Tiefere Geschwindigkeit – tiefere Kosten

Verschiedene Hersteller ­begrenzen die Höchstgeschwindgikeiten für ihre neuen Modelle. Das hat auch Auswirkungen auf die Entwicklung – zumindest theoretisch.

Die Ankündigung von Volvo im Jahr 2019 sorgte für Aufsehen: Ab 2021 solle die Höchstgeschwindigkeit für alle Modelle auf 180 km/h begrenzt werden. Im April letzten Jahres legte dann auch Renault nach. CEO Luca de Meo verkündete, dass die Geschwindigkeit der Fahrzeuge von Renault und Dacia «abgeregelt wird und 180 km/h nicht überschreitet». Erklärtes Ziel der Massnahme ist es, die Sicherheit der Passagiere durch eine Verringerung der Geschwindigkeit zu erhöhen. Trotz des hehren Ziels wurde die Entscheidung von vielen Autofahrern als empörend empfunden und als Irrweg gebrandmarkt.

Aber ist es wirklich ein Irrweg? Schliesslich ist die grosse Mehrheit der Autofahrer schon lange nicht mehr mit solchen Geschwindigkeiten unterwegs. Wann wurde letztmals ein Renault Espace oder ein Volvo XC90 gesehen, der schneller als 180 km/h fuhr? Wer sich heute auf deutschen Autobahnen, der letzten Bastion der «automobilen Freiheit», noch mit Geschwindigkeiten jenseits der 200 km/h bewegt, wird selten mit einem Volvo unterwegs sein, schliesslich ist die Marke eher für ihre Verkehrssicherheit als für ihre sportlichen Leistungen bekannt. Und noch seltener sitzen diese Fahrer wohl am Steuer eines Renault.

Ging es nur um die Ankündigung?

Auf den ersten Blick geht es bei diesen beiden Mitteilungen also eher um die symbolische Wirkung als um eine tatsächliche Veränderung. Doch eine solche Abriegelung hat auch einige technische Implikationen zur Folge, die nicht unterschätzt werden dürfen. Dies liegt daran, dass ein Auto, das 250 km/h schnell fahren kann, nicht die gleichen mechanischen Anforderungen hat wie ein Fahrzeug, dessen Höchstgeschwindigkeit auf 180 km/h begrenzt ist.

Als einziger Hersteller hat Volvo seine Ankündigungen bereits wahrgemacht. Die technischen Änderungen sind aber bisher noch nicht sichtbar: «Die auf 180 km/h begrenzten Volvo-­Fahrzeuge sind technisch identisch mit ihren nicht abgeregelten Vorgängern», erklärt Veikko Koponen, Solution Business Owner Propulsion beim schwedischen Hersteller. Dass die Mechanik der Fahrzeuge nicht betroffen ist, erscheint auch deshalb logisch, weil sie bereits vor dieser Entscheidung entwickelt wurde. Für die zukünftige Entwicklung ist es aber durchaus vorstellbar, dass nicht wenige Komponenten und Baugruppen eines Autos kleiner dimensioniert werden. Eine ähnliche – auf den ersten Blick rückläufige – Entwicklung hat man ja bereits bei der MEB-Plattform von Volkswagen gesehen, bei der an der Hinterachse wieder Trommelbremsen zum Einsatz kommen können. Denn ein Teil der Verzögerung erfolgt durch die Elektromaschine anstatt über die Bremse. So könnten die Hersteller zukünftig wieder kleinere mechanische Bauteile in ihren Fahrzeugen einsetzen. Es bleibt jedoch beim Konjunktiv, denn dies wurde bisher weder von Volvo noch von Renault bestätigt.

Was sich in der Entwicklung verändert

Aerodynamik

Ein umstrittener Punkt, da die Aerodynamik mit den Elektroautos deutlich wichtiger wurde. Trotzdem: Da der Luftwiderstand und damit die benötigte Leistung im Quadrat zur Geschwindigkeit zunimmt, erlauben tiefere Höchstgeschwindigkeiten mehr Spielraum beim cW-Wert. Dies würde den Autodesignern möglicherweise etwas mehr künstlerische Freiheit verschaffen. Ein wichtiger Aspekt, weil das Design nach wie vor eines der wichtigsten Kriterien beim Autokauf darstellt.

Bremsen

Ein langsameres Fahrzeug benötigt nicht gleich gross dimensionierte Bremsen wie ein schnelles. Volkswagen hat dies mit der Markteinführung des elektrischen ID 3 bewiesen, der auf 160 km/h begrenzt ist. Bei diesem Fahrzeug haben die Wolfsburger nicht wie üblich vier Scheibenbremsen eingebaut – er begnügt sich an der Hinterachse mit einfachen Trommelbremsen.

