„VIA SICURA UNTERGRÄBT DIE DEMOKRATIE“

Der Verein «Stopp den Auswüchsen von Via sicura» hat über seine Volksinitiative informiert – und die Schwierigkeiten dabei.

Die Volksinitiative «Stopp den Auswüchsen von Via sicura» ist noch weit von der Ziellinie entfernt. Mit der am 3. Mai 2016 lancierten Sammlung will man die Missbräuche und Exzesse des im Juni 2012 vom Bund verabschiedeten Gesetzes angehen. Bisher haben die Initianten erst 10 000 der bis zum Stichdatum 3. November 2017 benötigten 100 000 Unterschriften zusammen.

Aber die Kämpfer gegen ein in ihren Augen undemokratisches Gesetz mit teilweise verheerenden sozialen Folgen geben nicht auf. Ihr leidenschaftliches Engagement färbte jede der Reden, die sie vergangenen Donnerstag während einer Pressekonferenz in Saint-Maurice VS zum brenzligen Thema hielten. Auf dem Podium standen Pierre Contat, Generalsekretär des Vereins «Stopp den Auswüchsen von Via sicura» (ASAVS), der Anwalt Blaise Marmy, Präsident der Walliser Autofahrervereinigung und ASAVS-Komiteemitglied, sowie Jean-Marie Bornet, Verantwortlicher für die Öffentlichkeitsarbeit und Unfallverhütung der Walliser Kantonspolizei.

Pierre Contat, ASAVS-Generalsekretär
Pierre Contat, ASAVS-Generalsekretär

Gründe für das Stocken der Sammlung

Pierre Contat ist zuversichtlich. Mit seiner gewohnt analytischen Klarsicht und Objektivität erklärte der Walliser Kantonsparlamentarier (SVP) ohne Übertreibungen die Gründe für das Stocken der Initiative. «Nach einer rassigen Startphase erlebte die Unterschriftensammlung einen Dämpfer wegen der Sommerferien. Anschliessend wurden wir durch unvorhergesehene Umstände eingebremst. Ich denke da an die jüngsten Streitigkeiten um die Führung beim ACS. Dieser Kampf beeinträchtigte die Westschweizer Sektionen beim Versand von Unterschriftenbögen in den Publikationen des Verbandes. Aber jetzt haben wir den SVP-Nationalrat Thomas Hurter als neuen Präsidenten des ACS, der die Problematik der Via sicura erkennt, und damit sollten wir schnell wieder auf Kurs kommen», sagte der Politiker aus Monthey.

Pierre Contat hält mit seiner Enttäuschung und Verärgerung über die trägen Reaktionen der Politiker und der Strassenverkehrsbefürworter nicht hinter dem Berg. «Obwohl ich mich direkt an Christoph Blocher gerichtet habe, erhalten wir von der SVP Schweiz keine Unterstützung für unser Anliegen. Das Gleiche erleben wir beim TCS, der als Vorwand angibt, eine offizielle Unterstützung der Initiative würde dem Club die Ungunst des Bundes einbringen, von dem sie Subventionen erhalten. Und auto-schweiz zieht sich aus der Verantwortung und behauptet, sie machen keine Politik.» Trotz der düsteren Lage sieht der Generalsekretär der ASAVS einen Hoffnungsschimmer: «Wir können in Bundesbern auf die Unterstützung zweier Nationalräte zählen, den Tessiner CVP-Abgeordneten Fabio Regazzi und den ehemaligen Walliser Staatsanwalt Jean-Luc Addor, Mitglied der SVP und der ASAVS. Dank ihrer Vorstösse hat das Parlament von den Mängeln bei Via sicura Kenntnis genommen.»

Die Deutschschweizer mobilisieren

Um wieder auf Kurs zu kommen und die für das Zustandekommen der Initiative noch fehlenden rund 90 000 Unterschriften zusammenzubringen, müsse man noch «zwei Nüsse knacken», wie sich Pierre Contat ausdrückte. «Zum jetzigen Zeitpunkt muss ich feststellen, dass die Deutschschweiz noch nicht von der Dringlichkeit des Kampfs gegen Via sicura überzeugt ist, und dass keine Deutschschweizer bei der ASAVS mitmachen. Immerhin hat kürzlich der Fall einer Zürcher Fussgängerin, die ihren Führerausweis verloren hat, die Gemüter in diesem Landesteil aufgeschreckt. Um die Deutschschweizer zu mobilisieren, ist vor allem viel Vorbereitungsarbeit auf parlamentarischer Ebene angesagt, denn die Leute sind schlecht informiert. Sie glauben fälschlicherweise, dass das Gesetz nur auf stark übersetzte Geschwindigkeiten ausgerichtet ist, dass sie nie selber betroffen werden. Dabei kann Via sicura absolut jeden treffen. Noch schlimmer, das Gesetz ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Beschneiden der persönlichen Rechte. Wenn wir den Leuten diese Gefahren klarmachen, dann werden sie auch unterschreiben.»

