Schnelle Mitte

Kann eine Elektrokombi überhaupt sogenannt Porsche-typische Werte vertreten? Der Taycan GTS Sport Turismo beweist, dass das problemlos möglich ist.

Wir haben es bereits einmal geschrieben, aber es gilt immer noch: Der einzige Elektrokombi auf dem Markt stammt von Porsche. Ausgerechnet der Hersteller aus Zuffenhausen, bekannt für seine Sportwagen, für Sechszylinder-Boxermotoren und für das Versprechen, den Verbrennungsmotor noch eine Weile am Leben zu erhalten, baut eine vollelektrische Familienkutsche. Aber Porsche vertritt eben auch andere Werte, wie die Kommunikationsabteilung zu betonen nicht müde wird – und die lassen sich auch auf ein Elektroauto anwenden.

Beginnen wir mit denjenigen Werten, die vom Marketing nicht unbedingt bevorzugt besprochen werden. Da wäre einmal die absurde Vielzahl an Varianten die es von 911er, Cayenne und Panamera inzwischen gibt. Auch der Taycan ist auf bestem Weg dazu, dieser Tradition zu folgen: Sechs Motorisierungen und drei Karosserietypen umfasst die Baureihe bereits. Wir haben den GTS Sport Turismo im Test. GTS bedeutet eine Positionierung zwischen 4S und Turbo, während Sport Turismo die Porsche-Bezeichnung für Kombi ist. Preislich bedeutet das 160 100 Franken, die für den GTS Sport Turismo fällig werden, also 31 000 Franken mehr als für einen 4S und 24 900 Franken weniger als für den Turbo. Auch bei der Karosserievariante gehen wir den preislichen Mittelweg: Die Limousine ist jeweils 1200 Franken günstiger, der Cross Turismo 500 Franken teurer – wobei es von diesem keinen GTS gibt. Die Optionsliste ist wie gewohnt nach oben offen, sodass es unser Testwagen auf einen stolzen Preis von 191 840 Franken bringt.

Dafür gibt es einen Allradantrieb mit einer Leistung von 440 kW (598 PS) und einem Drehmoment von 850 Nm. Auch hier geht der GTS den Mittelweg, ein 4S bringt 20 kW (27 PS) und 200 Nm weniger, ein Turbo 60 kW (82 PS) mehr. Die Performance-Batterie Plus fasst netto 83.7 kWh und ermöglicht eine Reichweite von bis zu 504 Kilometern. Die Höchstgeschwindigkeit ist bei 250 km/h abgeriegelt.

Nichts für Touchscreen-Phobiker

So viel zu den blanken Zahlen. Die Theorie allein macht aber noch kein Auto aus, schon gar nicht ­einen Porsche. Viel mehr zählen die realen Eindrücke, und der erste Eindruck ist die Hochwertigkeit. Gab es für die ersten Modelle des Taycan noch wenig Lob für die Materialien und die Verarbeitung, so scheint sich inzwischen einiges weiterentwickelt zu haben in der eigens für die Fertigung des Taycan gebauten Fabrik in Zuffenhausen. Ja, noch immer gibt es unanständig viel Plastik im Innenraum, deutlich mehr als bei einem 911er beispielsweise. Aber die Verarbeitung und die Art der Kunststoffe überzeugen, an der Haptik gibt es nichts auszusetzen, und die Ziernähte sind auch sauber genäht. Typisch für einen GTS sind Lenkrad, Sitze und Türverkleidungen mit Alcantara bezogen, und alles ist mit rotem Faden vernäht, passend zur Aussenfarbe in Karminrot.

Das dominierende Element im Innenraum des Taycan ist der Bildschirm – beziehungsweise sind die Bildschirme, denn es gibt unzählige davon. Für alle Autofahrer mit Touch-Aversion, die am liebsten echte Knöpfe in der Hand halten, ist der Taycan der absolute Albtraum. Der Taycan ist elektrisch und digital und beweist das auch im Bedienungskonzept: Alles wird über Touchscreens gesteuert. Alles. Sogar die Richtung, in welche die Frischluftdüsen blasen sollen. Dazu gibt es einen zentralen Bildschirm vorne im Armaturenbrett, ­einen weiteren in der Mittelkonsole, einen für die Rücksitze und optional noch einmal einen separaten für den Beifahrer. Und zusätzlich natürlich das volldigitale und wunderhübsch rahmenlose, aber reflexionsanfällige Kombiinstrument hinter dem Lenkrad.