Reifen

Der wohl offensichtlichste Punkt für eine Herabsetzung der Höchstgeschwindigkeit sind die Reifen. Jeder kennt den Geschwindigkeitsindex auf der Reifenflanke. Cyrille Roget, Direktor für technische und wissenschaftliche Kommunikation bei Michelin, erklärt: «Je höher der Geschwindigkeitsindex eines Reifens ist, desto mehr Verstärkungsschichten besitzt er, die den Zentrifugalkräften entgegenwirken. Umgekehrt kann der Reifen durch eine Senkung des Geschwindigkeitsindexes leichter gemacht werden. Dies kommt nicht nur den Produktionskosten, sondern auch der Umwelt zugute, denn durch die Optimierung des Reifengewichts wird der Reifen auch flexibler und damit effizienter. Je flexibler ein Reifen ist, desto weniger Energie verbraucht seine Verformung.» Die Verringerung des Rollwiderstands von Reifen ist zum Hauptanliegen von Unternehmen wie Michelin geworden: «Man sagt, dass derzeit eine von vier oder fünf Tankfüllungen durch die Reifen verbraucht wird», führt Cyrille Roget aus. Das gilt natürlich auch für den Bereich der Elektromobilität: «Es ist sehr wichtig, Elektrofahrzeuge mit effizienten Reifen auszustatten, weil sie die Reichweite erheblich erhöhen. Wir wissen alle, dass dies ein entscheidender Punkt ist.»

Tank oder Batterie

Ein langsamer fahrendes Fahrzeug mit einem weniger starken Verbrennungsmotor verbraucht weniger Energie. Das ermöglicht den Herstellern, den Tank kleiner zu dimensionieren, ohne die maximale Reichweite zu beeinflussen. Bei Elektroautos könnte theoretisch die Batterie kleiner ausfallen, was diese leichter und günstiger machen würde. Allerdings ist die Reichweite auch bei Alltagstempo noch ein zu grosses Problem, als dass sich das tatsächlich so umsetzen liesse.

Motorsteuerung

Die Einführung einer auf 180 km/h gedeckelten Höchstgeschwindigkeit ist nicht wirklich kompliziert, wie Frederic Vizzini, Expert Project Manager bei AW Europe/Aisin, einer Tochtergesellschaft der Toyota-Gruppe, erklärt: «Sobald die Unternehmensleitung die Entscheidung getroffen hat, die Höchstgeschwindigkeit dieser Fahrzeuge auf 180 km/h zu begrenzen, kann die Umsetzung sehr schnell erfolgen, da die Geschwindigkeit elektronisch gedrosselt werden kann.» Noch vor 20 Jahren hätte es Motorspezialisten gebraucht, um die Geschwindigkeit auf exakt 180 km/h zu begrenzen. Heute können die Hersteller einfach ein paar Zeilen Code in den Bordcomputer eingeben, und die Sache ist erledigt.

Cybersecurity

Die elektronische Abriegelung auf 180 km/h führt unweigerlich zu Fragen der Cybersicherheit. Chiptuning ist ja kein neues Thema mehr, und die Neuprogrammierung von Steuergeräten, um ein paar Pferdestärken mehr herauszukitzeln, ist schon seit Jahren ein Thema. Mit der Einführung einer elektronischen Geschwindigkeitsbegrenzung wird natürlich auch diese zum Thema für Chiptuning. Und führt zur Frage, wie sicher eine bereits manipulierte Software noch ist. «Die Cybersecurity ist heute zu einem der Hauptprobleme der Branche geworden. Und das wird sich auch nicht ändern. Es wird aber in Zukunft sicher schwieriger werden, Fahrzeugsoftware zu knacken, um den Quellcode zu verändern», sagt Frederic Vizzini. Zumal mit der Entwicklung autonomer Fahrzeuge der kleinste Eingriff in den Computer tödlich enden könnte. Es ist aber auch klar, dass die Automobilhersteller dieses Problem inzwischen ernst nehmen, wie die astronomischen Summen zeigen, die sie jedes Jahr in ihre verschiedenen IT-Abteilungen investieren.

Getriebe

Mit der Einführung eines Tempolimits von 180 km/h wird die nötige Spreizung der Gänge weniger gross, sodass diese neu gestaffelt werden könnten. Muss ein Auto nur noch 180 km/h fahren können und nicht mehr 250 km/h, kann die Spreizung der Gänge enger ausgelegt und die Achsübersetzung verkürzt werden. «Eine niedrigere Höchstgeschwindigkeit hätte zur Folge, dass der Geschwindigkeits­bereich, der abgedeckt werden muss, kleiner wird. Theoretisch könnte man sich also vorstellen, den Abstand zwischen den verschiedenen Übersetzungsstufen zu verringern. Noch vorteilhafter ist dies bei Elektrofahrzeugen, die im Allgemeinen mit einem Eingang-Getriebe ausgestattet sind», erklärt Frederic Vizzini. Für ihn liegt der Hauptgrund für die Geschwindigkeits­begrenzung bei den Elektrofahrzeugen.

Verbennungsmotor oder E-Maschine

Manche führen den Trend zur Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit von Fahrzeugen vor allem auf die Verbreitung von Elektrofahrzeugen zurück. Da die meisten Elektrofahrzeuge nur eine fixe Übersetzung haben, führt eine niedrigere Höchstgeschwindigkeit zu einer besseren Beschleunigung, da die Untersetzung kürzer ausfallen kann. Anders herum liesse sich bei gleichbleibender Beschleunigung die Grösse und Leistung der elektrischen Maschine verringern. Das gilt in geringerem Masse auch für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mit Mehrganggetrieben.

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