Einer für wahre Kenner

Den digitalen Sportwagen nennt Volkswagen den neuen Golf GTI. Zum Glück haben die Entwickler einen besseren Job geleistet als die Marketingabteilung.

Bewegt sich hinsichtlich Hühnerhautfaktor wieder in die richtige Richtung: Der VW Golf 8.

Der GTI ist etwas für den Connaisseur, ist kein kompromissloser Hot Hatch, wie ein Honda Civic Type R oder Renault Megane R. S. Der Kompaktwagen aus Wolfsburg bringt den Fahrspass unaufdringlich, nebenbei. Während das bei der letzten Generation des GTI etwa gar unaufdringlich war und der Hühnerhautfaktor ein paar Grössenordnungen niedriger ausfiel als bei den älteren, ikonischen Modellen, bewegt sich der Golf 8 wieder in die richtige Richtung.

Die Lenkung wird immer besser

Das Kompetenzzentrum des Fahrspasses, und daher kommt auch der Marketing-Slogan, ist das neue Fahrdynamikmanagement. Diese Software regelt das Zusammenspiel all der fahr­dynamisch relevanten Komponenten wie der adaptiven Dämpfer, des Differenzials, der Lenkung und so weiter. Bis zu 200-mal pro Sekunde würden beispielsweise die Dämpfer nach­geregelt, so VW.

Wie gewohnt bietet der Golf GTI eine Vielzahl an Fahrprogrammen, von Öko über Komfort bis Sport. Hier kann der GTI seine grosse Stärke ausspielen: die Spreizung zwischen den verschiedenen Betriebsmodi. In den komfort­orientierten Einstellungen gibt er sich ganz zahm, hält die Dämpfer weich und die Lärmemissionen tief – geeignet für den Alltag.

Im Sport-Modus zeigt der Golf, wieso er immer noch einer der beliebtesten Hot Hatches auf dem Markt ist, und es wohl auch in der achten Generation wieder sein wird. Volkswagen hat dem GTI die Quersperre des bisherigen TCR eingepflanzt, härtere Lagerbuchsen verbaut und die Federrate an der Vorderachse um fünf Prozent und an der Hinterachse um 15 Prozent erhöht.

Und: Das Fahrdynamikmanagement schafft es sogar, das VW-hafte aus der Lenkung zu bringen. Sie ist nicht mehr gefühllos und synthetisch, sondern überraschend direkt. Um den Nullpunkt ist sie zwar immer noch etwas mau, ansonsten folgt das Auto aber präzise den Lenkbewegungen, liegt satt auf der Strasse und bietet ganz schön viel Grip. Es braucht eine gehörige Menge an Übermut, bis sich die Vorderachse zum Untersteuern zwingen lässt. Wenn schon, dann deutet sich dank der harten Abstimmung an der Hinterachse und einer kopflastigen Gewichtsverteilung (63:37) eher ein nervöses Heck an.

Für jeden Fahrstil und jede Vorliebe bietet der neue Golf 8 die richtige Abstimmung.

Schnell ist er trotzdem

Für das Zerren an der Vorderachse zeichnet auch weiterhin Volkswagens Lieblingsmotor, der EA888, verantwortlich. Mit seinen 245 PS und 370 Nm liefert der Zweiliter-Turbo gleich viel wie zuletzt der Golf GTI Performance. Dieser Motor spricht direkt auf Inputs vom Gasfuss an, das maximale Drehmoment liegt bereits ab 1600 U/min an und zieht sich durch bis 4300 U/min. Im oberen Bereich lässt er dann etwas nach, die Höchstleistung setzt erst bei 5000 U/min wieder ein. Dieser kleine Durchhänger verpasst dem sportlichen Charakter ­einen sanften Dämpfer. Aber eben: Schnell ist der GTI trotzdem. Auf dem Papier braucht er 6.2 Sekunden bis Tempo 100. Mit Winterreifen auf feuchtkalter Strecke lagen mit dem Testwagen nur knapp 6.9 Sekunden drin – die Launch-­Control kämpfte mit Traktionsproblemen.

Auch beim Antrieb zeigt der GTI, dass er dezenter sein kann: In den vernünftigen Fahrmodi ist der Lärm weg, und der Verbrauch sinkt auf ein vernünftiges Niveau: Exakt 6 l/100 km waren es auf der AR-Normrunde. Nicht schlecht, wenn man bedenkt, dass VW den offiziellen Verbrauch mit 7.6 Litern angibt.

Die liebe Technologie

Apropos Launch-Control: Die aktiviert sich wie gewohnt erst, wenn das ESP ausgeschaltet ist. Bloss geht das nicht mehr wie früher über eine einfache Taste, sondern via Infotainment im Untermenü eines Untermenüs. Und nicht selten ploppt dann die Meldung auf, dass dies zurzeit nicht möglich sei.

