Jeep Gladiator: sehr lange Nische

Sie haben ein Jeep-only-Schild über ihrem Parkplatz ­hängen, wollen aber unbedingt Pick-up fahren? Mit dem Gladiator löst Jeep ein Dilemma, das für die wenigsten Europäer eines ist.

Liest man die amerikanischen Testberichte zum Jeep Gladiator, merkt man bald einmal: Das Auto muss gut sein. Alles, was der Wrangler kann, kann der Gladiator auch, das geht von der Geländegängigkeit bis zum abnehmbaren Dach. Und dann ist er auch noch ein Pick-up. Die geländeverrückten Wrangler-Kunden können jetzt hinter der Doppelkabine endlich noch ein Five-Foot-Bed mitführen, wenn sie am Wochenende über die Trails hetzen.

Für Sie als Leser ergibt das alles jetzt gar keinen Sinn? Kein Wunder, in Europa ist eben alles etwas anders. Also vor allem: kleiner. Und man führt auch nicht mal eben eine Ladefläche mit, nur weil man es kann. Da muss man schon einen Verwendungszweck dafür haben, und wer ein zweckmässiges Auto sucht, sucht preisbewusst. Da scheidet der Gladiator schnell einmal aus, so viel sei schon vorweggenommen. Insofern gilt es, die Vorschusslorbeeren, die der Gladiator von den US-Autojournalisten erhalten hat, zu vergessen, während wir den Pick-up testen.

Überdimensioniert

Dass Jeep seit dem Produktionsende des Comanche vor bald 30 Jahren keinen Pick-up mehr gebaut hat, war für viele Fans der Marke unverständlich. Wie gerne hätten sie neben ihren Wrangler, den sie am Wochenende für den Spass im Gelände fahren, auch noch einen Pick-up in der Einfahrt stehen, über dem das Jeep-only-Parkschild hängt. Seit 2019 können sie dies wieder tun: Jeep zeigte Erbarmen und brachte den Gladiator auf Basis des Wranglers auf den Markt. In Europa, wo weder der Wrangler noch Pick-up-Trucks grossen Erfolg haben, mussten sich die Fans länger gedulden, denn der Gladiator ist erst seit Anfang dieses Jahres erhältlich.

Lang ist denn auch ein gutes Stichwort: Was in den USA als Mid-Size-Truck durchgeht, ist bei uns strassenfüllend. Nicht ganz üblich für einen Pick-up bietet Jeep den Gladiator nur in einer viertürigen Version an. Diese übernimmt die Kabine des Wranglers bis zur C-Säule nahezu unverändert. Daran angesetzt ist die Ladefläche. Die Gesamtlänge des Fahrzeuges beträgt 5.59 Meter, was das Manövrieren in der Stadt anstrengend und das Parkieren in engen Nischen unmöglich macht. Erschwerend hinzu kommt der grosse Wendekreis, der ganze 13.4 Meter misst. Schuld daran ist nicht zuletzt die Hinterachse, die im Vergleich zum Wrangler um fast einen halben Meter nach hinten wandern musste, sodass der Radstand des Gladiators 3.49 Meter beträgt. Die Abmessungen sind also mehr als beachtlich.

Die Frage nach dem Platz im Innenraum stellt sich damit schon fast nicht mehr. Wie im Wrangler steht nämlich auf den Vorder- wie auf den Rücksitzen mehr als genügend Bein- und Kopffreiheit zur Verfügung, damit auch Erwachsene ohne Probleme bequem sitzen können. Einziger Vorbehalt: Wegen der Kabinenwand ist der Winkel der Rücksitzlehne etwas gar steil und die Sitzposition entsprechend aufrecht. Alternativ bietet der Fond dank der vielseitigen Rücksitze auch ordentlich Stauraum für Gepäck. Die Lehne lässt sich geteilt (40:60) herunter- und die Sitzfläche, ebenfalls zweigeteilt, nach oben klappen – unter der Sitzbank befindet sich ein weiteres Gepäckfach.

Die Ladefläche misst 1.53 Meter in der Länge und 1.13 Meter zwischen den Radkästen. Die maximale Breite der Ladefläche beträgt 1.45 Meter. So ergibt sich ein Ladevolumen von etwas mehr als 1500 Litern. Die überdimensionalen Aussenabmessungen täuschen also: Die Ladefläche des Gladiator ist nicht grösser als diejenige eines Ford Ranger oder eines VW Amarok. Wie der Wrangler wird somit wohl auch der Gladiator in unseren Breitengraden vorwiegend nicht wegen seines Nutzwerts gekauft, sondern wegen des Lifestyles. 

Da kann der Pick-up auch richtig punkten. Jeep bietet nämlich zwei verschiedene Dachvarianten an, und bei beiden kann der Gladiator zum Cabriolet werden. Das Stoffdach lässt sich mit wenigen Handgriffen zurückfalten oder ganz entfernen, die Türen können demontiert werden und die Windschutzscheibe ist abklappbar. Das Hardtop lässt sich zweigeteilt öffnen. Mit Schnellverschlüssen kann das Dach von einer Person über den Vordersitzen in wenigen Minuten abgebaut werden. Für ein komplettes Freiluftkonzert braucht es noch etwas mehr helfende Hände und Werkzeug.

