VW Polo: zweite Spielzeit

Noch holen die klassischen Verbrenner bei VW die Kohlen aus dem Feuer, nicht zuletzt der aktuelle Polo. Mit einem Facelift ist er aus den Ferien zurück.

Autor: Martin Sigrist

Der Polo hat es in der Schweiz geschafft. Er liegt per August 2021 mit 2372 Fahrzeugen zwei Plätze vor dem einstigen Primus von Volkswagen, dem Golf, auf Rang neun der Zulassungsstatistik. Der Golf steht auf Rang elf. Die Schweiz mag den Polo, und das scheint kein Zufall zu sein, denn er repräsentiert sichere Werte für all jene, denen manche Neuerungen noch etwas zu schnell vonstatten gehen. Und offenbar liegt es Volkswagen fern, die traditionelle Seite der Modellpalette zu vernachlässigen. Das zeigen die Neuerungen, mit welchen der Polo ab Ende September – nach VW-Tradition nach den August-Ferien – aufwarten kann. VW hat bei der Vorstellung der Zukunftsstrategie 2030 am 13. Juli 2021 erklärt: Die klassischen Verbrenner sollen noch eine Weile jenes Geld hereinholen, mit dem die Transformation zum gesamtheitlich operierenden Konzern für Mobilitätslösungen finanziert werden will.

Digitaler, vernetzter, autonomer

Doch zum neuen Polo. Künftig gibt es nur noch digitale Armaturen, analoge Uhren sind passé. Zusätzlich zum Acht-Zoll-Bildschirm für die Basisanzeigen sind ein 6.5-Zoll-Screen für weitere Grundfunktionen, ein Acht-Zoll-Infotainment oder die Topversion Discover Pro mit 9.2-Zoll-Screen verbaut. Auch hier setzt VW auf das Prinzip Baukasten. Die ultimative Erweiterung ist dank E-SIM stets vernetzt, verschiedene Informationen sind per App abruf- oder hochspielbar. Weitere Funktionen sind noch in der Pipeline, aber bereits vorinstalliert. Die Koppelung des Handys erfolgt kabellos. Die optionale Klimaautomatik stützt sich auf Touchfunktionen auf einem separaten Panel. Das Streichen über definierte Zonen, etabliert in Golf und den ID-Modellen, bleibt ein VW-Unikum mit Gewöhnungszeit.

Zu fahren wie ein Grosser

Die Qualität der VW-Plattform MQB-A0, auf der auch T-Cross, Audi A1, Seat Ibiza/Arona, Škoda Fabia, Kamiq und Scala und weitere basieren, ist bekannt. An der Hardware hat VW nichts verändert. Punkto Innenraum und dem Kofferraumvolumen von 351 Litern gehört der Polo zu den grosszügigen Vertretern im B-Segment. In dem von uns gefahrenen R-Line mit einer etwas sportlicheren Reifen-Rad-Kombination sind kleinere Bodenunebenheiten zwar deutlicher spürbar, die Gesamtabstimmung ist aber komfortabel. Generell hält der Polo seine Insassen von vielen äusseren Einflüssen fern. Windgeräusche sind gering. Nur unter Vollast knurrt der Dreizylinder deutlich in den Innenraum. Die gebotene Agilität ist mit dem 81 kW (110 PS) starken TSI-Motor mehr als ausreichend. Ihn gibt es nur mit Siebengang-DSG. Die Basisversion mit 59 kW (80 PS), ein Saugmotor, hat eine Fünfgang-Handschaltung, die Version mit 70 kW (95 PS) verfügt optional über ein DSG.

DSG ist Voraussetzung für teilautonomes Fahren. VW nennt das IQ-Drive Travel Assist und bietet es nun auch im Polo an. Damit wächst er zum Reisewagen mit Langstreckenkompetenz. Dazu leisten auch die unveränderten Sitze, neu sind gewisse Bezugsstoffe, einen wesentlichen Beitrag.

Sicherheitsaspekte

Matrix-LED mit je acht Elementen sind im Topmodell Style Serie, bei den übrigen Modellen eine Option statt normaler LED-Scheinwerfer. Sie stecken in einer neu gestalteten Front mit durchgehendem Leuchtband. Auch das Heck hat bei der Gelegenheit eine Überarbeitung erfahren. Unter der neuen Wagenfront verbergen sich die Sensoren für die Assistenten. Auch hier zeigt der aufgewertete Polo einen Standard, der bisher nur Vertretern aus höheren Wagenklassen vorbehalten war: Querverkehrswarner, Kollisionswarner, Bremsassistent und so weiter. Im Innenraum ist ein Airbag zwischen den Frontpassagieren neu, er entfaltet sich aus der Lehne des Fahrersitzes, um den Zusammenprall der Insassen bei einer Seitenkollision zu verhindern.

Erwachsener

Der Polo hat nicht nur seinen grossen Bruder Golf überholt, er hat auch viele seiner Aufgaben übernommen. Das verwundert wenig, ist er über die Jahre doch stets gewachsen und dem jeweiligen Vorgänger des zeitgleichen Golf nähergerückt. Er wirkt heute vollwertig, vielen mag er genau die Menge Auto bieten, die als zweckdienlich erscheint. Er ist kein Modeaccessoire, sondern vermittelt automobile Vernunft. Und auch wenn er als Alltagswagen unauffällig bleibt, ist der Polo kein Auto, das einem rasch langweilig erscheint. Zudem hat Wolfsburg die Qualitäten des Polo als zuverlässigen Mobilitätspartner erfolgreich geschärft. Die neuen Features ergänzen ein Auto, das bereits bisher kaum Schwächen zeigte. Das Resultat erscheint darum nicht als ein etwas angejahrtes Modell, dem mit vordergründigen Massnahmen etwas Zeitgeist aufgesetzt wurde, sondern als logische und harmonische Integration jener Technologien, die zu einem Auto aus den 20er-Jahren des 21. Jahrhunderts dazugehören. Damit stehen die Chancen gut, dass der Polo die 50 Jahre noch vollmachen wird, bevor schliesslich auch ihm zugunsten eines Elektronachfolgers die Stunde schlagen wird. Bevor es aber so weit ist, soll der Polo nochmals richtig fliegen. Eine GTI-Version, dessen Vorgänger manche als den wahren Nachfolger des früheren Golf GTI sehen, wird nächstes Jahr den Abschluss nach oben bilden. Die Version mit 207 PS wird dazu extra aus dem VW-Werk in Südafrika nach Europa gebracht werden.

Die technischen Daten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper der AUTOMOBIL REVUE.

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