Renault Kangoo: Fourgonnette Deluxe

Der Kangoo ist einer der Pioniere des Genres, nun erscheint der Renault in seiner dritten Auflage. Wie viel PW steckt in ihm?

Der Citroën Berlingo war 1996 der erste, der Kangoo fügte 1997 aber  der Kategorie der Hochdachkombis ein zentrales Merkmal hinzu: die seitliche Schiebetür. Seit knapp 25 Jahren schätzen die Kunden den geräumigen, anspruchslosen Arbeiter, Familienfreund und Lebensraum auf Rädern. Auch mit der Neuauflage sorgt Renault dafür, dass sich daran kaum etwas ändern wird. Dennoch übersetzt der Neue die gereifte Formel nicht tel quel in die Gegenwart. Die von uns getestete Edition One, ein 1.3-Liter mit 100 PS und Handschaltung, hat manches von seinen Vorgängern übernommen und einiges neu hinzugefügt.

Raumgefühl kompakt

In den Kangoo setzt man sich nicht nieder, man steigt ein – um dann über dem Verkehr zu thronen. Die gute Übersicht gefällt, der Van ist eine flachwandige Kiste, die nur ein moderates Stück Verkehrsfläche beansprucht. In seinem Innern aber, der kubischen Form sei Dank, gibt es reichlich Luft und Platz, vorne sowieso. Die hintere Sitzbank ist genügend breit, um zwei Kindersitzen und einer Sitzerhöhung in der Mitte Platz zu geben. Die entsprechenden Isofix-Halterungen sind gut zu erreichen. Die Schiebetür lässt sich nur von Erwachsenen zuverlässig schliessen, was in Ordnung ist. Für das Handling von Kind, Einkauf und was dazugehört, ist sie ideal. Sind die Sitzgelegenheiten abgeklappt, ist die Lieferung eines ausgewachsenen Kühlschranks – oder, um bei der Zielgruppe zu bleiben, eines Spielhäuschens – mit dem Kangoo ein Leichtes. Platz bleibt wie bisher seine grosse Stärke.

Der Motor hingegen tritt kaum je in den Vordergrund. Weder akustisch noch punkto Fahrdynamik. Zum Zeitvertreib steht immerhin ein Schaltgetriebe zur Verfügung. Dafür bringt das Fahrwerk niemanden in Verlegenheit. Und ganz erstaunlich ist, wie der Kangoo auch leer mit recht weicher Federung und einer nicht zu straffen Dämpfung einen genüsslichen Fahrkomfort bietet. Hier ist der Hochdachkombi ganz Personenwagen.

Vive la France

Die dritte Kangoo-Generation wirkt erwachsener, einige Eigenheiten konnten sich die Franzosen aber nicht verkneifen. Für das Handy gibt es etwa eine keck aufragende Halterung. Das Handy ist damit in Griffweite, sodass sich seine Zusatzfunktionen auf legale Art bedienen lassen. Die Heizungslüftung aber hat etwas Mühe mit dem Innenraumvolumen und muss stets nachgeregelt werden. Einem Einsatz als Familientransporter wird der Kangoo Edition One mit seiner Materialwahl im Innenraum gut gerecht. Auch wenn eine Rasselbande im Auto ihr Unwesen getrieben hat, lassen sich die Spuren mit normalem Aufwand beseitigen. Generell ist der Kangoo unkompliziert. Es gibt sowohl eine mechanische Handbremse wie einen ganz normalen Schlüssel, der ins Schloss zu stecken ist. Trotz mehr Komforts bleibt die dritte Generation des Renault Kangoo praktisch veranlagt.

Testergebnis

Gesamtnote 77/100

Antrieb

Der 1.3-Liter-Vierzylinder arbeitet kultiviert und erstaunlich ruhig. Nur bleibt er auch in seiner Leistungsentfaltung entsprechend zurückhaltend.

Fahrwerk

Die Nutzlast kostet den Kangoo nicht den gesamten Fahrkomfort. Selbst leer liegt er komfortabel auf der Strasse.

Innenraum

Seine Stärke ist das Platzangebot, kein Wunder kann der Kangoo hier punkten.

Sicherheit

Die heute gängigen Assistenten sind an Bord, in dieser Beziehung gibt es kaum Abstriche gegenüber einem PW derselben Preisklasse.

Budget

Viel Transportleistung zum kleinen Preis. Unser Testwagen glänzte auch mit einer gut bestückten Ausstattung, von Lieferwagen keine Spur.

Fazit 

Wer gerne und viel Auto fährt, wird sich anderswo umsehen. Wer ein Auto sucht, das eine Familie, ein kleines Gewerbe oder ein grösseres Hobby von A nach B bewegen kann, könnte ihn lieben lernen.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.


Kommentar: Hochdach statt hochbeinig!

Einst waren sie gross, schwer und teuer, die hochbeinigen Geländewagen. Wie Peter Monteverdi, in Sachen Geländewagen für die Stadt und zu Repräsentationszwecken ein Visionär, Anfang der 1990er-Jahre meinte, hatte ein Allradfahrzeug im Nachgang der Erdölkrise von 1973 das Image eines Fahrzeugs, das man fahren muss, weil die Fahrt einen konkreten Zweck erfüllt. Monteverdi brachte der Welt darum den Safari, einen Luxusgeländewagen mit dem Unterbau eines amerikanischen International-Geländewagens – oder den viertürigen Range Rover mit Ledersitzen. Das Zweckauto schien ihm eher geduldet als das Sportauto, das er zuvor gebaut hatte.