Hochwertige Ausstattung

Wrangler-Fahrer werden sich auf den vorderen Plätzen sofort zu Hause fühlen, schliesslich wurde die Innenausstattung unverändert in den Gladiator übernommen. Die Sitze sind komfortabel, und die Ausstattung ist für das Segment hochklassig. Die Kunststoffteile sind robust gefertigt, was die Wertigkeit erhöht, ohne dass der rustikale, archaische Look verloren ginge. Fans echter Knöpfe werden sich freuen, denn für die gesamte Bedienung vertraut Jeep auf physische Schalter, Knöpfe und Drehregler – wie es sich gehört für einen echten Geländewagen. Das Infotainment vertraut auf die neueste Generation von Uconnect, unter anderem mit (kabelgebundenem) Android Auto und Apple Car Play. Auch die kompletten Offroad-Applikationen mit Inklinationsmesser und Geländekamera sind mit an Bord. Wenn für die meisten Gladiatoren ein Kiesweg wohl das Ärgste an Offroad sein wird, das sie erleben, so wären die Autos doch vorbereitet für mehr.

Voll geländegängig

Dasselbe gilt für den Antrieb. Das ganze Brimborium an Sperren und Untersetzungen des Wrangler gibt es auch im Gladiator. Dazu gehören neben der Längs- und Quersperre des Antriebsstrangs auch das Reduktionsgetriebe und die entkoppelbaren Querstabilisatoren. Damit ist der Gladiator fast ebenso geländegängig wie der Wrangler, nur der lange Radstand steht dem ein wenig entgegen. Als einzige Motorisierung in Europa bietet Jeep den Dreiliter-Diesel an. Mit seinen 194 kW (264 PS) fühlt sich der Gladiator nicht gerade übermotorisiert an. Gerade im Durchzug tut sich der V6 schwer mit den – nicht eben geringen – 2.4 Tonnen Leergewicht. Die grosse Stärke des Dieselaggregats ist sein Drehmoment: 600 Nm, die bereits ab 1400 U/min anliegen, sorgen für einen kräftigen Antritt auf den ersten Metern und ermöglichen ­eine Anhängelast von bis zu 2.7 Tonnen.

Eine der grössten Schwachstellen des Wrangler vermag auch der Gladiator nur teilweise zu kaschieren: den mangelnden Geradeauslauf. Der um knapp einen halben Meter verlängerte Radstand stabilisiert das Fahrzeug zwar besser, auf Landstrassen und auf der Autobahn driftet aber auch der Pick-up in alle Richtungen und benötigt ständige Korrekturen am Lenkrad. Nicht unschuldig daran sind auch die grobstolligen Geländereifen, die auf geteerten Strassen wenig Geradeauslauf bieten. Und zudem auch für eine entsprechende Geräuschkulisse sorgen, zusammen mit den Windgeräuschen der wenig aerodynamischen Karosserie ist der Lärmpegel im Innenraum konstant hoch. Als Option bietet Jeep eine zusätzliche Lärmdämmung für das Hardtop an.

Mit seiner Preispositionierung macht der Gladiator klar, dass er kein Nutzfahrzeug ist. Der Basispreis von 69 490 Franken ist eine ordentliche Ansage – dafür gibt es auch erst die Sitze mit Stoffbezügen. Unser Testwagen brachte es mit einigen Extras auf 81 000 Franken. Wer so viel Geld für einen Pick-up ausgibt, will ihn nicht als Baustellenfahrzeug missbrauchen, sondern trägt Sorge dazu. Damit wird der Jeep Gladiator ein Nischenmodell bleiben. Dass es für Premium-Pick-ups in Europa keinen Markt gibt, musste auch Mercedes mit der X-Klasse feststellen.

Testergebnis

Gesamtnote 76/100

Antrieb

Der Jeep Gladiator übernimmt den Antrieb des Wranglers inklusive Geländeuntersetzung und Differenzialsperre und ist damit voll gelände­gängig. Der Dreiliter-Diesel glänzt vor allem mit Drehmoment.

Fahrwerk

Im Gelände top, auf der Strasse – naja. Komfortabel ist anders, aber wer einen Gladiator kauft, wird nicht anderes erwarten.

Innenraum

Der Innenraum wurde nahezu unverändert aus dem Wrangler übernommen. So ist das Platzangebot grosszügig, nicht zuletzt auch dank der vielseitigen Rückbank.

Sicherheit

Das Fahrverhalten ist wenig solide und der Bremsweg lange – die grob­stolligen Reifen wurden nicht für die Strasse entwickelt. Die Übersichtlichkeit des 5.5 Meter langen Pick-ups ist dürftig.

Budget

Der Basispreis beträgt 69 490 Franken. Damit positioniert sich der ­Gladiator nicht als Nutzfahrzeug, sondern klar als Lifestyle-Pick-up.

Fazit 

Er hat alles, was der Wrangler hat – aber mit Ladefläche. Etwa so lässt sich der Jeep Gladiator zusammenfassen. Er ist geräumig und voll geländefähig, aber wer braucht das schon hierzulande? Viel eher wird er als cooles Nischenprodukt von einigen Fans gekauft werden, die an ihm Freude haben und bereit sind, über 80 000 Franken auszugeben. Entsprechend selten ist der Gladiator auch auf der Strasse zu sehen.

Die technischen Daten und unsere Messwerte zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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