DAS LEGENDÄRE «PS-WOODSTOCK» IN DER EIFEL SCHREIBT EINMAL MEHR EIN SAGENHAFTES KAPITEL MOTORSPORT-GESCHICHTE

Ein Finale wie es die Motorsportwelt noch selten bis nie gesehen hat, prägte die 24 Stunden auf dem auf der Nordschleife des Nürburgrings. Nico Müller und Marcel Fässler waren zuerst die «Profiteure» und nur kurz darauf die Leidtragenden...

«If you will finish first, first you have to finish» – «Wenn du gewinnen willst, musst du zuerst zu Ende fahren.» Dieses Zitat des Briten Ron Dennis, des langjährigen McLaren-F1-Teamchefs, wurde bei der 45. Ausgabe des legendären 24-Stunden-Rennens auf der «Nordschleife» – dem  grössten Autorennen der Welt – förmlich lebendig. Lange, sehr lange sah es danach aus, als ob der mintfarbige Audi mit der Nummer 29 von Land Motorsport mit Conner De Phillippi, Christopher Miles, Markus Winkelhock und Kelvin Van der Linde souverän zum Sieg hetzen würde. Die Mercedes, 2016 noch zu viert auf den ersten vier Rängen, waren geschlagen und spielten heuer keine Hauptrolle. Noch ärger lief es für Porsche, deren Bester letztlich der 911er GT3 von Frikadelli Racing auf Rang 6 war. Die schärfste Konkurrenz für den Land Audi, der Anfang Jahr in Daytona den Sieg um läppische 0,3 Sekunden verpasst hatte, kam definitiv aus dem eigenen Lager. Vorab der WRT R8 LMS, pilotiert unter anderem von Nico Müller und Marcel Fässler zusammen mit Robin Frijns (Ho) und René Rast (De), blieb dem Leader hartnäckig auf den Fersen. Die Kombination Audi und Dunlop erwies sich beim Klassiker in Rheinland-Pfalz von Anfang an als stark, mächtig und überlegen. Ein Audi-Sieg schien daher unter normalen Umständen früh gegeben. Doch was ist in der «Grünen Hölle», wie die bekannteste Rennstrecke der Welt ehrfurchtsvoll auch genannt wird, schon normal? Am allerwenigsten im Normalfall das Wetter. 2016 fanden alle vier Jahreszeiten in den 24 Stunden statt. Diesmal schien die Sonne tatsächlich bis zuletzt zu scheinen. Schien; denn erstes kommt es anders und zweitens als man denkt….

Der Boxenstopp des Jahrzehnts

Plötzlich, anderthalb Stunden vor Schluss, kam der R8  des Teams von Legende Wolfgang Land einfach nicht mehr auf Touren sprich verlor mächtig an Leistung. Der 21-jährige Südafrikaner Van der Linde versuchte mit einem Reset, bei dem er alle elektronischen Hilfssysteme auf einer Geraden runter- und wieder hochfährt, zu retten, was zu retten war – ohne Erfolg. Ergo bog er in die Boxengasse ein. Ein Sensor hatte den Leistungsverlust verursacht. Der Wagen fiel der Panne wegen auf die dritte Position zurück. Das Malheuer des Land-Audi diente dem WRT-Audi mit viel Swisspower am Steuer dazu, die Führung zu übernehmen. Und auch der BMW M6 GT3 von Markus Palttala, Nick Catsburg, Alexander und Sims Richard Westbrook (Rowe Racing) ging am bis dahin stundenlang führenden Audi vorbei. Niedergeschlagenheit ohne Ende und Tränen à gogo in der Land-Box. Christopher Mies schluchzte wie ein Schlosshund, nichts ahnend, dass er nur wenig später mit einem Grinsen breiter als das jedes Breitmaulfroschs rumhüpfen würde… Kurz vor Schluss schien der Drops also gelutscht; sprich der Mist geführt. Der zweite Sieg nach 2015 für Nico Müller und der erste für den dreifachen Le-Mans-Sieger Marcel Fässler waren zum Greifen nah. Ja – eigentlich nur noch zum Abholen bereit. Dann freilich geschah das…

Am Ende hat es für den Land Audi (Nr. 29) doch noch geklappt, auch wenn kurz vor Schluss niemand mehr an den Sieg geglaubt hat.

