velofahrererkennung) und die Erkennung des nachfolgenden Verkehrs Zugriff nimmt.

Auch im Innenraum präsentiert sich der Multivan klar als Personenwagen und nicht als Nutzfahrzeug. Die Materialien, die wir beim ersten Kontakt noch als «wenig hochwertig» kritisiert hatten, haben auf dem Weg von der Vorserie zur Serienreife eine positive Wandlung durchgemacht. Für die deutsche Gründlichkeit bei der Interieurverarbeitung gibt es also gute Noten. Zudem findet man in den oberen Ausstattungslinien Nettigkeiten wie eine Ambientebeleuchtung oder die zertifizierten, rückenschonenden Sitze in Leder.

Der Multivan schiebt sich damit in die Lücke zwischen den Grossraumkombis der Grosshersteller und den Vans der Premiummarken, zu denen beispielsweise die Mercedes V-Klasse zählt. In mancher Hinsicht egalisiert der VW durchaus die Vorgaben aus Stuttgart. Ein gutes Beispiel sind die vom Golf übernommenen zwei Zehn-Zoll-Bildschirme im Armaturenbrett. Ein Fortschritt ist das allerdings nur bedingt, denn während physische Schalter etwa für Heizung und Klimaanlage unauffällig und sicher ihren Dienst verrichten, braucht die Bedienung über Touchscreens und Untermenüs eine längere Angewöhnung und viel Geduld. Zwischen den beiden Bildschirmen ist der physisch vom Getriebe abgekoppelte By-wire-­Schalthebel platziert. Wohl nicht jeder Besitzer wird sich sofort mit dieser Auslegung anfreunden, doch der Vorteil zeigt sich schnell in der verbesserten Bewegungsfreiheit der Passagiere im Innenraum. Zu dieser trägt auch das Wegfallen einer mechanischen Handbremse zwischen den Vordersitzen bei, die als Druckknopf ins Armaturenbrett gewandert ist. Ein Lob gebührt den Innenarchitekten auch für die vielen Ablagemöglichkeiten auf allen Plätzen.

Kleiner und leichter

Hinten sind die bis zu sieben Sitzplätze jetzt nicht mehr in Sitzreihen, sondern als Einzelsitze ausgelegt, die überdies noch leichter sind als im Vorgänger (22 kg statt 29 kg). Die beheizten Sessel fahren elektrisch vor und zurück, die Gurtwarnung wird über Bluetooth an das Fahrzeug weitergegeben. Die Variabilität ist ausgezeichnet, ein sehr stabiler Tisch lässt sich in einer Montageleiste je nach Bedarf direkt zwischen den vorderen, mittleren oder hinteren Sitzen fixieren.

Ohne Fehl und Tadel ist der Neuling allerdings dann doch nicht. Die geringere Fahrzeughöhe wirkt sich direkt auf den Raum in der Kabine aus. Die Insassen können sich nicht mehr so frei bewegen wie im Vorgänger. Kommt dazu, dass der neue Multivan trotz seines Längenwachstums einen kleineren Gepäckraum bietet, die Kurzversion fasst 469 statt 720 Liter. Die 5.17 Meter messende Langversion wird um 20 Zentimeter gestreckt, die zusätzliche Länge beschränkt sich lediglich auf den hinteren Überhang. Auch bei der Anhängelast fällt der Neue mit 2000 Kilogram (gebremst) gegenüber den 2500 Kilogramm des Vorgängers ab. Es muss sich nun zeigen, ob die VW-Verantwortlichen eine glückliche Hand beim Wandel des Multivan in Richtung Personenwagen hatten. Die neue Philosophie bringt dem Modell klare Vor-, aber auch deutliche Nachteile. Die Fans des VW-Busses schätzten oft gerade dessen Nutzfahrzeugcharakter. Ob sich diese auch mit der neuen Auslegung als Personenwagen anfreunden können, wird sich erst noch zeigen müssen.

