Aktivisten gegen SUV

VANDALISMUS Das SUV erfreut sich allgemeiner Beliebtheit. Klimaschützer werfen ihm zu hohes Gewicht und zu hohe Emissionen vor – und greifen zu militanten Mitteln, um dagegen vorzugehen.

Erst kürzlich: Zwei lange, tiefe Kratzer, wahrscheinlich von einem Schlüssel oder einem Schraubenzieher, quer über beide Türen der Beifahrerseite des Alfa Stelvio. Ein paar Wochen vorher: Eine Beule in der Fahrertür des Citroën C5 Aircross, wahrscheinlich ein Tritt mit einem schweren Stiefel. Beides jetzt nicht die ganz grossen Protz-SUV – und fies, feige, mit beträchtlicher Kostenfolge. Täter: unbekannt.

La Ronce – zu deutsch: der Stachel – nennt sich das französische Kollektiv, das zuletzt Mitte Oktober mit gezieltem Vandalismus gegen SUV für Schlagzeilen sorgte. In einem Youtube-Video zeigt La Ronce ganz konkret, wie Sabotage an SUV funktioniert: Man entfernt den Ventildeckel des Reifens, klemmt ein kleines Steinchen ins Ventil und schraubt den Deckel wieder drauf. «Der Reifen verliert innerhalb von einer Stunde die Luft», wird im Video erklärt. Auf der Windschutzscheibe wird dem Besitzer ein Zettel hinterlassen mit ­einer Erklärung zur Tat und dem Hinweis, man solle doch in Zukunft die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen.

Den Aktivisten geht es aber um mehr als nur um die SUV, wie sich im Manifest von La Ronce nachlesen lässt: «Unser Gesellschaftsmodell rennt in sein Verderben, zermalmt den Menschen und nimmt auf dem Weg in den Untergang schon weite Bereiche des Lebens mit sich.» Die Gruppierung ruft deshalb zu «einfachen und wenig riskanten Taten» und «dezentralen, gleichzeitigen, treffenden, leichten Aktionen» auf.  Auch die international aktive, militante Klimagruppe Extinction Rebellion geht nach demselben Muster vor: In einer konzertierten Aktion liessen die Vandalen in Bordeaux (F) gleichzeitig bei 220 SUV die Luft aus den Reifen ab, aus «Protest gegen die übermässige Umweltbelastung» durch diese Fahrzeuge. «Wir schaden nicht der Gesundheit von Menschen, sondern wir richten uns gegen materielle Güter. Diese haben keine Gefühle», heisst es im Manifest von La Ronce. Dass ein platter Reifen sehr wohl ein sehr grosses Sicherheitsrisiko für die Insassen darstellen kann, ignorieren sie dabei komplett.

Auch in der Schweiz?
Müssen auch SUV-Fahrer in der Schweiz Angst haben, dass ihre Autos von Vandalen und Extremisten zerstört werden? Wie eine Anfrage der AUTOMOBIL REVUE bei verschiedenen Kantonspolizeikorps (BE, BS, VD, VS, ZH) ergeben hat, wurden bisher keine solchen Taten verzeichnet. Einzig die Berner Kantonspolizei spricht von vereinzelten Sprayereien an Autos, von einer grossflächigen Entwicklung könne man aber nicht reden. Das Problem ist wahrscheinlich: Die beiden eingangs geschilderten Fälle wurden der Polizei nicht gemeldet – auch deshalb nicht, weil Aufwand und Ertrag in keinem Verhältnis stehen.

Ähnlich tönt es auch von den Versicherungen. Weder Axa noch Zurich hat Kenntnis von solchen Vorfällen. Auch dem TCS ist in der Schweiz bisher kein solcher Fall bekannt, aber Pressesprecherin Valérie Dussel bestätigte, dass SUV vermehrt Ziel von Vandalismus durch einschlägige Gruppierungen seien. «Materielle Schäden und Vandalenakte aller Art sind nicht akzeptabel», hält Dussel fest. «Ganz egal, welches Ziel damit verfolgt wird.» Werden Vandalenakte von den Geschädigten nicht gemeldet und direkt zur Reparatur gebracht? Eine Nachfrage bei zwei Karosseriebetrieben in Bern und Genf ergab, dass man jüngst keine Zunahme feststellen konnte.