Womit wir wieder beim alten neuen Problem von Volkswagen wären. Während Technik und Mechanik problemlos funktionieren, tut man sich mit der Elektronik noch schwer. Das Bedienkonzept verlangt einen nahezu vollständigen Verzicht auf physische Knöpfe. An die unbeleuchteten Slider für die Klimabedienung möchten wir uns gar nicht erst gewöhnen, das Infotainment ist verschachtelt, und die Assistenzsysteme sind alles andere als zuverlässig.

So viel zu den beiden wirklich grossen Kritikpunkten. Abgesehen davon überzeugt das saubere Anzeigekonzept mit dem volldigitalen und relativ frei konfigurierbaren Kombiinstrument und einem zusätzlichen Head-up-Display auf der Windschutzscheibe. Ansonsten fühlen sich angestammte GTI-Fahrer schnell zu Hause: Alupedale und -fussstütze sowie die Karo­sitze fehlen natürlich auch in der achten Generation nicht. Optional gäbe es auch noch Ledergestühl, aber wer sich dieses bestellt, begeht in den Augen der Fangemeinde ohnehin ein Sakrileg.

Bezüglich Platzangebot unterscheidet sich der GTI nicht vom herkömmlichen Golf: Bis zu 1237 Liter Kofferraum sind es, die Rückbank ist im Verhältnis 60:40 umklappbar, und im Fond gibt es genügend Platz, sodass auch einmal vier Erwachsene bequem reisen können im Golf.

Der beste Golf?

Optisch unterscheidet er sich vom herkömmlichen Golf in eleganten Details. Am Heck sind es die Doppelendrohre, in der Seitenansicht – natürlich – der GTI-Badge und vorne der modelltypische Wabengrill, die angedeuteten, grossen Nüstern und die charakteristische rote Linie. Letztere verläuft nicht mehr nur zwischen den Scheinwerfern, sondern zieht sich von Flanke zu Flanke und verleiht der Frontansicht ein stimmiges Gesamtbild.

Spannend wird es beim Preis. Den neuen Golf GTI gibt es ab 45 000 Franken. Leider auch hier wieder ohne Systeme wie beispielsweise eine Rückfahrkamera, die heute eigentlich zur Basisausstattung gehören sollten. Unser Testwagen kam mit einigen Optionen auf 52 507 Franken. Der GTI ist somit wohl aktuell der beste Golf, was Preis-Leistung angeht – und damit meinen wir nicht nur reine Fahrleistungen.

Schaut man über den Tellerrand hinaus, so tritt als direkter Konkurrent vor allem der Ford Focus ST an, der einen ähnlichen Kompromiss aus Alltagsauto und Sportlichkeit bietet. Zahlenmässig bedeutet der Konkurrenzkampf: Der Focus kommt mit 280 PS etwas stärker daher, der Preis liegt etwas tiefer als beim Golf. Auf ­einen direkten Vergleich verzichten wir an dieser Stelle, da steckt bei den Fangemeinden zu viel Glaubenskrieg dahinter. Aber: Den Focus ST gibt es auch mit Handschaltgetriebe. Das vermissen wir beim GTI halt schon.

Testergebnis

Gesamtnote 76.5/100

Antrieb ★★★★☆

Der Antrieb des GTI überzeugt mit kräftigem Antritt, der im oberen ­Bereich jedoch etwas nachlässt. Schade, dass es keine Handschaltung mehr gibt.

Fahrwerk ★★★★☆

Die Spreizung zwischen Alltagskomfort und Sportlichkeit meistert der GTI vorbildlich. Er fühlt sich auch wieder deutlich sportlicher an als der Vorgänger.

Innenraum ★★★☆☆

Der Materialmix und die Verarbeitung vermögen zu überzeugen, die Karositze sind Pflicht! Punkteabzug gibt es für das Bedienkonzept.

Sicherheit ★★★★☆

Die grosse Schwachstelle: die Assistenzsysteme. Der Tempomat mit Verkehrszeichenerkennung und GPS hat seine liebe Mühe, die richtige Geschwindigkeit zu finden, sodass er mehr Be- als Entlastung ist.

Budget ★★★★☆

Mit einem Basispreis von rund 45 000 Franken, bei dem noch nicht einmal eine Rückfahrkamera dabei ist, ist der Golf GTI kein Schnäppchen. Angesichts dessen, was der Kompaktsportler an Fahrleistungen bietet, gibt es am Preis aber wenig auszusetzen.

Fazit 

Der GTI bietet aktuell wohl das beste Preis-Leistungs-Verhältnis innerhalb der Golf-Familie. Die Spreizung zwischen Alltagsauto und Wochenendsportler meistert er vorbildlich. Dass es bei der Technologie und Ergonomie hapert, ist leider bei allen neuen VW-Modellen der Fall.

Die technischen Daten und unsere Testdaten zu diesem Modell finden Sie in der gedruckten Ausgabe der AUTOMOBIL REVUE.

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