Die Jungen kommen

Noch nicht ganz Oldtimer, aber auch nicht mehr ganz neu: Die Traum­autos der 1990er-Jahre erstreiten sich ihren Platz in der Szene.

Autor: Calvin Leutwyler

Ab wann ist ein Oldtimer ein Oldtimer? Für die Zulassung ist klar: «Als Veteranenfahrzeuge gelten Motorfahrzeuge, deren erste Inverkehrsetzung vor mehr als 30 Jahren erfolgte.» Dazu gehören also heute bereits die Modelle der frühen 1990er-Jahre. Da aber bereits jüngere Fahrzeuge durchaus das Potenzial zum Kultauto haben, entstand das Segment der Youngtimer. Eine offizielle Definition gibt es nicht, üblicherweise können Autos mit mehr als 20 Jahren auf dem Buckel zum Youngtimer werden. Das Alter allein soll aber nicht entscheidend sein, auch der Zustand und der Kultstatus eines Autos sind ausschlaggebend. So entwickeln sich vor allem die Traumautos der Millenials zu Young­timern. Also diejenigen Modelle, von denen die Kinder in den 1990er-Jahren träumten.

Generationswechsel

Ein Blick in die Halle 6, die Old- und Youngtimer-­Halle, der Auto Zürich zeigt denn auch sofort: Während sich die älteren Semester vor allem von den Oldtimern angezogen fühlen, steuern die Jungen schnurstracks auf die Youngtimer zu.

Auf dem Stand von Heinz Eberhart aus Aadorf TG sind ein roter M3 E36 und ein Alpina B12 E38 die Stars. Beides stolze Vertreter der 90er-Jahre. Wir wollen wissen, warum er nicht das Vorgängermodell des E36, den M3 E30 der späten 80er-Jahre da stehen hat. «Die sind sehr gesucht, und es ist schwierig, ein solches Modell in gutem Zustand auf dem Markt zu finden. Diese Autos waren oft in den Händen von Tunern, die sie mit breiten Felgen und Spoilern an allen Seiten verunstaltet haben. Eine Instandsetzung zurück in den Originalzustand würde ein Vermögen kosten», gibt Heinz Eberhart zur Antwort. Gesucht sind also Fahrzeuge im Originalzustand. Wenn sie noch aus erster Hand sind, erzielen sie regelmässig Höchstpreise auf Auktionen.

Etwas weniger gesucht – aber nicht weniger interessant – ist der Alpina B12. Mit einer Stückzahl von bloss 200 Exemplaren ist dieser TGV der Autobahn sehr exklusiv und auch kaum zu finden. Als Ersatz kommt ein BMW 750i in Frage, von dem es auf dem Markt etwas mehr Exemplare gibt. Aber wer Interesse an einem solchen Modell hat, sollte nicht zu lange zögern: Wechselte ein schönes Modell vor zwei bis drei Jahren noch für 10 000 bis 12 000 Franken den Besitzer, müssen heute schon  gegen 25 000 Franken auf den Tisch gelegt werden.

Ein aussergewöhnliches Auto

Diese Tendenz kann Katrin Rau, Direktorin der Touring Garage in Oberweningen ZH, eindeutig bestätigen. Vor wenigen Tagen verkaufte sie einen Jaguar XKR an einen 20-jährigen jungen Mann. «Er hatte ein Budget von 15 000 Franken und wollte sich dafür ein aussergewöhnliches Auto leisten. Aktuelle Modelle mag er nicht, also entschied er sich für den Jaguar.» Dass die Youngtimer im Trend sind, kann sie nur bestätigen: «Der Markt folgt dem Generationswechsel bei der Kundschaft. Die jüngeren Leute interessieren sich mehr für die Modelle ihrer Jugendzeit. Entweder sind sie zu jung, oder sie haben noch nicht das Geld, um sich ihr grosses Traumauto leisten zu können. Aus diesem Grund finden Autos aus der Vorkriegszeit oder auch Autos aus den 1950er-Jahren nicht mehr so leicht einen Abnehmer. Man kauft lieber etwas Bekanntes: Ein Porsche 911 ist leichter zu verkaufen als ein Simca Plein Ciel!»