Aber Marco Da Costa von der Garage Electro et Mécanique in Genf ist das Phänomen durchaus nicht fremd: «Ich kenne solche Aktionen aus Frankreich und leider auch in der Schweiz. Von unseren Peugeot-Kunden habe ich bisher nicht gehört, dass ihre Autos beschädigt worden wären. Aber ich denke, die Aktionen richten sich auch mehr gegen stark motorisierte Oberklassefahrzeuge. Die Klimaaktivisten halten diese Autos für sinnlos, vor allem in der Stadt, und betrachten sie als Statussymbol für Reichtum und Erfolg.»

Das SUV im Visier
Wie man weiss, lieben die Schweizerinnen und Schweizer das SUV, und auch in Frankreich erfreut sich dieser Fahrzeugtyp grosser Beliebtheit. Die Opposition dagegen kommt aber nicht nur von mehr oder weniger anonymen Splittergruppen wie La Ronce oder Extinction Rebellion. Auch der WWF Frankreich hält «das SUV für nicht kompatibel mit der Einhaltung der französischen Ziele zur Reduktion der Treibhausgasemissionen».

Dasselbe gilt auch für die Schweiz, wo der Marktanteil der SUV von 18.7 Prozent im Jahr 2011 auf 43.6 Prozent im Jahr 2019 angestiegen ist. Zahlreiche Politiker und Intellektuelle machen Stimmung gegen SUV und andere grosse Fahrzeuge. Im Jura hatte der Grüne Ivan Godat Ende 2019 die Kantonsregierung aufgefordert, Massnahmen gegen eine weitere Zunahme von SUV zu treffen. Letzten September wies das jurassische Parlament jedoch seinen in ein Postulat verwandelten Antrag zurück. In Lausanne hat die Bewegung Mobilité Respectueuse (rücksichtsvolle Mobilität) am 10. Dezember 2019 die Petition «Pour une mobilité à taille humaine à Lausanne. Contre le trafic des véhicules individuels surdimensionnés» (Für eine menschliche Mobilität in Lausanne. Gegen den Verkehr überdimensionierter Individualfahrzeuge) eingebracht. Laut Auskunft der Gemeinde wird diese derzeit von der Petitionskommission behandelt.

Für Sylvain Croset, Sprecher dieser Petitionäre, geht es darum, «den Behörden die Sorge der Bürger in Anbetracht der steigenden Anzahl grosser Autos in der Stadt zu verdeutlichen». Diese Initiative ist also nicht vergleichbar mit den Aktionen von La Ronce und Extinction Rebellion. Dazu meint Sylvain Croset: «Meines Wissens ist diese Erscheinung noch sehr marginal in der Schweiz und beschränkt sich auf wenige versprayte Autos. Ich persönlich unterstützte solche Aktionen nicht. Aus meiner Sicht sind sie nur kontraproduktiv.»

Andere Aktionen sind weniger konkret, politischer und mehr theoretischer, ideologischer Natur, wie diejenige des Historikers Michel Porret. In seinem Blog in der Tageszeitung «Le Temps» schrieb er unter dem Titel «SUV: Auto der massiven Zerstörung» vor einem Jahr: «Gibt es ein anderes Fahrzeug als das SUV, das dem vor Virilität strotzenden Fahrer mehr ungestrafte Arroganz auf der Strasse verleiht?» In derselben Zeitung attackiert einer seiner Kollegen, der Geograf Sébastien Munafò, ebenfalls lautstark: «Die Schuldigen heissen SUV, sie machen mehr als die Hälfte der Autokäufe im Land aus. Schuldig, denn neben der Verkehrssicherheit und dem grossen Flächenbedarf sind deren ökologischen Auswirkungen gross.»

Noch weiter geht das englische New Weather Institute, das ein seinem jüngsten Bericht ein generelles Verbot für SUV-Werbung fordert. Die Lehren aus dem Tabak-Werbeverbot müssten nun auf die Automobilindustrie übertragen werden. Bruno Le Maire, der französische Wirtschaftsminister, sprach sich aber klar gegen ein Werbeverbot für die emissionsstarke Modelle, insbesondere SUV, aus und plädiert stattdessen dafür, dass die Emissionswerte in der Werbung angegeben werden müssten. Er sprach sich auch gegen eine zusätzliche Besteuerung von Neuwagen nach Gewicht aus.