Himmlische Hilfe

Als das Rennen für die unglückliche Land-Equipe gelaufen schien, begann es eine halbe Stunde vor Schluss auf einem Teil der Strecke zu regnen. Während die Führenden auf Slicks blieben, entschied sich Land, die Regenreifen aufzuziehen. Alles oder nichts: Die goldrichtige Entscheidung und der Boxenstopp des Jahrzehnts, wie sich zeigen sollte. Dabei wollte Kelvin van der Linde ebenfalls schon auf  Slicks losdüsen; doch er bliebe hängen. Der Tankrüssel war im Eifer des Gefechts stecken geblieben. Auch das noch… wollte man im ersten Moment als mitleidender Fan meinen. «Jetzt geht echt alles schief, was schief gehen kann.» Doch das vermeintliche Missgeschick verwandelte sich binnen Minuten zum Glück der Tüchtigen. Nachdem das Land-Team nämlich mitbekommen hatte, dass der führende WRT-Audi auf Slicks losfuhr, entschied man sich in allerletzter Sekunde noch anders. Diese allerletzte Sekunde gewann man nur des Missgeschicks beim Tanken wegen – ansonsten wäre Van der Linde schon auf den Slicks weg gewesen. So jedoch ging die Rechnung letztlich auf gar wundersame Weise doch noch auf. Unfassbar! Während die Gegner auf ihren profillosen Gummis zum Eiertanz baten – auf nasser Strecke sind Slicks und 500 PS auf der Hinterachse so griffig wie Socken auf Parkett sprich jedes Moutnainbike ist schneller, schoss der mit Regenreifen ausgestattete Land-Audi von hinten ran, wedelte durchs Feld wie durch einen Slalomparcours und holte sich in der letzten Runde die Führung zurück. Ein Drehbuch zu kitschig, um wahr zu sein. Aber eben, in der Eifel ist alles möglich, auch ein Finale, wie es der Langstrecken-Motorsport noch nie zuvor gesehen hat.

Nico Müller (re) und Marcel Fässler (zweiter von re) blieb «nur» Rang 3.

Fässlers Fluch

Allein, des einen Freud des anderen Leid: So süss das Finals für Land war, so bitter war es für die beiden Schweizer Nico Müller und Marcel Fässler. Für sie und ihre Compagnos hiess es letztlich: Wie gewonnen, so zerronnen. Kurz nach der Zielflagge meinte Fässer enttäuscht: «Hierher komme ich nie wieder zurück.» Verständlich. «Es ist dieser Titel, der mir in meiner Langstrecken-Karriere noch fehlt», so der Einsiedler. Es ist verflixt. Diesmal, bei seinem zehnten Anlauf, schien der prestigeträchtige Sieg quasi auf sicher. Serviert auf dem Silbertablett und als Geschenk zum 41. Geburtstag, den der dreifache Le-Mans-Sieger notabene am Samstag im Auto feierte. Und dann das. «Es ist schon deftig, auf diese Weise in der letzten Runde den Sieg zu verlieren», so Fässler. Doch, ganz der Vollblut-Rennfahrer, meinte der zweifache Langstrecken-Weltmeister: «Letztlich hat das richtige Team gewonnen. Land hat über die gesamte Distanz die überzeugendste Leistung abgeliefert.» Dem musste Nico Müller beipflichten. Auch wenn «es im ersten Moment Scheisse ist, so kurz vor Schluss von Platz 1 verdrängt zu werden». Wichtig sei jedoch, so Müller, «dass ein Audi gewonnen hat». Der Land-Audi sei ja quasi «das Schwester-Auto» von ihnen gewesen. Und: «Irgendwie habe ich es mir fast gedacht, dass es hier in der Grünen Hölle nicht sein kann, dass es 24 Stunden lang schönes Wetter ist und alles bis zuletzt gut geht…»

Noch war das Wetter gut am Nürburgring.

