Nordschleife unter Strom

REKORDFAHRT Mit 6:05.336 Minuten stellt der VW ID R eine neue Rundenbestzeit für Elektrofahrzeuge auf dem Nürburgring (D) auf. Das Ziel ist aber ein anderes: Volkswagen will mit dieser Technologie Marktführer werden.

 Nach dem legendären Bergrennen am Pikes Peak in Colorado (USA) und der altehrwürdigen Rennstrecke Good­wood (GB) ist der Nürburgring an der Reihe. Romain Dumas und sein ID R, Volkswagens elektrischer Prototyp, sollen in der grünen Hölle die Rekordmarke für Elektroautos knacken. Sie liegt bei 6:45.9 Minuten pro Runde. Das Ziel von VW ist aber viel mehr als nur ein prestigeträchti­ger Kampf. Es geht darum, das Potenzial der Elek­trifizierung zu demonstrieren, ihre Attraktivität zu beweisen und nicht nur auf der Rennstrecke, son­dern auch auf dem Markt eine Leaderposition ein­zunehmen. Der Weg scheint frei für die Wolfsbur­ger, die sich auf die grosse Bühne wagen und schon vermehrt beeindruckende Resultate gezeigt haben.Seit der Rekordfahrt im vergangenen Jahr am Pikes Peak wurde der Elektro-VW ID R mehrfach modifiziert und auf die jüngste Herausforderung Nürburgring getrimmt. Ein Besuch im Porsche-Windkanal führte zu mehreren aerodynamischen Veränderungen am Auto. Im Unterschied zu Pikes Peak mit geringerer Luftdichte erlaubt die Nord­schleife eine Reduzierung der Aerodynamikleistung. Auf den Bodeneffekt musste jedoch er­neut verzichtet werden, da die Strecke auf der Nordschleife ebenso wellig ist wie jene in den Ber­gen. Die einzige Lösung bestand daher darin, an den Aussenstützen mit dem einziehbaren DRS-Querruder (Drag Reduction System) zu arbeiten, welches sich an der Formel 1 orientiert. Schliess­lich blieb noch die letzte grosse aerodynamische Hürde am ID R: Die Ingenieure mussten ihm ge­nügend Kiemen verpassen, damit die Batterie ge­nügend gekühlt werden – aber auch nicht zu stark, weil der Energiespender eine Temperatur von etwa 30 Grad verlangt, um eine maximale Wirkung zu erzeugen. Chassis und Aufhängungen wurden ebenfalls mit Verstärkungen und Ad-hoc-Tarie­rung (Ausgleich Ab- und Auftrieb) an die Eigen­schaften der Schaltung angepasst.

Leichter statt stärker
Um den chinesischen Nio EP9 zu unterbieten, der mit 6:45.9 Minuten den Rekord für Elektroproto­typen hielt (2017, mit dem Briten Peter Dumbreck am Steuer), wurde beim Elektro-VW auch an der Gewichtsreduktion gefeilt. Ziel war es, das Ge­wicht einschliesslich des Fahrers unter 1100 Kilo­gramm zu halten. Die Chinesen brachten mit 1735 Kilogramm deutlich mehr auf die Waage. Dank der beiden zusätzlichen Elektromotoren und 1360 PS hat der Nio jedoch ein vorteilhafteres Ge­wichts-Leistungs-Verhältnis als der ID R. In Zah­len ausgedrückt: 0.62 kg/PS beim Nio gegenüber 0.77 kg/PS beim ID R.Trotz dieses Leistungsmankos im Vergleich zur Konkurrenz bringt VW seinen ID R in 2.25 Sekun­den von null auf 100 km/h – die Chinesen brauchen für diesen Sprint 2.7 Sekunden.

Die Batteriekühlung des ID R spielt bei der Rekordjagd eine entscheidende Rolle.

Verbesserungsmöglichkeiten
Am Pikes Peak hatte der ID R gegenüber den Au­tos mit Verbrennermotoren einen Vorteil, da er auf die dünne Höhenluft unempfindlich reagiert. Auf dem Nürburgring hingegen fällt dieses Plus des Elektromotors weg. Aber: Prototypen mit Ver­brennungsmotoren haben in der grünen Hölle ei­ne höhere Höchstgeschwindigkeit – rund 350 km/h im Vergleich zu den 270 km/h des ID R. Also müs­sen die Batterien des Elektro-VW angepasst wer­den, damit sie mehr Leistung liefern können.Batterien sind jedoch das schwache Glied im gesamten Antrieb. Die für die Rekordjagd auf den Nürburgring verwendeten Akkus waren mit jenen für die Hatz auf den Pikes Peak identisch. Nur wurden sie wegen der deutlich höheren Durch­schnittsgeschwindigkeit von 206 km/h auf der Nordschleife im Vergleich zu 150 km/h am Pikes Peak viel stärker gefordert.Am Nürburgring gab es noch eine weitere He­rausforderung, wie der ID-R-Pilot Romain Dumas (F) verriet. Der Elektrorenner lief Gefahr im Stre­ckenabschnitt Döttinger Höhe zu verdursten – im zweiten Probelauf musste Dumas an dieser Stelle prompt mehr Strom sparen, als ihm lieb war. Er beendete die Runde zwar mit einer Zeit von 6:12 Minuten – und der Erkenntnis, dass die 20 Prozent Rückgewinnung aus der Bremsenergie nicht aus­reichen: Der Pilot muss den Energieverbrauch zwingend im Auge behalten.

40 Sekunden schneller
Für Romain Dumas, der in zehn Tagen bei den 24 Stunden von Le Mans (F) an den Start geht, ist der Nürburgring mit seinen über 20 Kilometern Länge «die schönste, aber auch die schwierigste Strecke der Welt». Der Franzose schonte sich bei der Rekordjagd nicht und verbesserte seine Run­denzeit kontinuierlich. 6:20 Minuten hatte er vor­hergesagt – mit dem vierten und letzten Versuch hatte er die bestehende Rekordzeit um fantastische 40.564 Sekunden geradezu pulverisiert! Im Vergleich mit anderen alternativen An­triebstechniken braucht es aber noch ein grosses Stück Arbeit. Die 5:19 Minuten des Porsche 919 Hybrid Evo scheinen ausser Reichweite. Der Por­sche-Prototyp ist das Ergebnis einer langen Evolu­tion, während der vollelektrische Antrieb gerade erst Fahrt aufnimmt. Der ID R von Volkswagen zieht derweil weiter und setzt im September seine Rekordjagd in Asien fort.

Romain Dumas zeigt stolz die Boxentafel.

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