Wieso sind denn Youngtimer noch immer eine solche Nische? «Garagen, die Oldtimer anbieten, zögern oft, neben hochwertigen Autos auch populäre Modelle anzubieten. In ihrer Vorstellung gehört ein 30-jähriges Auto trotz seiner Immatrikulation als Veteran noch nicht zur Welt der Oldtimer. Unser Ansatz ist anders, wir haben ein breites Angebot vom Aston Martin V8 Saloon bis zum Toyota Celica von 1989. Damit sprechen wir ein breites Publikum an», erklärt Katrin Rau. Viele Autos aus dieser Zeit böten eine Fertigungsqualität, die es heutzutage nicht mehr gebe, und blieben so erschwinglich. Damit wenden sich Garagisten wie Rau an Interessenten, die sich mit beschränkten finanziellen Mitteln ein schönes Auto leisten wollen. Und das kann sich für den Händler durchaus lohnen: Wenn die Garage den Kunden bei der Stange hält, dann stehen die Chancen gut, dass er einige Jahre später einen teureren Oldtimer erwirbt.

Verbindungen aufbauen

Wenn manche Oldtimer Preise erzielen, die für den Normalsterblichen unerschwinglich sind, können die Youngtimer der Einstieg in die Community sein, wie Gregory Künzler von Pfenninger Autos aus Zumikon ZH bestätigt: «Beim Kauf dieser Autos wollen die jungen Leute Spass haben am Fahren. Der Motor ist das Herzstück des Autos, die Elektronik ist noch begrenzt, und damit bleibt der Fahrer der Herr an Bord. Und mit einem Youngtimer können sie andere Leute treffen, die diese Lebenseinstellung teilen. Die Kontakte, die bei Ausfahrten mit solchen Autos zwangsläufig entstehen, und die sich daraus ergebenden Verbindungen sind unschätzbar wertvoll», erklärt der Lotus-Spezialist die Faszination für Youngtimer.

Der eindeutige Star auf seinem Stand ist ein roter Lotus Esprit – aber auch der Audi Quattro zieht viele Blicke auf sich. Kauft man einen Youngtimer wie dieses legendäre Coupé aus Ingolstadt, um zu spekulieren? «Es ist eine Wette. Bis vor Kurzem hätte niemand damit gerechnet, wie rasant der Marktpreis ansteigen wird. Man muss also schon einen guten Riecher haben. Ein Sammler hat sieben Audi TT gekauft in der Hoffnung, dass mit seinem 20. Geburtstag das Interesse an diesem Modell steigt. Das ist bisher aber noch nicht der Fall», erzählt Gregory Künzler. Neben einem guten Riecher braucht es auch viel Geduld.

Die dritte Komponente

Es ist also klar: Der Erwerb eines Youngtimers ist eine Frage des Budgets, des Lifestyles und vor allem der Leidenschaft. Dennis Betschart ist ein solch passionierter Mensch. Der 30-Jährige ist das perfekte Beispiel für einen Interessenten solcher Autos. Aber er repariert sie auch. Schon während seiner Ausbildung zum Fahrzeugrestaurator, die er 2022 abschliesst, hat er eine Garage in Sevelen SG eröffnet. Die Spezialität von Betsch Art Mechanics sind Autos der 1970er- bis 1990er-Jahre mit Schwerpunkt auf deutschen Marken und Volvo.

«Ich arbeitete in einer Garage und verdiente gutes Geld. Aber die ganze elektronische Diagnose ist nicht mein Ding. Ich betrachte meine Arbeit eher als eine Mission für die kommenden Generationen. Wenn man diese Autos pflegt, sind sie noch in einigen Jahrzehnten da. Bei nachlässiger Wartung und Ansammlung kleiner Fehler stauen sich die erforderlichen Arbeiten. Da geben einige auf», erzählt Dennis Betschart. Und wenn er einen Kunden mit derselben Leidenschaft kennenlernt, kann der reine Geschäftssinn schon mal in den Hintergrund treten: «Es liegt mir am Herzen, dass diese Autos weiterfahren. Auch wenn dafür manchmal flexible Zahlungsziele vereinbart werden müssen.»

Aber die Verbindung zwischen dem Auto und seinem Besitzer übertrifft manchmal die Vorstellungskraft: Der Mercedes SEC auf seinem Stand wird so sehr mit der Unterwelt in Verbindung gebracht, dass dies auch auf seinen Fahrer abfärbt. Angesichts des zwielichtigen Rufs des SEC müsse wohl sein Fahrer als Zuhälter aufgetreten sein, meint Betschart. Niemand könne ein solches Auto fahren, ohne dass das etwas mit ihm anstelle. Die Faszination für Youngtimer hat also neben der rationalen und der leidenschaftlichen auch noch ­eine übernatürliche Komponente!

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