Müllers Crash

«Wir haben in den letzten zwei Jahren sehr viel Entwicklungsarbeit geleistet, eng mit Dunlop zusammengearbeitet und viele Tests gemacht. Das hat sich jetzt ausbezahlt», meinte Nico Müller zu der Dominanz der Ingolstädter. Man habe in dem Sinn ein sehr gutes Setup gefunden, so der 25-Jährige. «Das Auto war gegenüber dem letzten Jahr weniger spitz und darum vor allem bei Doppel-Stints komfortabler zu fahren.» Das Auto hat also weniger «gehoppelt» und war «von der Fahrwerks-Abstimmung her angenehmer und weniger ermüdend zu fahren». Die intensive Entwicklungsarbeit in Kombination mit guten Reifen – «das war in das Erfolgsgeheiminis von Audi in diesem Jahr». Apropos Doppelstints: Müller war wie Teamkollege René Rast sowohl auf dem WRT-Audi Nummer 9 wie dem WRT-Audi Nummer 10 im Einsatz. Der Berner fuhr also in zwei R8-Bombern und leistete damit eine Doppel-Schicht. Dies freilich nur sechs Stunden lang. Bis zu dem Moment, als der Schweizer von einem Renault Clio abgeschossen wurde. Der mächtige, wuchtige Audi wird vom süssen Clio abgeschossen – klingt irgendwie süss nicht? Hat was von einem Bengalischen Tiger, der vom Meersäuli flieht. Aber so ist das eben im Rennsport. «Er hat mir Platz gemacht und ich war schon aussen rum, als er plötzlich in mich reinzog», beschreibt Müller den ärgerlichen Zwischenfall. Offenbar habe sein Kontrahent im Rückspiegel ein Licht gesehen und sei der Meinung gewesen, er, Müller, komme von links. Der DTM-Pilot kam jedoch volle Kanne von rechts. Der Schubser reichte aus, um das topfavorisierte Auto aus dem Rennen zu bugsieren. Mit gebrochener Aufhängung blieb der zu dem Zeitpunkt auf Rang 3 klassierte Audi liegen. «Wenn du der bist, der am Haken hängt», so Müller – also der, der den Crash fabriziert – «ist das einfach nur ein mieses Gefühl». Schliesslich seien da noch drei andere Fahrer und ein Team auf dem Auto unterwegs, für die das Rennen in dem Moment ebenfalls abrupt zu Ende geht. Da hilft es auch nicht, dass den Schweizer keine Schuld am Ausfall traf. «Zum Glück konnte ich danach auf dem anderen Auto weiterfahren und mich so ablenken.» Tja, auch solche Szenen machen eben den ganz grossen Reiz dieses Rennens aus…

Die Strecke von oben.

Palette ist riesig

Mehr als 120 Autos waren es dieses Jahr, die sich in 21 Klassen auf die die Vollgas-Reise durch die Eifel begaben. Zwischen diesen Klassen klaffen mächtige Leistungsunterschiede. Sei es vom Potenzial des Autos  oder jenem des Piloten. Vom GT3-As, der gutes Geld mit Rennfahren auf der ganzen Welt verdient, bis hin zum Hobby-Racer, der ein paar Rennen im Jahr fährt, findet sich vom Können her alles unter den rund 500 Pilotinnen und Piloten (darunter 2017 rund 40 aus der Schweiz). Immerhin – alle müssen eine spezielle Lizenz haben, um auf der Nordschleife Rennen fahren zu dürfen. Und alle müssen sie 24 Stunden lang nicht nur darauf achten, wo sie selbst hinfahren, sondern auch ständig, was von hinten links oder hinten rechts zum Teil mit mächtigem Tempounterschied angebraust kommt – das klappt eben nicht immer.


Die Party des Jahres

Auch am Rand der Strecke sind die 24 Stunden auf dem Nürburgring Extraklasse. Die Fans aus allen Landesteilen und jenseits der Grenze sorgen für Party ohne Ende. Hier wird Motorsport gelebt – Mann und Frau atmen sozusagen benzingeschwängerte Eifelluft ein. Und nicht nur 24 Stunden, sondern  oft eine Woche lang. Von Montag bis Sonntag herrschte Ausnahmezustand, denn rund um den Ring sind Wiesen frei gegeben, auf denen sich die Fans niederlassen können.  Die meisten bringen Bier und Futter gleich selbst mit. Aber auch so werden noch 80 000 Würste und 3.5 Tonnen Pommes am Renn-Weekend verkauft. Während der Nacht loderen unzählige Lagerfeuer rund um den Kurs. Für viele werden die Wohnmobile oder die Wohnwagen zur persönlichen Tribüne. Die Nacht wird zur Stunde für wahre Rennfans. Einer sagt es so: «Es kribbelt schon, wenn du dein Zeug zusammen packst und dich parat machst.» Es wird hektoliterweise Bier vernichtet. «Eigentlich bräuchte man nach dem Rennen noch drei bis vier Tage Urlaub.» Einer Woche Dauerfestival mit wenig Schlaf ist anspruchsvoll.

Apropops: In Breidscheid gibt es offenbar eine Fan-Gruppe, die in Anlehnung an die der Tour de France ein gelbes, grünes und gepunktetes Trikot vergibt. «Das gelbe für den betrunksten des Tages. Das gepunktete Trikot für jenen, der zuletzt «gekotzt» hat, und das grüne an den, der am schnellsten getrunken hat.» Der Rekord für das Kölsch-Glas soll angeblich bei 2,29 Sekunden. 

Keine Frage: Die Zuschauer sorgen rund um den Langstreckenklassiker definitiv für eine einzigartige Atmosphäre. Die Fahrer betonen auch immer wieder, wie schön es vor allem am Abend und in der Nacht sei, wenn die vielen Grillfeuer zu sehen sind, und der Duft von Würstchen und Steaks ins Cockpit strömt. In einem Jahr ist es wieder so weit.    

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