Die beiden Hauptangriffspunkte der ASAVS sind die automatisch festgelegte Haftstrafe von einem Jahr für Raserdelikte mit oder ohne Bewährung, sowie die Anweisung an die Versicherungen, Regress auf den Unfallverursacher zu nehmen. Das Strafmass wird aus den Händen der Richter genommen, welche die Schwere des Delikts nicht strafmildernd oder verschärfend heranziehen können. «Mit unserer Initiative wollen wir den Richtern wieder Spielraum eingestehen. Statt vorbestimmter harter Strafen, die zum Verlust einer Arbeitsstelle oder zur gesellschaftlichen Ächtung führen können, soll das Gesetz angemessene Sanktionen vorsehen. Statt Repressionen müssen Erziehungsmassnahmen und Eigenverantwortung in den Vordergrund treten», führt Blaise Marmy weiter aus.

Gemäss Pierre Contat geht Via sicura so weit, von der Schuld des Angeklagten auszugehen: «Unter dem Vorwand der Vorbeugung geht man davon aus, dass der Autofahrer schuldig ist, noch bevor er ein Delikt begangen hat. Das zeigte der Fall der Zürcher Fussgängerin, die ihren Führerausweis einbüsste. Was wird in solchen Situationen aus der Demokratie und dem Rechtsstaat?»

Jean-Marie Bornet, Sprecher der Kantonspolizei Wallis
Jean-Marie Bornet, Sprecher der Kantonspolizei Wallis

Den richtigen Ansatz finden

Der für seine klaren Worte und starken Prinzipien bekannte Jean-Marie Bornet hat sich ebenfalls auf Via sicura eingeschossen. Er betont, dass er sich als Privatperson und nicht als Sprecher der Kantonspolizei äussert. Bornet kritisiert einen Mangel an gesundem Menschenverstand: «Mit solchen Gesetzen werden Leute, die einen kleinen Fehler begehen, in der Gesellschaft geächtet. Als Staatsanwalt habe ich immer darauf bestanden, dass wir nicht nur Strafen, sondern auch Erziehung im Sinn haben, und dass die finanzielle Belastung nicht der Wiedereingliederung im Weg steht. Eine Politik der Extreme wie die der Via sicura ist ungesund. Das heisst nicht, dass man nicht strikt und bestimmt Recht sprechen kann.» Der Walliser meint weiter: «Alle radikalen Strafen sind kontraproduktiv. Bei der Polizei sind wir die ersten, die Todesfälle durch Alkoholmissbrauch oder über- setzte Geschwindigkeit verhindern wollen. Aber welchen Ansatz soll man wählen, wenn die Zwangsmassnahmen jeden Bürger treffen können?»

Jean-Marie Bornet wünschte sich eine Umbesinnung auf die Erziehung, die Vorbeugung und die Aufklärung. In seinen Ausführungen erinnerte er an die Walliser Herbstmesse (Foire du Valais) und ein initiiertes Programm mit der Stiftung Walliser Suchtbekämpfung. «Die Leute konnten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Ausstellung fahren, und mit designierten Fahrern fanden wir die Lösung mit Festbesuchern, die keinen Alkohol konsumiert hatten, und die den Angeheiterten die Heimfahrt ermöglichten. Seit der Einführung des Programms hatten wir rund um die Messe keinen einzigen schweren Unfall», meinte er.

In Saint-Maurice las Jean-Marie Bornet der Politik die Leviten. «In den Kantonsparlamenten und im Bundeshaus haben wir nicht genug Parlamentarier, welche die Problematik des Strassenverkehrs verstehen. Wir brauchen weniger Juristen. Das Land ist in einer Zwangsjacke der Vorschriften, aber der Bürger braucht Bewegungsfreiheit. Die Strafen werden immer übertriebener. Wenn die Politiker die Anliegen des Strassenverkehrs besser verstehen würden, könnten wir viele Fehltritte vermeiden.»

1 Kommentar

  1. Ich bin sehr dankbar, dass sich jemand gegen die Auswüchse von „via secura“ wehrt und würde gerne meine Unterschrift unter die Volksinitiative setzen, bzw. auch beim Sammeln helfen, wenn ich Gelegenheit dazu bekomme. Die gegenwärtige Handhabung der „via secura“ entbehrt jeden gesunden Menschenverstandes. Zudem wird der Behördenwillkür Tür und Tor geöffnet. Ferner lässt das jetzt schon ins groteske gehende Strafmass bei Verkehrsvergehen gegenüber anderen Delikten die Verhältnismässigkeit vermissen. Besonders störend hierbei sind die bei der Beurteilung angewendeten Automatismen (Verhängung des Srafmasses ohne Berücksichtigung der effektiven Vorsätzlichkeit oder objektiven Gefährdungslage usw.). Katürlich kann das Strafmass angefochten werden, aber das Risiko der Kosten und des Gerichtsentscheides muss der einzelne Bürger tragen. Die Kosten bei einem (teilweisen oder ganzen) Freispruch trägt der Staat. Ich habe in diesem Sinne schon positive Gerichtsurteile erlebt. Ich rate jedem, der sich ungerecht behandelt fühlt, die Sache gerichtlich anzufechten. In meinem Falle hat das allerdings den Wohnkanton nicht gehindert, den angedrohten Fahrausweisentzug am Tag nach dem gerichtlichen Freispruch zu bestätigen. Es hat hier eine weitere Intervention des Anwalts gebraucht, der dem Herrn Polizeifeldweibel das Gerichtsurteil und dessen Bedeutung erklären musste.

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