AUCH DAS KAROSSERIEGEWERBE STÖSST AN GRENZEN

Ähnlich wie die Garagisten, stöhnen auch die Karosseriebetriebe unter hohem Investitionsdruck. Dabei geht es aber nicht um von Importeuren gesetzte Standards, sondern um neue Technologien und um Überkapazitäten. Wir informieren uns bei der Flückiger AG in Oftringen.

Auch das Farbmischen wird immer komplexer.

Wem ein Malheur mit dem Auto passiert ist und bei Google «Blechschaden» eingibt, landet automatisch zuerst bei der Flückiger AG in Oftringen. Das zeigt schon: der Geschäftsführer Christoph Flückiger ist einer, der rechtzeitig in die Webszene eingestiegen ist und mit der Zeit geht.

1960 wurde die Firma in Rothrist von Heinz Flückiger gegründet. Bereits ein Jahr später begann der erste Lehrling seine Ausbildung im jungen Unternehmen am heutigen Autobahn-Drehkreuz im Mittelland.

Die Carrosserie H. Flückiger spezialisierte sich von Beginn weg auf die Instandstellung von beschädigten Automobilen. Die weitere Firmengeschichte ist eine Aneinanderreihung von Investitionen – u.a. mit einem Neubau im benachbarten Oftringen -, was sich auch nicht änderte, nachdem Sohn Christoph 1992 die Gesamtverantwortung für das Unternehmen übernommen hatte.

Mit dem Ersatz der zwei Lackier-/Trocknungskabinen wurde 2015 eine weitere Rundumerneuerung abgeschlossen. Die topmodernen Anlagen, welche von der ESA geliefert und montiert wurden, entsprechen den neusten technischen Anforderungen. Gegenüber der alten Kabine wurde die Luftmenge fast verdoppelt. Die computerbasierte Steuerung sichert ein effizientes Arbeiten bei optimaler Ausnützung der Ressourcen (Strom und Gas). Die Lichtmenge wurde verdreifacht und dank einfach zu bedienenden Liften ist ein ergonomisches und qualitativ hochstehendes Arbeiten sichergestellt.

Wir reden also mit einem der draus kommt, und sich voll und ganz dem Karosseriegewerbe verschrieben hat.

Schwindende Margen

Was er uns über die Karosseriebranche erzählt, dürfte deshalb Allgemeingültigkeit haben. In den guten Zeiten hat er sich spezialisiert und jammert auch nicht, sieht aber, dass es dem Gewerbe schlechter geht, weil sich die Rahmenbedingungen immer schneller ändern. Einerseits schwinden die Margen, andererseits steigen infolge komplexerer Autotechnik die Investitionen. Am Ende des Tages muss man froh sein, wenn es sich am Abend gelohnt hat, am Morgen aufgestanden zu sein. Auf einen kurzen Nenner gebracht: auch das Karosseriegewerbe stöhnt unter Überkapazitäten. Bis in die neunziger Jahre wurden vielerorts solche aufgebaut. Grössere Player haben sogar erst in der jüngeren Vergangenheit noch Kapazitäten aufgebaut. Der Verdrängungsmarkt hat auch das Karosseriegewerbe erreicht, die tolle Zeit, wo es praktisch nur aufwärts gehen konnte, ist vorbei. Wir vernehmen von verschiedenen Seiten, dass man sich spezialisieren sollte, wie es eben die Geschichte der freien Marktwirtschaft diktiert. Die Arbeitsteilung wird engmaschiger. Einige Versicherungen nutzen die Überkapazitäten zu ihren Gunsten aus: Dank Schadensteuerung drücken sie Werkstattpreise und verlangen Rabatte auf Ersatzteilen; die Rentabilität sinkt dramatisch.

Die Motorisierungsrate steigt weiter, nämlich von 539 auf 541 Pw/1000 Ew. zwischen 2014 und 2015. Fakt ist aber, so haben wir gehört, und wird es auch von Christoph Flückiger bestätigt, dass das Schadenaufkommen abnimmt, weil die neuen Assistenzsysteme greifen.

