Bentley Continental GT Speed: nobler Express

Bentley behauptet, dass der Continental GT Speed das dynamischste Fahrzeug der Firmengeschichte sei. Wir sind dieser Behauptung auf Sizilien nachgegangen.

Muss ein Ledersofa über Kurbs tanzen und lange Drifteinlagen beherrschen? Für Bentley lautet die Antwort eindeutig: Ja. Die noch potenteren Modelle sind deshalb mit dem Namenszusatz Speed geschmückt. Obschon der Continental GT Speed nun das dritte Modell mit diesem Namenszusatz ist, bekommt er überraschenderweise keine straffere Federungsabstimmung oder eine Gewichtsreduzierung. «Wir wollten kein Fahrzeug für die Rennstrecke bauen», so Nigel Hamelyn, verantwortlich für die Dynamiksysteme des Continental GT Speed. «Unsere Kunden erwarten einen langstreckentauglichen GT mit einer verbesserten Agilität.» Daher lag der Schwerpunkt bei der Entwicklung nicht auf der Leistungssteigerung –  der W12-Motor leistet nur 24 PS mehr (total 485 kW, 659 PS) –, sondern auf dem Fahrwerk. Es wurden eine Dreikammer-Pneumatikfederung, die mitlenkende Hinterachse, grössere Bremsscheiben (440 mm!) und – eine Premiere bei Bentley – ein elektronisch gesteuertes Sperrdifferenzial hinzugefügt. Somit versprechen die Ingenieure aus dem englischen Crewe einen unverändert hohen Fahrkomfort bei gesteigerter Agilität. Noch besser: Der Continental GT Speed 2021 sei der schnellste Strassen-Bentley in der Geschichte der Marke, erklärt der Hersteller.

Auf den ersten Blick stellt der Speed seine Vitaminkur nicht zur Schau, der Kühlergrill ist schwarz gehalten, und die Seitenschweller unterstreichen die langen Flanken dieses 4.85 Meter langen Dickschiffs. Das Speed-Logo auf den Kotflügeln ist ein Hinweis auf die Topversion des Continental GT. Auch im Interieur findet man nur dezente Hinweise für die Speed-Kur auf dem Armaturenbrett und den Kopfstützen sowie durch das spezifische Karo-Sitzmuster. Die Sitzposition in diesen einzigartigen Sesseln ist ein gelungener Kompromiss zwischen Sportlichkeit und Komfort. 

Bei langsamer Fahrt vernimmt man nur leichte Abrollgräusche auf schlechter Fahrbahn. Das Schluckvermögen der Federung von Strassenunebenheiten ist schlicht beeindruckend.

Der W12-Biturbo-Motor mit sechs Litern Hubraum hat ebenfalls seinen Anteil an dieser Ode an den Komfort, bis zur gesetzlichen Höchstgeschwindigkeit vernimmt man nur ein leises Säuseln. Die Provokation mit dem Gaspedal quittiert der Zwölfzylinder mit kultiviertem Fauchen. Die Beschleunigung ist aber alles andere als phlegmatisch, alles was im Blickfeld des Fahrers liegt, springt ihm förmlich ins Gesicht, und die Zahlen im Head-up-Display steigen rasant. Der Schub der 900 Nm Drehmoment (zwischen 1500–5000 U/min) ist souverän, nichts scheint den stürmischen Vorwärtsdrang des Engländers zu begrenzen. Doch geschieht alles ohne Brutalität, die Leistungsentfaltung erfolgt wie am Gummiband, dem W12 ist die Hektik eines Sportmotors völlig fremd. Trotzdem verspricht Bentley eine Beschleunigung von 0 auf 100 km/h in 3.6 Sekunden (0.1 s schneller als der normale W12). In Anbetracht der Fähigkeiten von Launch-Control und Allradantrieb, Leistung in Bewegung und nicht in Schall und Rauch umzuwandeln, ein glaubwürdiger Wert.

Souverän, nicht brutal

Sein echtes Talent zeigt der GT Speed aber erst auf kurvigen Strecken. Damit wir uns davon auch wirklich überzeugen konnten, hat die Marke eine provisorische Rennstrecke auf der ehemaligen Nato-Basis in Comiso in Sizilien eingerichtet. In einer improvisierten Rechts-Links-Kombination in der Geisterstadt überspielen die mitlenkende Hinterachse und das Sperrdifferenzial die 2273 Kilogramm Leergewicht fast spielerisch. Der Koloss bietet eine verblüffende Agilität, obwohl man spürt, dass die Bordelektronik den GT mit viel Aufwand zähmen muss. Man merkt dies zum Beispiel beim scharfen Einbremsen mit ABS-Auslösung. Am Kurveneingang neigt der GT Speed zu leichtem Untersteuern, und man muss viel Tempo herausnehmen, um diese Reaktion zu vermeiden. Die Hinterachse kann je nach Fahrstil auch ein gewisses Eigenleben entwickeln, bis hin zu schönen Drifteinlagen. Im Grossen und Ganzen sind die Reaktionen nicht sonderlich natürlich. Auch eine stärkere Differenzierung zum W12 wäre wünschenswert. Der Continental GT Speed besitzt jedoch das eindeutig grössere Talent mit demselben Komfort wie der W12, ist allerdings einen Hauch fahraktiver. Da fällt die Wahl nicht schwer.

Die technischen Daten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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