Wo der Winter noch Winter ist

ABENMTEUR Trysil ist ein Wintersportort in Norwegen, 150 Kilometer nordöstlich von Lillehammer. 600 Kunden und 40 Journalisten fuhren dort nicht Ski, sondern Lastwagen.

Was in unseren Breitengraden, ausser in den Alpen, eher selten möglich ist, nämlich ein Vehikel der Lastwagengewichtsklasse in winterlichen Verhältnissen zu bewegen, funktioniert im norwegischen Trysil hervorragend. Schnee gibt es im Januar in dieser Region immer. Seit 15 Jahren existiert diese einzigartige Winter-Testevent, der etwas bietet, was eher ungewöhnlich ist: Es gibt fast alle Scania-Modelle, alle Motoren und unterschiedlichste Typen und Fahrzeugkombinationen des schwedischen Herstellers schwerer Nutzfahrzeuge zu fahren. Auch diejenigen, die in Mitteleuropa nicht oder nur begrenzt auf den Strassen anzutreffen sind, genauer: über 25 Meter lange 60-Tönner.

Scania R730 Holzlastzug. Und wann kann man schon mal einen Schneepflug steuern?

Zur Einstimmung fahre ich mit einem 16-Tönnen-Plug-in-Hybrid Scania G280 («Richtung null CO2»), denn die Strasse ist zum Teil eisig. Der 280 PS starke Lastwagen ist ein typisches Verteilerfahrzeug, das sich fast wie ein grosser PW fährt, für den Agglomerationsverkehr prädestiniert und eines der Modelle ist, das für den Technologiewandel steht, dem auch Scania unterworfen ist. Nachhaltigkeit heisst das Zauberwort auch hier immer häufiger. Schon vom Parkplatz weg rollt der Truck rein elektrisch, erst ab mehr als 35 km/h auf der Landstrasse schaltet der kleine Diesel leise zu. Wir fahren eine nicht enden wollende Rampe hinunter hinein in den Ort Trysil, dessen Strassen schneebedeckt sind. Richtig winterlich. Kaum bei etwa 20 km/h angelangt, schaltet der Antrieb um auf elektrisch – und wir schleichen fast unbemerkt durch den Ortskern. Aus dem wir uns erst wieder mit Dieselantrieb entfernen, als der Truck die Landstrasse unter den Rädern spürt. Übrigens: Für einen sicheren Betrieb sind in Norwegen Winterreifen auf allen Lastwagenachsen gesetzlich vorgeschrieben, auch beim Anhänger.

Das ist durchaus beruhigend, vor allem angesichts der Tatsache, dass mein nächstes Fahrzeug ein Holztransporter ist: V8-Aggregat, 730 PS, Gesamtlänge mit vierachsigem Anhänger 25.25 Meter, Heckkran auf dem Motorfahrzeug, Gesamtgewicht 60 Tonnen. Er ist die Norm in skandinavischen Wäldern, ein gutmütiger Riese. Man muss so etwas einmal gefahren haben. Der Demofahrer gibt mir ein paar nützliche Hinweise: «Auf glatter Strasse nie mit dem Retarder, der verschleissfreien Bremse, fahren, weil diese nur auf die Antriebsachse wirkt, sondern mit der Betriebsbremse auf allen Rädern sanft abbremsen, wenn nötig.» Man stelle sich vor, die Fuhre geriete ins Rutschen.

 Hier ein R500 6×4.

Nachhaltig ist der Riese deshalb, weil er mindestens zehn Jahre in Betrieb sein, in dieser Zeit Unmengen nachwachsende Rohstoffe sprich Holz transportiert haben und durch seine schiere Länge zahlreiche Lastwagenfahrten mit konventionellen, 16.5 Metern kurzen Sattelzügen eingespart haben wird. Vorläufig gibt es für eine solche Anwendung keinen 100-prozentig CO2-freien Ersatz, und aus Gasmotoren, die Scania ebenfalls anbietet, kann für Schwerlastanwendung nicht genügend Kraft geschöpft werden.

Bleibt die Elektrifizierung. «Wir haben kein rein elektrisches Fahrzeug zum Testfahren hier, weil es noch nicht fertig entwickelt ist», sagt der Senior ­Vice President Sales and Marketing Trucks bei Scania, Alexander Vlaskamp. Die Enttäuschung hält sich in Grenzen, zumal jede Menge Motor­varianten der Dieselklasse mit neuem Motormanagement zur Verfügung stehen. Favoriten sind, ganz besonders in Norwegen, Achtzylinder, Tesla hin oder her. Scania ist, nicht zuletzt wegen der skandinavischen Bedingungen, der einzige verbleibende Hersteller von V8-Lastwagenmotoren, alle anderen haben auf Reihensechszylinder umgestellt. «In der konstanten Weiterentwicklung aller unserer Dieselmotoren liegt noch viel Potenzial», so Vlaskamp. Will heissen, der Diesel hat noch lange nicht ausgedient, und die Elektrifizierung steckt noch immer im Versuchsstadium. Seis drum. Das Testfahren im Schnee geht weiter, mit 580, 540 und 500 PS, mit Tiefgängerauflieger samt Bagger, mit Kieskipper auf vierachsigem und Tandem-Anhänger, mit einem weiteren Giganten mit Doppel-­Semitrailer (25.25 m).

Eine R580-Zug­maschine mit zwei Aufliegern. Eher älteren Datums: Ein Militärlastwagen P93 im Gelände. 

Krönender Anschluss ist dann ein kleiner Offroad-Ausflug mit einem alten Armee-Allradtruck, Marke Scania P93. Mechanisches Getriebe, keinerlei Servounterstützung, Eurostufe egal, null Kabinenkomfort. Schneekettenrasseln, Tiefschnee, Steilhänge, Rampen, tiefe Löcher: alles kein Problem. Und überhaupt nicht klimaneutral. Aber wen interessiert das schon in diesem Augenblick? 

Scania ist auch Elektro-Pionier

Während in Trysil sämtliche Testfahrzeuge mit umweltfreundlichem HVO (hydriertes Rapsöl) befeuert waren, bleibt das wohl bekannteste Beispiel für die Elektrifizierung von Scania-Lastwagen der Grossversuch in Deutschland, wo bestimmte Autobahnabschnitte mit Oberleitungen ausgerüstet sind, an denen Scania mit Pantografen elektrisch fahren können und erst auf Diesel umschalten, wenn sie von der Autobahn zu ihrem Bestimmungsort, etwa einem Logistizentrum, abzweigen. Realistischer ist derzeit noch die Hybridisierung vor allem von Verteiler- oder Kehrichtlastwagen, etwa dem P280 oder dem G 320 HEV, also einem 26-Tönner, der mit einem Fünfzylinder-Diesel und einem 177 PS starken E-Motor ausgerüstet ist. Deren CO2-freie Reichweite, rein elektrisch, beträgt etwa zehn Kilometer, was in der Innenstadt ausreichen kann. Mit Schnellladen und Rekuperieren kann man die Batterie immer wieder aufladen. Für die Fahrt zum Verteilzentrum schaltet dann der Diesel zu. Ein Plug-in-Hybrid, der folgen soll, erreicht mit dem HVO-Diesel eine CO2-Reduktion von bis zu 92 Prozent.

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