Parkassistenten, Aussenspiegel mit Blindspot und so weiter funktionieren und verhindern Bagatellschäden, ESP und PreCrash-Systeme sogar Schlimmeres. Das muss man begrüssen, auch wenn der Fortschritt, wie in anderen Branchen, Arbeitsplätze kostet.

Multi-Material-Mix

Aber der Fortschritt beschränkt sich nicht auf die Elektronik, sondern greift auch in die Karosseriestrukturen ein. Stichwort Multimaterialmix: BMW hat damit ohne viel Aufheben zu machen mit dem Fünfer (E60) 2003 begonnen und praktisch den ganzen Vorderwagen aus Aluminium konstruiert. Davor schon hatte Honda 1990 den NSX und Audi 1994 sein Flaggschiff A8 in SpaceFrame-Technik in Vollaluminiumbauweise vorgestellt. Und im vergangenen Jahr stellte Jaguar sein Volumenmodell XE vollständig aus Aluminium vor.

Audi, Porsche und andere setzen auf einen Multi-Material-Mix, eine Evolutionsstufe. Wer sich an derartige Autos heranmachen will, muss kräftig investieren, denn Stahl und Aluminium vertragen sich nicht. Reparaturen in gemischter oder reiner Alubauweise erfordern eine zweite Werkzeuggarnitur pro Arbeitsplatz und erfordern wegen der neuen Toleranzvorgaben ein elektronisches Messsystem samt neuem Lift (ca. 80 000 Fr., spezielle, explosionsgeschützte Absauganlagen (ca. 15 000 Fr., und ein zusätzliches Schweissgerät (15 000 Fr.) usw. Bei den Arbeitsprozessen an Autos in Mischbauweise müssen Stahl und Alu strikte getrennt behandelt werden.

Gleichzeitig, so erklärt uns der Karosserie-Fachmann, hat sich nicht nur der durchschnittliche Schadenanfall verringert, auch der Zeitaufwand wurde wegen rationelleren Konstruktionen markant reduziert. Einzig der Ersatzteilbedarf hat sich infolge komplexerer Technik erhöht, aber parallel sind die Margen für die verschiedenen Teile geschmolzen, wie Schneemänner im April.

Arbeitsteilung

Im härter werdenden Umfeld muss sich jede Unternehmung Richtung Spezialisierung ausrichten und zum Glück gibt es im Zeichen der zunehmenden Arbeitsteilung auch neue Möglichkeiten. Stichwort dazu ist beispielsweise die wachsende Oldie- und Youngtimerszene. «An über 20-jährige Autos gehen wir nicht mehr ran» sagt unser Spezialist, der sich im mittel- und höherpreisigen Segment und bei komplexen Instandsetzungen einen guten Namen geschaffen hat und über den Durchblick sowie die entsprechende Ausstattung für den aufkommenden Multi-Material-Mix verfügt. Also braucht es zunehmend Spezialisten, welche sich noch auf die Nachkriegstechnik verstehen. Das Glas bleibt halb voll.

Der 56-jährige Flückiger sieht auch steigende Probleme bei den Nachfolgeregelungen, weil die Jungmannschaft eher studieren, als eine Lehre absolvieren möchte. Aufgrund der Marktentwicklung verständlich, doch für innovative Betriebe, welche sowohl technisch, wie auch in Bezug auf Marketing und Kundenservice à jour sind, bleiben Chancen im Markt real existent. Auch das Thema Recycling könnte für verschiedene Spenglereibetriebe interessant werden: Im Artikel über den Aluminium-Konzern Novelis (AR 41/2015) wurde erwähnt, dass in den verarbeiteten Materialien über 50 % aus recyceltem Aluminium besteht, und eine Quote von 80 % angestrebt wird.

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