Heute sind Attrappen jener Fahrzeuge allgegenwärtig, die SUV. Ihre Flut bewegt selbst jene, die sie nicht gar so cool und angesagt finden, wie sie uns angepriesen werden. Es fehlt schlicht in manchem Modellprogramm eine valable Alternative. Ein Zweckautomobil? Der Begriff teilt. Was nicht darunter fällt, erfüllt den Zweck somit nicht? Sagen wir es so: möglicherweise nicht den Zweck, den es zu erfüllen vorgibt. Ein SUV macht Mimikri mit einem Fahrzeug, das ohne Strassen zurechtkommt. Viele SUV aber können dort wenig. Sie erfüllen das Versprechen nicht, das sie optisch abgeben. Und Platz bieten sie kaum mehr als ein herkömmlicher PW, von SUV-Coupés ganz zu schweigen. Ich mag deshalb die Hochdachkombis, die kleinsten der Vans.

Citroën erstellte in den späten 1930er-Jahren eine umfangreiche Marktstudie, begleitete Händler und Mitglieder von Behörden und Unterhaltsdiensten mit ihren Fahrzeugen. Wie oft steigen sie aus, wie viele Male werden Türen geöffnet und geschlossen? Was transportieren sie, auf welche Art tun die potenziellen Kunden das im oder am Auto? Resultat der Studie war der erste moderne Van der Welt, der TUB, der Traction Utilitaire B mit Frontantrieb. Ein Feature des durch den Zweiten Weltkrieg ausgebremsten Revolutionärs war eine seitliche Schiebetür. Sein Nachfolger, der 1947 vorgestellte Citroën H, war der erste Lieferwagen mit serienmässiger seitlicher Schiebetür.

Damit zum Kern der Sache: Hochdachkombis sind Zweckautos wie die Lieferwagen der frühen Stunde. Sie verbinden moderaten Hubraum, aber auch Leistung mit viel Raum. Die seitliche Schiebetür ist ein funktionierendes Statement, dass so ein Auto mit dem zur Verfügung stehenden Platz ökonomisch umgeht. Im Neubau-Parkhaus sind dafür keine weit auseinanderstehenden Säulen nötig. Gilt es Ladung und Passagiere aufzunehmen, erfüllen Wagen vom Schlag eines Renault Kangoo, Citroën Berlingo, aber auch VW Caddy oder Ford Tourneo Connect genau das, was sie versprechen – und zwar ziemlich unprätentiös.

Es stimmt, man gewinnt kaum an Sozialprestige im Hochdachkombi, weder in der Nachbarschaft noch auf der Autobahn. Ich meine: noch nicht! Denn diese Einfachautos sind verdammt clever. Sollte dereinst auch Intelligenz wieder ein Kriterium werden, dann wird die Stunde des Minivans schlagen, des Hochdachkombis und aller weiterer Fahrzeugformen, die dem verschwenderischen Umgang mit «Pseudo», «Fake» und weiteren Vordergründigkeiten abgeschworen haben. Sich von unnötigem Ballast lösen – in Zeiten von Lockdown und Home­office gab es genügend Möglichkeiten, seinen Lebensraum auszumisten – warum nicht auch beim Auto? Darum darf all der Tand, dürfen Plastikradläufe, falsche Auspuffblenden, die Unterfahrattrappe und für den, der nicht mit mehr als drei Tagen verschneiter Fahrbahn im Jahr rechnen muss, Allradantrieb künftig wegfallen. Was übrigens das S in SUV angeht: Sport geht mit dem Hochdachkombi meist besser. Das Mountainbike lässt sich über die niedrigere Ladekante aufrecht in den Laderaum fahren. Fahren diese Zweckautomobile künftig rein elektrisch, dann zeigt der Minivan oder Hochdachkombi sehr deutlich eine neue Hierarchie: Unten sitzt der Antrieb, hinten oder vorne oder beiderorts, wenns denn trotzdem Allradantrieb sein muss, gemeinsam mit der Batterie, und obendrauf gibt es ganz viel Raum zur freien Verfügung und Gestaltung – von Stossfänger bis Stossfänger!

Warum sollte es künftig also cool sein, den Mitmenschen zu demonstrieren, dass man einen verschwenderischen Umgang mit Raum, damit Ressourcen und am Ende seinem eigenen Geld pflegt, wenn man Auto fährt? Eigentlich müsste das Gegenteil stattfinden. Autos sollten zeigen, dass Autofahren intelligent ist oder zumindest nicht dümmer als die Nutzung anderer Formen der Mobilität. Und damit mich keiner missversteht: Ich meine nicht, dass fortan jeder einen Renault Kangoo und die 15 Sekunden, die er von null bis Tempo 100 benötigt, als das höchste der Gefühle preisen soll. Aber ich mag einfach ehrliche Autos, Sportwagen, die dem Sport frönen, Geländewagen, die im Gelände etwas taugen, und Doppelrohrauspuffe, bei denen auf dem Bild der Wärmebildkamera nicht nur eine Blende verdächtig unsichtbar bleibt. Und wenn Platz das erste Kriterium sein soll, dann bitte möglichst viel davon, mit kleinem Aufwand, geringem Verbrauch und einem kleinen Preis. Gewiss, vielleicht kann sich ein Mensch in einem Renault Kangoo oder VW Caddy schlicht kein prächtigeres Auto leisten. Vielleicht ist er aber ein ausgesprochen cleverer, gerissener Zeitgenosse, der seine Ressourcen zielgerichtet einsetzt.

Martin Sigrist

Redaktor AUTOMOBIL REVUE

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