Der Zweck heiligt die Mittel nicht
Die SUV fahren aber weiter ihren Weg. Das passt den Umweltverfechtern, vor allem den Grünen, nicht, deren «Ziele nicht mit SUV-Fahrzeugen erreicht werden können». Aber Lino Meyer von der Grünen Partei weist zurecht darauf hin, dass ein Luftablassen aus den Autoreifen ein strafbares Delikt ist: «Für uns ist das kein Kinderstreich mehr, denn so etwas kann böse enden. Wir verzichten ausdrücklich auf solche Mittel.»

Das Fahren von E-Bikes kann Ihr Leben gefährden

Man wagt es angesichts der aktuellen Euphorie für den Langsamverkehr fast nicht auszusprechen, aber die jüngsten Zahlen der Publikation «Sinus 2020» der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) sind unmissverständlich. Sie zeigen, dass E-Bike-Fahren doch nicht ganz so ungefährlich ist, wie man gemeinhin annimmt. So haben im Zeitraum 2011 bis 2019 die Unfälle mit schweren Personenschäden – seit 2011 werden E-Bikes in der Unfallstatistik erfasst – rasant zugenommen, was auch mit der Zunahme des Fahrzeugbestandes erklärbar ist. Im vergangenen Jahr wurden bei Verkehrsunfällen auf Schweizer Strassen insgesamt 355 E-Bike-Fahrer schwer verletzt und elf getötet. 

Die Verkehrssicherheit verbesserte sich in den ­vergangenen Jahren konstant. Sorgen bereiten allerdings die Unfallzahlen der E-Bike-Fahrer.

Markante Zunahme um 14 Prozent
Im Vergleich zum Jahr 2018 ist damit die Zahl der schweren Personenschäden anno 2019 um 14 Prozent gestiegen. Vor allem mit langsamen Elektrovelos (bis 25 km/h) sind viele Unfälle zu verzeichnen – mehr noch als mit schnellen E-Bikes, die bis 45 km/h schnell fahren. Fast ein Drittel der schwer verletzten und über 70 Prozent der getöteten E-Bike-­Fahrer waren über 64 Jahre alt. Das zeigt, dass ältere Personen wohl nicht selten ihre Fähigkeiten als E-Bike-Fahrer überschätzen.

Unfallzahlen sind rückläufig
Insgesamt sind im vergangenen Jahr in der Schweiz 3826 Personen bei Verkehrsunfällen schwer verletzt oder getötet worden. Innert einer Dekade ist diese Zahl um ein Viertel zurückgegangen. Am meisten von sinkenden Unfallzahlen haben die Verkehrsteilnehmer ausserorts (–31 %) und auf Autobahnen (–32 %) profitiert. Letztere sind bekanntlich die sichersten Strassen. Dagegen sank die Anzahl der schwer verletzten oder getöteten Personen in Städten und Dörfern nur um 20 Prozent. Der Hauptgrund für diesen Unterschied innerorts dürfte darin liegen, dass die Opfer schwerer Unfälle meist Personen sind, die auf dem Motorrad, auf dem Velo, dem E-Bike oder zu Fuss unterwegs waren.

Das Ziel ist erreichbar
Verläuft die Entwicklung weiterhin so positiv wie bisher, liegt das Ziel, die Zahl der tödlich verunfallten Verkehrsteilnehmer bis 2030 auf 100 (2019: 187 Verkehrsopfer) und jene der schwer verletzten auf 2500 zu reduzieren, in Reichweite. Auch im internationalen Vergleich schneidet die Schweiz gut ab. Es wird aber in Zukunft nötig sein, die Strasseninfrastruktur für die Automobilisten und den Langsamverkehr noch sicherer zu gestalten, die technischen Assistenzsysteme in Autos weiter zu entwickeln sowie die Ausbildung der Auto- und der E-Bike-Fahrer zu verbessern.

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