Die hohe Dachlinie des Sport Turismo sorgt auf den hinteren Sitzen für fünf Zentimeter mehr Kopffreiheit, sodass jetzt auch zwei Erwachsene angenehm Platz finden. Optional gibt es einen dritten Gurt, damit auch der mittlere Sitz genutzt werden kann. Oder könnte, denn unkomfortabel ist noch positiv ausgedrückt für den minimalen Platz, der eingeklemmt zwischen den Sitzen und hinter der Mittelkonsole zur Verfügung steht. Grosszügig hingegen ist der Kofferraum. Bis zu 1212 Liter stehen bei abgeklappter Rückbank zur Verfügung, die leicht nach vorn verlaufende Heckklappe im Stil eines Shooting Brake kostet noch einige Liter an Ladevolumen. Dafür gibt es vorne unter der Haube noch einmal 84 Liter – oder Platz fürs Ladekabel.

Geplantes Laden

Apropos laden: Alle Taycan können mit bis zu 270 kW nachladen, sodass im Idealfall nach 23 Minuten an der Steckdose die Batterie wieder zu 80 Prozent gefüllt ist. Im Test zeigte sich, dass die Batterie eine Ladeleistung von 270 kW über einen relativen langen Zeitraum aufrechterhalten kann – sofern der Ladestopp vorgängig eingeplant wurde. Nur dann wird die Batterie vorkonditioniert und ideal temperiert. Was die Planung von Route und Ladestopps angeht, ist das System von Porsche aktuell wohl eines der besten auf dem Markt – zusammen vielleicht mit demjenigen von Mercedes. Bei einem Verbrauch von 30.1 kWh/100 km, wie wir im Testdurchschnitt ermittelt haben, reicht ­eine Batterieladung klar nicht für die versprochenen 504 Kilometer Reichweite. Auf der sparsam gefahrenen AR-Normrunde fiel der Verbrauch natürlich deutlich tiefer aus: 22.9 kWh/100 km (entspricht 360 km Reichweite). Da darf dann aber das Gaspedal kaum angetippt werden.

Und wer will schon das Gaspedal nur zärtlich streicheln, wenn er in einem GTS sitzt? Denn das Auto fährt sich wirklich ganz vorzüglich. Wie ein GTS eben. Durch die grosse E-Maschine aus dem Taycan Turbo an der Hinterachse und die kleine aus dem 4S vorne haben die Entwickler ein äusserst agiles Fahrverhalten in den GTS gezaubert. Anders als der Turbo oder der 4S fährt er sich nicht wie auf Schienen, sondern tendiert bei entsprechend ambitioniertem Fahrstil zu deutlichem Übersteuern, bevor das ESP das Heck wieder auf Kurs bringt. Diese verspielte Agilität – und da wären wir wieder bei den eingangs erwähnten Markenzeichen – ist eines der Kennzeichen eines GTS. Auch die Fahrwerksabstimmung fällt härter und direkter aus als in einem Turbo und vermittelt ein sportliches Fahrgefühl. All das kann aber auch nicht über den Fakt hinwegtäuschen, dass das Auto mindestens 2.4 Tonnen auf die Waage bringt. Die ganzen Komplimente zur Agilität und Wendigkeit sind alle relativ. Denn der Taycan ist relativ schwer.

Ach ja – und auch relativ schnell. 3.7 Sekunden sollen vergehen, bis aus dem Stand Tempo 100 erreicht ist. Aber in der Elektrowelt ist das schon bald nur noch guter Durchschnitt.

Testergebnis

Gesamtnote 78/100

Antrieb

Unglaublich schnell – beim Porsche Taycan GTS Sport Turismo verschwimmen die Grenzen zwischen Sportwagen und Kombi. Der Stromverbrauch und damit die Reichweite fallen auch entsprechend aus.

Fahrwerk

DDie direkte Lenkung und die Abstimmung des Fahrwerks für den GTS überzeugen. Die Spreizung zwischen Komfort und Sport ist vorbildlich.

Innenraum

Die GTS-typischen Merkmale wie das Alcantara und die Ziernähte, sind schön gemacht. Als Sport Turismo bietet der Taycan genügend Platz für vier Personen plus Gepäck.

Sicherheit

Die Bremsen beissen kräftig zu, und die Sicherheitsysteme sind alle vorhanden. Bei den Assistenten ist die Konkurrenz teilweise schon weiter.

Budget

Der Taycan GTS trägt ein stolzes Preisschild. Wer sich für ein Produkt der deutschen Oberklasse entscheidet – egal von welchem Hersteller – ist sich dessen wohl bewusst.

Fazit 

Einst war ein GTS der Geheimtipp für Kenner, inzwischen ist er eine feste Grösse in der Modellpalette. Das mindert aber seine Qualitäten nicht. In der Variante Sport Turismo bietet der Taycan auch überraschend viel Stauraum – mehr als bloss für ein Wochenende zu zweit.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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