Auch als PHEV

Mit dem Wechsel auf die MQB-Plattform darf sich der Multivan auch mit dem Antriebsstrang des Passat GTE brüsten. Der Plug-in-Hybrid kombiniert einen Elektromotor mit einem 1.4-Liter-Vierzylinder-Benziner. Die Systemleistung erreicht 160 kW (218 PS). Mit einer Netto-Batteriekapazität von 10.4 kWh ist der Multivan E Hybrid in der Lage, 40 Kilometer rein elektrisch zu fahren (Ergebnis auf der AR-Normrunde). Gemäss WLTP sollten es gar 48 Kilometer sein. Der Elektromotor ist auf eine Höchstgeschwindigkeit von 140 km/h ausgelegt, aber dann schrumpft natürlich die Reichweite schneller. Der Multivan E Hybrid lässt sich an einer Wallbox mit 3.6 kW in 3:40 Stunden voll laden. Im Fahrbetrieb arbeiten Verbrennungs- und Elektromotor harmonisch zusammen, solange die Batterie genügend Strom hat. Ist dies nicht mehr der Fall, dreht der Vierzylinder unter Last vorwiegend im oberen Drehzahlbereich. Da der Multivan bei vielen wohl für den Langstreckeneinsatz genutzt wird, empfiehlt sich in diesem Fall eher der Benziner, die Hybridisierung passt einfach schlecht zu einem solchen Fahrzeug. Dazu kommt, dass beim Hybrid die Anhängelast auf 1600 Kilogramm reduziert ist.

Testergebnis Volkswagen Multivan 2.0 TSI

Gesamtnote 74/100

Antrieb

Der Motor ist wenig ausdrucksstark, aber ausreichend kräftig. Das ­Doppelkupplungsgetriebe arbeitet schnell und effizient.

Fahrwerk

Der Abrollkomfort ähnelt dem eines Personenwagens, womit der Multivan insgesamt sehr angenehm zu fahren ist.

Innenraum

Das Platzangebot ist üppig, wenn auch nicht mehr ganz so grosszügig wie früher. An das Bedienkonzept kann und muss man sich gewöhnen.

Sicherheit

Die MQB-Plattform bringt eine Armada von Fahrhilfen mit sich, die relativ zuverlässig arbeiten.

Budget

Gemessen an der Konkurrenz geht der Basispreis von 57’310 Franken (für den 2.0 TSI mit 204 PS) in Ordnung. Der enorme Sympathiefaktor macht die lange Aufpreisliste etwas wett.

Fazit 

Auch wenn der Multivan seine Philosophie ändert, behält er viele seiner Stärken, angefangen bei seinem unverkennbaren Charme. Schade, dass das Platzangebot an Bord geringer ist als früher.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

Testergebnis Volkswagen Multivan 1.4 E Hybrid

Gesamtnote 73/100

Antrieb

Ist die Batterie leer, zeigt der 1.4-Liter-Vierzylinder bei starker Beanspruchung eine unangenehme Neigung, die Drehzahl zu erhöhen.

Fahrwerk

Der PHEV ist schwerer als sein Verbrennerbruder, was dazu führt, dass es in kurvenreichen Strecken weniger angenehm zu fahren ist.

Innenraum

Die Batterie beeinträchtigt den Platz im Innenraum kaum.

Sicherheit

Das regenerative Bremsen bietet einen echten Mehrwert, damit lässt sich spielen und der Verbrauch drücken.

Budget

Die E-Hybrid-Version ist die teuerste Variante des Multivan mit einem Preis von mindestens 62’520 Franken. Unser Testwagen bringt es mit Ausstattung auf 78’265 Franken.

Fazit 

Der E Hybrid ist für Fahrer geeignet, die die Möglichkeit haben, die Batterie häufig zu laden. Als reines Langstreckenmobil machen die Verbrennerversionen mehr Sinn.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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